211 Kilometer. Das war die längste Strecke, die Herr Egerer an einem Tag mit dem froschgrünen Kleinwagen durch die Stadt gefahren ist. Der Mann ist der erste Dienstwagen-Chauffeur einer Berliner Behörde, der praktische Erfahrungen mit einem Elektroauto gesammelt hat. „Wir mussten halt immer ans Aufladen denken“, sagt seine Chefin Almuth Hartwig-Tiedt, Staatssekretärin für Wirtschaft und Frauen, die drei Monate mit einem Stromos des deutschen Herstellers Fräger unterwegs war. Wo immer sie gerade konferierte oder einen Betrieb besuchte, wurde die Kabelrolle hervorgeholt und das kleine grüne Auto betankt. Dabei fiel der Politikerin von der Linkspartei eine praktische Hürde für die Ausbreitung von Elektroautos auf. Es fehlt die Möglichkeit, die jenseits der offiziellen Elektrozapfsäulen geladene Energie abzurechnen. „Wir haben den Strom immer geschlaucht“, sagt Hartwig-Tiedt. Eine Batteriefüllung koste immerhin vier Euro.
Aber ansonsten zieht die Staatssekretärin eine positive Bilanz, obwohl das Autochen zum Arbeiten auf der Rückbank nicht wirklich komfortabel sei und für den Fahrer auch nicht die gewohnte Bequemlichkeit bietet. „Aber es geht“, sagt Hartwig-Tiedt. Es sei möglich, sich auch als Vielfahrerin in Berlin elektrisch mit dem Auto fortzubewegen. In Städten sind E-Autos also schon heute praxistauglich. Aber nur Batterie statt Ottomotor, Strom statt Benzin, das reicht nicht. So schlicht ist die Perspektive für die elektromobile Zukunft nicht. „Wir haben grundsätzlich zu viele Fahrzeuge auf der Straße“, sagt Roland Edel, Technischer Leiter Innovative Mobilitätskonzepte von Siemens: „Wir müssen Mobilitätskonzepte und Mobilitätsverhalten verändern.“
Beweglich mit dem Handy
Schon heute sei bei vielen jüngeren Leuten die „virtuelle Mobilität“ mit dem neuesten Smartphone wichtiger. Der Besitz eines Autos als Statussymbol verliere an Bedeutung, vor allem in Großstädten mit gut ausgebautem öffentlichem Nahverkehr. Man müsse die Menschen nur dort hineinbringen und sie über die Angebote informieren. Der Bürger muss in Echtzeit über sein Mobiltelefon erfahren können, wo gerade ein Stau ist, ob er mit den Öffentlichen schneller ist, ob vielleicht irgendwo in der Nähe ein Carsharing-Fahrzeug bereitsteht oder ein Leihfahrrad mit Elektroantrieb.
Hierfür sieht der Siemens-Ingenieur Edel vor allem eine gemeinsame Datenbasis aller Verkehrsträger als entscheidend an. „Die Technologie dafür ist prinzipiell vorhanden“, sagt Edel. Wer nun den Zuschlag als deutsches Schaufenster bekommt, müsse vor allem einen solchen ganzheitlichen Ansatz erproben und vernetzte Verkehrsangebote entwickeln.
Siemens wird sich beteiligen. Noch in diesem Jahr startet der Weltkonzern in Berlin den Versuch, den eigenen Dienstwagenpark um eine Flotte aus Elektrofahrzeugen zu ergänzen, wie es schon in München und Erlangen geschieht. Kommt der Manager aus München oder Erlangen am Flughafen oder am Hauptbahnhof an, wartet dort bereits der Elektroflitzer. Oder ihn erreicht die Info, sich doch lieber in die S-Bahn zu setzen, weil er sein Ziel damit schneller erreiche als mit dem Auto.
Aus Sicht von Andreas Knie ist der Systemwechsel in Deutschland schon im Gange. Der Sozialwissenschaftler forscht am Wissenschaftszentrum Berlin und ist in der Nationalen Plattform Elektromobilität Mitglied in der Arbeitsgruppe, die sich mit den Rahmenbedingungen befasst. Er setzt darauf, dass die Zahl der öffentlich genutzten Autos etwa in Carsharing-Flotten oder in den Fuhrparks großer Unternehmen deutlich steigen wird. Hier sieht Knie die wahren Einsatzmöglichkeiten von Elektroautos. Die Kommunen seien gefordert, für diese Wagen attraktive Bedingungen zu schaffen, sagt der Professor. So sollten langfristig nur noch öffentlich genutzte Autos das Recht auf öffentliche Parkplätze haben. Wer einen Privatwagen fahre, müsse eben auch einen privaten Parkplatz bezahlen. „Wir brauchen ein anderes Verständnis von öffentlichem Raum“, sagt Knie. Das Ziel sei, mehr Menschen auf weniger Autos zu bringen. International hat der Forscher in vielen Städten eine Tendenz beobachtet: „Nur kollektiv genutzte Fahrzeuge werden in die Innenstädte hereingelassen“, sagt Knie.
