Chinesische Mega-City

Deutsche sollen größte Stadt der Welt grüner machen

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Nina Trentmann

Foto: AFP

Chinas 32-Millionen-Stadt Chongqing ist für Massenproduktion bekannt. Mit deutscher Hilfe soll hier nun ein nachhaltiger Industriepark entstehen.

Ein eher unauffälliger Typ. Chinese, vielleicht 1,80 Meter groß, in einem grüngestreiften Polohemd und einer blauen Sportjacke, die schwarzen Haare sorgfältig gekämmt. Ihm folgen vier seiner Landsmänner. Sie kommen zu Fuß aus einer Seitenstraße, alle leger gekleidet. Die Fünf haben nichts an sich, das auf viel Macht oder viel Geld schließen ließe. Sie gehen in ein China-Restaurant an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg, „Good Friends“ heißt es.

Im Hinterzimmer treffen sie die Deutschen, mit denen sie drei Tage lang unterwegs waren. „Ni hao“, sagen die Deutschen, „Hallo“ auf chinesisch. „Nice to meet you“, sagt Johnson Lee und streicht den Kragen seines Polohemdes glatt. Er ist Sekretär der Kommunistischen Partei im Banan-Distrikt in Chongqing.

Eigentlich heißt er Jianchun Li statt Johnson Lee, aber das ist für Ausländer zu schwierig. Lee schüttelt den Deutschen die Hände und lächelt. Mit Maotai, einem Schnaps aus Hirse und Weizen, Tsingtao-Bier und Muscheln besiegeln sie einen millionenschweren Deal: Die Planung eines Industrieparks in Chongqing, der größten Stadt der Welt, nach dem Vorbild einer „Green City“.

Erstmals hat die Parteiführung einen solchen Auftrag an zwei ausländische Firmen vergeben. Es ist das erste Industriegebiet in China, das mit Erdwärme, Dämmung nach westlichen Standards, Wäldern, Seen und Elektromobilität geplant wird. Im „European Business Park“ sollen sich auf zwanzig Quadratkilometern deutsche High-Tech-Unternehmen ansiedeln. Die Chinesen wünschen sich mittelständische Unternehmen, die im Bereich Umwelt- und Antriebstechnik arbeiten .

Damit soll Banan, ein Stadtteil von Chongqing, Vorreiter werden für zukunftsweisende Technologien in der „Stadt ohne Sonne“. Bislang war Chongqing eher als Standort für die Massenproduktion von Autos, Laptops und Aluminium bekannt. „Wir sind die Fänger für die deutschen Unternehmen“, übersetzt ein Mitarbeiter die Worte des Parteisekretärs.

In über 100 Städten weltweit hat Johnson Lee schon für Chongqing geworben. „Trotzdem ist die Stadt bei deutschen Unternehmen immer noch relativ unbekannt“, sagt Jens Hildebrandt, stellvertretender Leiter der Auslandshandelskammer Südchina.

Ob sich deutsche Unternehmen von den Chinesen locken lassen, hängt zu einem großen Teil von Bernd Boetzel ab. Er ist Vorstand der Diederichs International, einer Firma für Projektplanung und -management mit Sitz in Berlin. Innerhalb von zwölf Wochen soll Boetzel ein Konzept erarbeiten. „Bislang sehen Industrieparks in China alle gleich aus“, sagt der 47-Jährige, „da wird Quadratkilometer weit alles platt gemacht.“ Das soll dem Gelände in der Nähe der Flüsse Jangtse und Jianling nicht passieren. „Wir wollen den Geist des Ortes bewahren“, sagt Boetzel und zeigt auf seinem Laptop, wie die 20 Quadratkilometer in Banan aussehen: Bewaldete Hügel, kleine Flussläufe, Bambus, Reisterassen.

Das alles wird integriert, sagt Boetzel – neben Fabriken, Bürogebäuden und Wohnhäusern. „Wir wollen kurze Wege“, sagt Bernd Boetzel. Er plant für das Areal eine dritte Fahrspur für Elektro-Mobile, Stromtankstellen auf Firmenparkplätzen und materialsparendes Design; aber auch Dinge, die in Deutschland selbstverständlich sind: Estrich zwischen Beton und Teppich, acht Zentimeter Dämmungen und eine Isolierung der Betonplatten an den Balkonen. „Sie können viel für das Weltklima machen, wenn Sie den Chinesen eine vernünftige Wärmedämmung verkaufen“, sagt Boetzel.

Peking will Unternehmen zu Nachhaltigkeit erziehen

Mit dem grünen Vorzeigeprojekt will die Parteiführung die chinesischen Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit erziehen. Dafür war Johnson Lee in der vergangenen Woche in Deutschland auf Werbetour. Der 52-Jährige und seine Mitarbeiter waren bei BMW Motorrad, VW, Metro und Lanxess; aber auch bei Erfindern wie eRockit in Berlin, die ein Hybridmotorrad entwickelt haben, denen für die serienmäßige Produktion aber ein Investor fehlt.

Johnson Lee ist noch nicht lange Parteisekretär im Banan-Distrikt. Zehn Jahre lang war er Vertreter bei Coftec, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt. Als Bo Xi Lai, ein Abkömmling einer der acht KP-Familien in Peking, 2007 Bürgermeister von Chongqing wurde, machte er Lee zum Parteifunktionär.

Bo gab Lee freie Hand, in fünf Industriegebieten, darunter dem Banan Distrikt, auszuprobieren, wonach ihm der Sinn stand. Chongqing hat als eine von vier Städten, die der Zentralregierung direkt unterstellt sind, alle Freiheiten, die das von der Kommunistischen Partei geführte Land zu bieten hat.

