Im Kampf gegen die Schuldenkrise drehen Europas Währungshüter zunächst nicht weiter an der Zinsschraube. Der Leitzins im Euroraum bleibt auf dem Rekordtief von 0,75 Prozent. Das beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Frankfurt, wie die Notenbank mitteilte. EZB-Chef Mario Draghi kündigte zwar neue Maßnahmen gegen die Krise an und bekräftigte, dass die Währungsunion unumkehrbar sei. Investoren hatten sich aber offensichtlich mehr von der Sitzung des EZB-Rates erwartet.
Obwohl die Schuldenkrise zuletzt eskaliert war, hatten die wenigsten Volkswirte nach der historischen Zinssenkung von Anfang Juli rasch mit einem erneuten Zinsschritt gerechnet. Geld in Europa ist derzeit schon so günstig wie nie seit der Euro-Einführung 1999 - zumindest für Banken.
Am deutschen Aktienmarkt hat die EZB-Entscheidung für etwas Ernüchterung gesorgt. In Madrid fiel der Index Ibex-35 am Donnerstagnachmittag binnen weniger Minuten um mehr als fünf Prozent. In Frankfurt am Main gab der Deutsche Aktienindex (Dax) um mehr als 1,5 Prozent nach. Der MDax sank um 1,65 Prozent auf 10.712 Punkte, und der TecDax gab um 1,12 Prozent auf 774 Punkte nach. Auch der Euro fiel von 1,24 US-Dollar unter 1,22 Dollar zurück. Auch die Wall Street reagierte mit einer Talfahrt. Die wichtigsten Indizes lagen zu Handelsbeginn um knapp ein Prozent im Minus. Hintergrund ist offenbar eine Enttäuschung an den Märkten darüber, dass Draghi zwar neue Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone als notwendig bezeichnete, aber keine unmittelbaren Aktionen der EZB ankündigte.
Seit Tagen wurde darüber spekuliert, dass die EZB massiv Anleihen von taumelnden Euro-Schwergewichten wie Spanien und Italien aufkaufen könnte, um die Zinslast dieser Länder zu mindern. Notenbank-Präsident Mario Draghi selbst hatte die Erwartungen geschürt. Der Italiener hatte vor einer Woche in London gesagt: „Die EZB wird im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir – es wird ausreichen.“
Entscheidung ist nicht einstimmig gefallen
Am Donnerstag hieß es nun, die EZB behalte sich den Ankauf von Staatsanleihen zur Stützung angeschlagener Euro-Staaten vor. Die Währungshüter würden möglicherweise in angemessenem Umfang in den Markt eingreifen, sagte Draghi. Ein genauer Plan solle in den kommenden Wochen ausgearbeitet werden. Die EZB sei grundsätzlich zu weiteren Euro-Stützungsmaßnahmen bereit.
Im Raum stehen unter anderem Käufe von Staatsanleihen taumelnder Euro-Schwergewichte wie Spanien und Italien.
Draghi sprach von außergewöhnlich hohen Risikoprämien für einige Länder am Anleihemarkt. Er signalisierte die Bereitschaft der Notenbank zu weiteren unkonventionelle Maßnahmen und geldpolitische Maßnahmen am offenen Markt in angemessenem Umfang. Mit Anleihekäufen werde die EZB klammen Euro-Staaten erst dann unter die Arme greifen, wenn die Euro-Rettungsschirme am Bondmarkt aktiv werden. Dies sei eine notwendige Bedingung, bedeute aber nicht automatisch, dass die EZB auch tatsächlich eingreifen werde.
Die EZB-Entscheidung ist nicht einstimmig gefallen. Ein Mitglied des 23-köpfigen EZB-Rats habe nicht dafür gestimmt, sagte Draghi. Auf die Frage, ob Bundesbankpräsident Jens Weidmann gegen den Kauf von Staatsanleihen opponiert habe, sagte Draghi: „Es ist klar und bekannt, dass Herr Weidmann und die Bundesbank ihre Vorbehalte gegen ein Programm zum Kauf von Staatsanleihen haben.“
Die USA indes machen Druck
Als denkbar gilt eine gemeinsame Aktion von EZB und dem Euro- Rettungsfonds EFSF beziehungsweise dessen Nachfolger ESM. Die EZB darf Bonds nur auf dem Sekundärmarkt erwerben, also etwa von Banken. Die Rettungsfonds könnten Anleihen direkt von Staaten kaufen. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ wollte Draghi einen solchen abgestimmten Plan am Donnerstagnachmittag in Frankfurt vorstellen.
Doch gegen erneute Staatsanleihenkäufe der EZB formiert sich Widerstand. Nach Informationen der italienischen Zeitung „La Repubblica“ stemmen sich mindestens 7 der 23 Ratsmitglieder gegen radikale Maßnahmen.
Die EZB hatte im Mai 2010 gegen deutschen Widerstand ein Kaufprogramm für Staatsanleihen aufgelegt. Aktuell hat sie Staatspapiere im Wert von 211,5 Milliarden Euro in der Bilanz. Das Programm ruht seit Mitte März, könnte aber theoretisch jederzeit wieder aktiviert werden.
Gegen einen solchen Schritt wehren sich „La Repubblica“ zufolge außer den beiden deutschen Vertretern im EZB-Rat, Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktor Jörg Asmussen, auch die Notenbanker von Österreich, den Niederlanden, Luxemburg, Finnland und Estland. Auch aus der deutschen Politik kamen ablehnende Stimmen.
Die USA indes machen Druck: US-Präsident Barack Obama appellierte erneut an die Europäer, alles zu tun, um die Eurozone zu stabilisieren. Obama sorgt sich drei Monate vor den US-Wahlen, dass eine eskalierende Euro-Schuldenkrise die US-Wirtschaft in den Abgrund ziehen könnte.
Die US-Notenbank Fed ihrerseits sah am Mittwoch von weiteren Schritten ab, obwohl sie weiterhin „bedeutende Abwärtsrisiken“ für die US-Wirtschaft sieht. Die Fed bestätigte den Leitzins in einer Spanne zwischen null und 0,25 Prozent. Auch die Bank of England gönnte sich eine geldpolitische Verschnaufpause: Das erst vor Monatsfrist um 50 Milliarden Pfund aufgestockte Volumen der Anleihekäufe bleibt bei 375 Milliarden Pfund. Der Leitzins, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Notenbank refinanzieren können, verharrt auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent.