Es ist Freitag 13.43 Uhr als das Faxgerät in der Filiale in Prenzlauer Berg anspringt. Die Frau, die an dem Gerät steht, hat in diesem Moment die vergangenen 6360 Tage abzüglich Urlaub und Wochenenden für Schlecker gearbeitet.
Jetzt kommen vier Seiten aus dem Gerät, und jetzt weiß die Frau, dass ihr Arbeitsleben bei Schlecker, das im Januar 1995 begonnen hat, vorbei ist. „Wir hatten doch alle sehr auf Herrn Berggruen gehofft“, sagt die Verkäuferin, die auch als Betriebsrätin arbeitet.
Nicholas Berggruen, jener schillernde Investor, der vor zwei Jahren Karstadt gerettet hat und auch Interesse an der Drogeriemarktkette zeigte. Anders als bei Karstadt gibt es für Schlecker jedoch kein Happy End.
Desolater Zustand
Schlecker, seit Januar in der Insolvenz, wird nun abgewickelt. Mehr als 13.000 Mitarbeiter in 3200 Filialen in Deutschland werden ihren Job verlieren. In Berlin arbeiten noch rund 400 für die Kette, 360 mussten bereits Ende März gehen, als 85 von 186 Filialen in der Hauptstadt geschlossen wurden.
Die erste Kündigungswelle hat nichts gebracht. Schlecker ist in einem solch desolaten Zustand, dass sich keiner fand, der die Kette übernehmen wollte. Das Kapitel Schlecker endet am Freitag dem 1. Juni, 37 Jahre nach der Gründung durch Anton Schlecker.
Es lägen „keine Offerten im akzeptablen Bereich vor“, sagte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz nach einer Sitzung des Gläubigerausschusses am Freitag in Berlin. Heißt: Niemand wollte genügend Geld mitbringen.
Der Gläubigerausschuss sehe „keine Perspektive für die wirtschaftlich vertretbare Fortführung von Schlecker oder die Veräußerung des Gesamtkonzerns an einen Investor“ und habe deshalb das Ende des Betriebs beschlossen. Schlecker fährt jeden Tag hohe Verluste ein und verbrennt somit immer mehr Geld, deshalb drängt die Zeit. Zuletzt lagen die Forderungen der Schlecker-Gläubiger bei rund 750 Millionen Euro.
Das alles schreckte potenzielle Retter ab. Zum Schluss gab es ohnehin nur noch zwei. Neben Berggruen die amerikanische Investmentgesellschaft Cerberus. Berggruen hatte bereits in der Nacht zu Freitag sein Angebot zurückgezogen. Am Freitag dann scheiterten auch die Verhandlungen mit Cerberus.
Bis Ende Juni bleiben die Mitarbeiter bei Schlecker angestellt
Auf dem Fax der Berliner Verkäuferin hat das Unternehmen eine letzte Bitte. Man möge doch bitte den Ausverkauf „nach Kräften unterstützen“, heißt es. Bis Ende Juni, erfahren die Mitarbeiter, sind sie noch bei Schlecker angestellt. Ab Juli muss ein neuer Job her.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit in Berlin. In Berlin gibt es aktuell mehr als 1000 offene Stellen im Einzelhandel. „Allerdings hat Schlecker gut bezahlt“, sagt Olaf Möller, Sprecher der Regionaldirektion.
Was bedeutet, dass Schlecker-Mitarbeiterinnen wohl kaum Probleme haben, eine Stelle zu finden. Dieser dürfte in aller Regel aber schlechter bezahlt sein.
In der kommenden Woche, am 6. Juni, wird die Arbeitsagentur Mitte eine Jobbörse für die Einzelhandelsbranche veranstalten. Möller gibt sich optimistisch. Schon den 550 im März gekündigten Mitarbeiterinnen aus Berlin und Brandenburg habe man Angebote machen können. Es ist ein kleiner Trost für die Schlecker-Belegschaft, dass das Ende ihres Unternehmens in eine Zeit stabiler Konjunktur fällt, wo der Arbeitsmarkt genug Alternativen bereithält.
Mitschuld der Politik
Insolvenzverwalter Geiwitz gab der Politik eine Mitschuld am Ende von Schlecker. Eine Transfergesellschaft hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lösung für Schlecker gesichert“, sagte Geiwitz. Über eine solche Auffanggesellschaft für die im März entlassenen Mitarbeiter war im Frühjahr wochenlang zwischen den Bundesländern gestritten worden – ohne Resultat.
Danach wurden 10.000 Mitarbeiter entlassen. 4500 Mitarbeiter haben dagegen Klage eingereicht. Insolvenzverwalter Geiwitz erklärte, dass vor allem die hohe Zahl von Kündigungsschutzklagen die Investoren davon abgehalten hätten, bei Schlecker einzusteigen.
Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates sieht vor allem zwei Schuldige, die für das Scheitern des Unternehmens verantwortlich sind. „Die Familie Schlecker, die trotz der ihr bekannten roten Zahlen einfach immer weiter gewirtschaftet hat“, und die Politik, die zulasse, dass ein so großes Unternehmen in der Form des „Eingetragenen Kaufmannes“ geführt werden dürfe. „Jede Privatperson wäre wegen Insolvenzverschleppung längst zur Verantwortung gezogen worden“, sagte Christel Hoffmann.
Anders als Schlecker hat „Ihr Platz“ und „Schlecker XL“ nach Angaben der Insolvenzverwaltung eine Überlebenschance: Gespräche über den Verkauf stünden vor dem Abschluss. Bei Schlecker XL arbeiten rund 1100 Menschen, Ihr Platz hat etwa 3990 Beschäftigte. Schlecker-Töchter in Tschechien und Frankreich sind bereits verkauft, über die Märkte in Österreich oder Spanien laufen Verhandlungen.