Treffen der EU-Finanzminister

Griechen können ihre Schulden nicht mehr tragen

| Lesedauer: 8 Minuten

Bittere Nachrichten für Griechenland und seine Unterstützer: Das Land wird wohl noch bis zu zehn Jahre lang am Tropf internationaler Hilfskredite hängen. Die EU-Partner finden sich in der Rolle des machtlosen Zuschauers wieder.

Griechenland kann seine Schulden nicht mehr tragen. Das ist die Zusammenfassung des zehnseitigen Troika-Berichts. Die Dreiergruppe aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds übergab ihn den Finanzministern der Eurozone am späten Freitagabend in Brüssel. Die Überforderung Griechenlands stammt aus den Altschulden, denn ohne Zinszahlungen könnte der griechische Staat schon 2014 einen Überschuss von 4,5 Prozent der Jahresleistung erwirtschaften.

Das Land wird wohl noch bis zu zehn Jahre lang am Tropf internationaler Hilfskredite hängen. „Wann wieder Zugang zu den Finanzmärkten besteht, ist schon an sich unsicher“, halten die Experten der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) in ihrem Report fest, über den sich am Freitagabend in Brüssel die Euro-Finanzminister beugten. Angesichts von voraussichtlich über Jahre anhaltend hoher Schulden müsse damit gerechnet werden, dass internationale Unterstützung zum Füllen von Finanzlöchern bis zum Jahr 2021 nötig ist.

Das heißt auch: Noch lange muss Griechenland beweisen, dass es wie gefordert spart, Staatsbesitz verkauft, Beamte entlässt und Renten kürzt. Diese Prozedur zerrt schon jetzt mächtig an den Nerven der Griechen. Regelmäßig stehen Busse, Fähren und Flugzeuge still, weil die Gewerkschaften das Land mit Streiks lahmlegen. Wütend gehen immer wieder Tausende auf die Straßen – gegen die eigene Regierung, gegen die von der EU abverlangten Einschnitte. Aber auch in vielen Euro-Ländern wächst der Unmut, Athen weiteres Geld zu überweisen.

Die neue Finanzlücke bis 2020 wird nun auf ungeheure 252 Milliarden Euro geschätzt, statt 109 Milliarden, wie auf dem Gipfel vom 21. Juli angenommen. Es fehlen Griechenland also weitere 143 Milliarden. Die Schlussfolgerung lautet: Die Banken und Versicherungen müssen noch mehr ran. Ein schärferer Schuldenschnitt rückt näher.

Statt 21 Prozent, wie im Juli beschlossen, rechnet die Troika nun mit 50 bis 60 Prozent Streichung der Anleihewerte. Dann müssten die Staaten der Eurozone über den Rettungsschirm kaum mehr als die schon beschlossenen 109 Milliarden aufbringen. Je weniger aber die Banken verzichten, desto mehr müssten die Staaten direkt garantieren. Die Verhandlungen mit den Instituten sollen unmittelbar beginnen.

Da dieser Forderungsverzicht bei griechischen Anleihen Banken und Versicherungen in Griechenland und Frankreich am härtesten treffen würde, müssten sie mehr Eigenkapital bekommen und sogar teilweise verstaatlicht werden. Diese Rekapitalisierung schien am Samstagmorgen unstrittig unter den Euro-Finanzministern in Brüssel.

Die Schwierigkeiten für Griechenland werden immer größer. Für 2011 erwartet die Troika nun wie 2010 einen Absturz der Wirtschaft um 5,5 Prozent, statt minus 2,8 Prozent wie noch vor drei Monaten gedacht. Und im kommenden Jahr dürfte die Leistung noch einmal um 3,0 Prozent schrumpfen, statt um 0,7 Prozent zu wachsen. Erst 2013 und 2014 ist nur mit magerem Wachstum zu rechnen, jeweils 1,25 Prozent. Das alles bremst die Steuereinnahmen gewaltig.

Außerdem nimmt der griechische Staat wahrscheinlich weniger Geld durch Privatisierungen ein als ursprünglich angenommen. Die Troika hatte 66 Milliarden Euro bis 2020 eingestellt und geht nun nur noch von 46 Milliarden aus. Die Marktbedingungen seien zu schlecht.

Wenn nichts geschieht, dürfte der Schuldenberg Griechenlands bis 2013 auf 186 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung ansteigen. Dann wird sie den Annahmen zufolge sanft sinken auf 152 Prozent bis 2020 und auf 130 Prozent bis 2030. Es sei denn, die griechische Wirtschaft wächst stärker als gedacht. Jedes Jahr ein Prozentpunkt mehr Wachstum bis 2020 drückt laut Troika den Schuldenberg auf 130 Prozent. Dies unterstreiche die Notwendigkeit für wachstumsfördernde Maßnahmen, schreibt die Troika.

