Der anhaltenden Diskussion um die Praxisgebühr haben namhafte Gesundheitsökonomen nun ein weiteres Kapitel hinzugefügt: Sie sprechen sich für eine Gebühr von fünf Euro pro Arztbesuch aus – anstatt der heute fälligen zehn Euro beim ersten Besuch im Quartal.
Doch Aussicht darauf, Realität zu werden, hat der Vorschlag kaum. Denn Gesundheitspolitiker der FDP und der Union lehnten ihn unmittelbar nach der Vorstellung ab.
Neu ist der Vorschlag nicht: Arbeitgeberverbände fordern seit Jahren fünf Euro Praxisgebühr für jeden Arztbesuch.
In der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie, von der der Vorschlag stammt, haben sich Wissenschaftler und Fachleute aus dem Gesundheitsbereich zusammengeschlossen, die sich unregelmäßig zu Wort melden.
Unabhängig von der aktuellen Debatte um die Praxisgebühr meinen diese Experten, dass das System der Zuzahlung in der gesetzlichen Krankenversicherung reformiert werden sollte. „Sinnvoll ausgestaltete Zuzahlungen können das Kostenbewusstsein der Patienten stärken und geben ihnen einen Anreiz, auf unnötige oder weniger wirksame Leistungen zu verzichten“, sagt der Vorsitzende der Ökonomen-Vereinigung, der Konstanzer Professor Friedrich Breyer.
Klinik-Zuzahlung soll entfallen
Es gehe nicht darum, die Krankenkassen einfach nur zu entlasten. Vielmehr sollten die Versicherten zur Sparsamkeit angehalten werden. Und: „Zuzahlungen sollten dort erhoben werden, wo die Entscheidung zur Inanspruchnahme einer Leistung maßgeblich vom Patienten selbst getroffen wird“, meint Breyer.
Außerdem müsse dies möglichst unbürokratisch geschehen.
Dass die Praxisgebühr bisher nicht dazu geführt hat, nur noch dann zum Arzt zu gehen, wenn es wichtig ist, darin ist sich die Fachwelt nach Auswertung etlicher Untersuchungen einig.
Die Gesundheitsökonomen widerlegen den Sinn der Praxisgebühr jedoch auch rein argumentativ: Warum sollte der erste Arztbesuch im Quartal medizinisch weniger notwendig sein als alle weiteren?
„Sinnvoller wäre die Erhebung der Gebühr bei jedem Arztbesuch“, sagt ihr Vorsitzender Breyer. Eine andere Zuzahlung, nämlich jeweils zehn Euro für die ersten 28 Tage im Krankenhaus, sei dagegen völlig überflüssig und solle am besten gestrichen werden.
Denn anders als beim Arztbesuch, über den in aller Regel der Patient selbst und unabhängig vom Arzt entscheiden könne, werde die Dauer eines Klinikaufenthalts ganz überwiegend von den behandelnden Ärzten bestimmt.
CSU: Praxisgebühr gut, wie sie ist
Unter dem Strich, so die Rechnung der Ökonomen, würde die regelmäßige Erhebung der einen und die Abschaffung der anderen Zuzahlung die Patienten etwas mehr kosten als heute: Pro Jahr kämen künftig 2,4 Milliarden Euro zusammen, haben die Ökonomen ausgerechnet, wobei sie annehmen, dass es zehn Prozent weniger Arztbesuche geben wird als heute.
In absoluten Zahlen wären dies 50 Millionen weniger als heute. Chronisch Kranke, die besonders häufig zum Arzt gehen, seien dabei bereits berücksichtigt, sagt Breyer. Die Zuzahlungsbefreiung für einkommensschwache Patienten von zwei Prozent des Einkommens, bleibe unverändert bestehen.
Derzeit bringt die Gebühr für Arztbesuche den Krankenkassen 1,5 Milliarden Euro ein, und die Krankenhaus-Zuzahlung erwirtschaftet 700 Millionen Euro. Das Aufkommen von 400 Millionen Euro Praxisgebühr für Besuche beim Zahnarzt berücksichtigen die Ökonomen in ihrer Kalkulation nicht.
Die Gesundheitspolitiker der Koalition lehnen die Vorschläge der Wissenschaftler jedoch ab. „Ich halte davon nichts“, sagt der Vizevorsitzende der Unionsfraktion, Johannes Singhammer. Die Praxisgebühr sei gut so, wie sie jetzt sei.
Die Wirkungslosigkeit sei überhaupt nicht bewiesen. FDP-Gesundheitspolitiker Heinz Lanfermann sagt: „Eine Gebühr für jeden Arztbesuch würde notwendige Behandlungen verhindern.“
Wegen "Bagatellerkrankungen" zum Arzt
Ziel der FDP sei es weiterhin, die Praxisgebühr abzuschaffen. So sieht es auch Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).
Die Arbeitgeberverbände, die seit Jahren schon für fünf Euro Gebühr pro Arztbesuch eintreten, argumentieren damit, dass weniger Arztbesuche auch weniger Verschreibungen hervorrufen würden. Wegen „Bagatellerkrankungen“ müsse niemand zum Doktor.
Neueste Untersuchungen zeigen aber, dass die meisten Arztbesuche nicht wegen leichter Krankheiten erfolgen, sondern dass 16 Prozent der Versicherten für die Hälfte aller Arztbesuche verantwortlich sind.
Das heißt, dass schwer und mehrfach kranke Menschen die durchschnittliche Zahl von Praxisbesuchen nach oben treiben: Sie liegt mit 17 Besuchen pro Jahr dennoch über dem internationalen Durchschnitt.
Fiele die Praxisgebühr ganz weg, müssten die Krankenkassen nicht auf die gesamten Einnahmen verzichten. Die sieben Millionen Patienten, die von der Zuzahlung teilweise befreit sind, müssten ihren Obolus an anderer Stelle entrichten.