Sollte Berlin nationales Schaufenster werden, und daran zweifelt kaum ein Experte, werde es zunächst darum gehen, eine größere Flotte von Elektroautos für das Carsharing auf die Straße zu bringen. Am Anfang sollte es mit 1000 Autos losgehen, in der letzten Ausbaustufe denkt Knie an bis zu 15.000 Elektrofahrzeuge, die öffentlich genutzt werden. „Nächstes Jahr sollte das starten“, sagt Andreas Knie. Denn für Berlin stelle sich „die übliche Frage: Warten wir ab, was anderswo passiert, oder wollen wir die Entwicklung federführend gestalten?“
Gernot Lobenberg, Chef der von Senat und Berliner Wirtschaft getragenen Agentur für Elektromobilität (Emo), sieht unter Autovermietern, Carsharing-Anbietern und Verkehrsunternehmen aber eine große Bereitschaft, Elektroautos einzusetzen. Auch Lobenberg hält es für entscheidend, dass Systeme aufgebaut werden, in denen der Kunde bequem sein jeweiliges Fahrzeug finden, öffnen, bezahlen und abrechnen kann, egal, ob es ein E-Auto, ein Elektroroller, die U-Bahn oder die Fernbahn ist. „Gerade für Berlin als Tourismushochburg ist das ein wichtiges Element“, sagt Lobenberg.
Der Gesetzgeber und die Verwaltung müssen aber mitziehen. Die Ämter müssten umlernen, offen sein für die nötigen Veränderungen ohne einzelne Fahrzeuge zu bevorzugen, so der Agentur-Chef. Und natürlich müsse eine Lösung her, wenn der Senat die E-Mobility fördern wolle und E-Autos gratis parken lasse, den Bezirken dadurch aber Einnahmen aus Parkgebühren verloren gingen. Auf Entgegenkommen der Behörden hofft auch Adam Rice. Er ist Chef der Firma E-Tuktuk. Nach dem Vorbild vieler asiatischer Millionenstädte wollen Rice und seine Partner die Rikscha auch nach Berlin bringen, mit Elektromotoren betrieben. Die Karosserien stammen aus Thailand, die Technik aus Holland. Aber das Unternehmen wird durch deutsche Vorschriften und Berliner Verwaltungsdschungel gebremst. Es sei schwierig gewesen, Ansprechpartner in den Ämtern zu finden, sagt Rice über seine Erfahrungen in Berlin, das gern E-Mobility-Hauptstadt wäre.
Obwohl das in Holland und Belgien längst erlaubt ist, dürfen die E-Tuktuks in Deutschland nicht zur Personenbeförderung eingesetzt werden. Ein dafür zugelassenes Fahrzeug muss vier Räder und zwei Achsen haben. Die Stadt könnte eine Ausnahmeregelung erteilen, hat das aber bislang noch nicht getan. Dabei haben die Rikschas nach den Worten des Jungunternehmers den Elchtest gegen das Umfallen bestanden und besitzen die EU-Straßenzulassung. Rice wundert sich so über die Passivität der Berliner Behörden, weil seine Gefährte in ein integriertes Verkehrssystem passen würden. Er denkt an Shuttle-Fahrten etwa vom Bahnhof Wannsee zum Strandbad oder für Kurzstrecken in Mitte, die normale Taxifahrer sowieso nicht gerne übernehmen. So ein Tuktuk, schwärmt Rice, sei „ideal für die letzte Meile“, also jene Distanz, die zu weit zum Laufen und zu kurz zum Autofahren ist. Außerdem denkt er an Stadtrundfahrten für Touristen und Werbetouren für Firmen. Wegen der fehlenden Berechtigung, Personen mitzunehmen, muss er sich noch beschränken. Künftig sollen die E-Tuktuks an Selbstfahrer vermietet werden.
Auf seinem Irrweg durch die Verwaltung hat der Unternehmer jetzt die Wirtschaftsstaatssekretärin Hartwig-Tiedt gefunden. Sie versteht sich nach ihrem Selbstversuch mit dem grünen Stromos als Promotorin von Elektrofahrzeugen in der Verwaltung. Auch andere Behörden wollten jetzt ein oder zwei E-Mobile in Betrieb nehmen, sogar die Polizei interessiere sich dafür, sagt Hartwig-Tiedt. Sie selbst muss erst mal Pause machen mit der elektrisch getriebenen Fahrerei. Sie findet kein Unternehmen, das ihr ein E-Fahrzeug verleasen könnte. „Die Autos sind nicht da.“