Bo Xi Lai war es, der mit der Korruption in Chongqing Schluss machte, der betrunkenen Autofahrern zwei Wochen Knast verordnete, der die Bewohner seiner Stadt zum öffentlichen Üben „roter Lieder“ verpflichtete. Er formulierte das ehrgeizige Ziel, aus der staubigen Metropole in der Nähe des Dreischluchtendamms ein Modell für die Entwicklung der „Tier 2“ und „Tier 3“ genannten Städte im Westen zu machen. Dafür ließ er zum Beispiel innerhalb von Tagen tausende Bäume pflanzen. Das US-Magazin Time zählte Bo Xi Lai 2010 denn auch zu den 100 mächtigsten Menschen weltweit.

Seine Stadt lockt im Vergleich zu anderen Millionenstädten mit niedrigeren Steuern und Produktionskosten, drei Flughäfen und einer Schienenverbindung für den Gütertransport nach Rotterdam in 13 Tagen. Der Industriepark hat einen Bahnanschluss und eine Anlegestelle für Schiffe, die zum Jangtse wollen. „Wir haben ein gutes Skelett, jetzt brauchen wir ein paar Muskeln“, sagt Parteifunktionär Johnson Lee.

Er untertreibt damit ein bisschen: Chongqing ist schon jetzt eine der größten Produktionsstätten des Landes. Seit 2000 kommt der Großteil der in China produzierten Autos hierher. 120 der 500 führenden Weltmarken seien in Chongqing vertreten, sagt Lee, darunter BP, Metro, Ford, HP und BASF. Nach jahrelangen Verhandlungen fiel im März die Entscheidung – bis 2014 baut der Chemieriese aus Ludwigshafen für rund 860 Millionen Euro ein Werk in Chongqing. 30 deutsche Unternehmen haben sich nach Angaben der Auslandshandelskammer Südchina dort niedergelassen.

Chongqing, das ist der „Schauplatz eines kühnen planwirtschaftlichen Feldversuchs“, wie ein Wirtschaftsmagazin schrieb, eine Stadt, die eine stabile Mittelschicht haben soll und die den Binnenkonsum antreiben soll. „Die Stadt hat diese Aufgabe zu erfüllen“, sagt Johnson Lee bei einem Frühstück vor Berliner Unternehmern. Chongqing soll Wälder und einen blauen Himmel haben, die Menschen dort sollen ihre Türen nachts nicht zumachen müssen, sagt Lee bei Croissant und Lachs mit Creme Fraiche.

100 Milliarden Dollar, so wünscht es sich der Parteifunktionär, sollen pro Jahr in die Stadt investiert werden. „Prägen Sie in Ihr Gehirn“, übersetzt sein Mitarbeiter, „die neue Stadt ist Chongqing.“ Über den Bundesverband für Wirtschaftsförderung und einen Geschäftsmann aus Berlin entstand der Kontakt zwischen Johnson Lee und den beiden Unternehmen, die nun für die Entwicklung des grünen Industrieparks zuständig sind. Die DauthKaun GmbH aus Berlin gestaltet das Logo, präsentiert den Park auf Messen und sucht nach „Ankermietern“, die sich als erste ansiedeln.

Subventionen für Flugverbindung von Deutschland

„Dass wir als Agentur so früh eingebunden werden, ist sehr ungewöhnlich“, sagt Martin Dauth, geschäftsführender Gesellschafter. Ganz offensichtlich möchte Johnson Lee Fehler vermeiden, die andere Städte gemacht haben, als sie Industrieparks planten, ohne vorher ein Thema oder einen Schwerpunkt festzulegen. „Die stehen heute leer“, sagt Projektplaner Bernd Boetzel, „oder es haben sich chinesische Firmen angesiedelt.“

Doch die, die kommen sollten, die Deutschen, die Europäer, die kamen nicht. Deshalb ist es Johnson Lee wichtig, dass die Green City in Banan so wird, „dass sich die Deutschen wohlfühlen.“ Und dafür, so hat er gelernt, braucht es Bäume, nicht so hohe Häuser und einen deutschen Vermarkter. „Da geht es ganz viel um Vertrauen“, sagt Martin Dauth. Deshalb macht die chinesische Seite wenig Vorgaben, was die Art des Investments angeht.

„Sie können ein Joint Venture gründen, das müssen Sie aber nicht“, sagt Johnson Lee. Weil es den chinesischen Unternehmen bislang an innovativen Ideen mangelt, versucht er, nun möglichst viele Technologiefirmen aus Deutschland anzuwerben. „Ich hoffe, dass damit auch chinesische Unternehmen nachhaltiger werden – wenn es so wäre, würden wir viele Aufträge an deutsche Unternehmen vergeben“, sagt Lee und lacht.

In drei bis fünf Jahren sollen die ersten Gebäude stehen. Lees Besuch in Deutschland war erfolgreich. Nur eine Sache ist ihm auch dieses Mal nicht gelungen: Eine direkte Flugverbindung von Deutschland nach Chongqing zu organisieren. LTU flog die Strecke eine Zeit lang, doch nach der Übernahme durch Air Berlin wurde sie gestrichen.

Seit längerem versucht Johnson Lee nun, wieder mit Air Berlin ins Geschäft zu kommen. Er sei bereit, jede Stunde Flug von Deutschland nach Chongqing mit einem vierstelligen Dollar-Betrag zu subventionieren, sagt er. Trotzdem bekam der Chinese bei Air Berlin keinen Termin. „Ich muss wohl noch mal her kommen“, sagt er.