Sollte die Umsetzung der Sparprogramme oder die Privatisierung ins Stocken geraten oder die Wirtschaft noch stärker schrumpfen, würden diese Zahlen allerdings sogar noch dramatisch schlechter. Ein noch drastischeres Schrumpfen der griechischen Wirtschaft könnte den Schuldenstand sehr schnell auf bis 208 Prozent explodieren lassen, was den Finanzbedarf bis 2020 auf 450 Milliarden Euro fast verdoppeln würde.

Die Bundesregierung strebt aber bessere Zahlen an, das heißt, nicht 152 Prozent, sondern einen Schuldenstand von 120 Prozent bis 2020. Das heißt, Schulden in Höhe von 32 Prozent der Wirtschaftsleistung müssten bis dahin gestrichen werden. Das würde laut Troika genau einem Schnitt von 50 Prozent der Anleihen entsprechen.

Was, wenn alles dies nichts fruchtet? Die unfassbare Verschuldung Ludwigs XVI. führte zur Französischen Revolution 1789. Die Schulden waren aber nicht weg. Auch die Nationalversammlung musste sich noch jahrelang damit herumschlagen, bis die Kirchengüter eingezogen wurden. Der Revolutionär Mirabeau sagte einmal: „Die öffentlichen Schulden waren der Keim der Freiheit. Sie haben den König und den Absolutismus zerstört. Sehen wir uns vor, dass sie durch ihr Fortleben nicht die Nation zerstören und uns die Freiheit nicht wieder wegnehmen, die sie uns einst gaben.“

Großbritannien zeigt sich besorgt

Das Nicht-Euro-Land Großbritannien zeigte sich besorgt über die Folgen der Dauerprobleme im Euro-Raum. Die Krise der Währungsunion sei inzwischen „eine echte Gefahr“ für ganz Europa, sagte Finanzminister George Osborne in Brüssel. Großbritannien wolle deshalb auf eine „umfassende Lösung“ drängen und keine „Heftpflaster“ mehr hinnehmen, die „die uns gerade mal durch die nächsten wenigen Wochen bringen“.

Am Freitagabend hatten die Euro-Finanzminister trotz Zweifeln an der langfristigen Gesundung der griechischen Staatsfinanzen grünes Licht für die Auszahlung von weiteren acht Milliarden Euro an Athen gegeben. Gleichzeitig nahmen die Minister in einem Bericht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds zur Kenntnis, demzufolge Griechenland womöglich noch zehn Jahre internationale Finanzhilfen braucht.

Um es nicht so weit kommen zu lassen, soll ein erst im Juli vereinbartes zweites Hilfspaket für Griechenland neu geschnürt werden. Es sieht bisher öffentliche Finanzhilfen von 109 Milliarden Euro vor und einen Schuldenverzicht der Privatgläubiger von 21 Prozent. Nun soll es eine angemessene „Kombination von zusätzlicher öffentlicher Finanzierung und der Beteiligung des Privatsektors“ geben, wie die Euro-Finanzminister erklärten.

Die privaten Banken sollen dabei nach Angaben von EU-Diplomaten mindestens 50 Prozent ihrer Darlehen an Athen abschreiben. Die Euro-Länder müssten dann mit 114 Milliarden Euro fünf Milliarden Euro mehr bereitstellen als bisher geplant. Scheitert dieses Szenario, müssten nach Einschätzung der Troika bis 2020 möglicherweise sogar 252 Milliarden Euro nach Athen überwiesen werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) berät am Abend im belgischen Meise mit anderen konservativen Staats- und Regierungschefs in der EU über die Schuldenkrise. Danach will die Kanzlerin in einem gesonderten Treffen mit Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy offene Fragen zur Euro-Rettung klären.

Erste Fortschritte, wie durch einen „ Hebeltrick“ die Mittel im Euro-Rettungsfonds eine größere Wirkung entfalten können, gibt es bereits. Lagen zu Beginn der Gespräche Österreichs Finanzministerin Maria Fekter zufolge noch „bis zu sieben“ Modelle dafür auf dem Tisch, sprach sie danach nur noch von „zwei Optionen“. Ein EU-Diplomat sagte, dass bei keiner davon die EZB eine Rolle spiele. Frankreich wollte dem EFSF eine Banklizenz geben, damit dieser sich Geld bei der EZB besorgen kann. Deutschland ist strikt dagegen. Frankreichs Finanzminister François Baroin zeigte nun die Bereitschaft, von dieser Position abzurücken.