Baustopp

Wie es mit Stuttgart 21 weitergeht

| Lesedauer: 8 Minuten
H. Crolly, N. Doll und M. Kamann
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Bahn legt Stuttgart 21 auf Eis

Nach dem Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg stoppt die Bahn vorerst das umstrittene Bauprojekt.

Video: Reuters
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Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 jubeln über den Baustopp, den die Bahn verhängt hat. Doch Grüne und SPD in Baden-Württemberg sind sich nicht einig, wie man nun verfahren soll.

Ursula Richter saß im Büro, als am späten Dienstagvormittag die Nachricht vom Bau- und Vergabestopp für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kam. Sofort nahm sich die Mittfünfzigerin für den Rest des Tages frei, rannte nach Hause und plünderte ihren Kleiderschrank. Komplett in Grün und Rot gekleidet, lief sie zum Feiern an den Stuttgarter Hauptbahnhof. An der Info-Bude namens „Mahnwache gegen Stuttgart 21“, den bunten Bauzaun im Blick, fand die kaufmännische Angestellte aber nur ein paar Tiefbahnhofsgegner vor, so unvorbereitet traf alle der Kurswechsel der Deutsche Bahn AG. Dennoch war die große Party zur Feier des Tages schon geplant: „Tschüss S21 – Freudenfest ab 18 Uhr“ hatte jemand als Einladung an eine Schiefertafel geschrieben. „Hier herrschen im Moment nur Freude und Strahlen und Sonnenschein“, sagte Gisela Heeb, Mitglied im Gremium der „Senioren gegen Stuttgart 21“, die an der Mahnwache Dienst schob. „Wir haben fast geheult vor Freude.“ Auf das Freudenfest kamen dann Hunderte Demonstranten.

Viel verhaltener reagierten am Dienstag die designierten Regierungsparteien Baden-Württembergs auf die Ankündigung der Bahn, bei Stuttgart 21 bis zur Konstituierung der neuen Landesregierung Mitte Mai nicht weiterzubauen und keine neuen Aufträge zu vergeben. Es sei „nur folgerichtig, dass in der derzeitigen Situation keine weiteren Fakten geschaffen werden dürfen“, sagten Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann und sein SPD-Pendant Nils Schmid gemeinsam, äußerten aber sonst keine größeren Erwartungen. Weiter jedoch ging der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der sich während der Schlichtung als wortmächtiger S-21-Gegner profilierte. „Was die Bahn ankündigt, läuft auf einen Projektstopp hinaus“, sagte Palmer Morgenpost Online. Nun sieht Palmer die Position des Landes Baden-Württemberg gestärkt: „Wir freuen uns, dass die Bahn anerkennt, dass sie sich dem Land gegenüber in einer Angebots-Käufer-Situation befindet: Sie hat mit dem Tiefbahnhof ein Angebot gemacht, und das Land als einer der Käufer wird sich diesem Angebot gegenüber neu verhalten.“ Palmer sieht nun Klärungsbedarf zwischen Grünen und SPD. „Die Reaktion des Landes wird Thema bei den Koalitionsverhandlungen sein, bislang bestehen hier Unterschiede zwischen Grünen und SPD“, so Palmer. In der Tat kann der Bahnhof zur Belastung für das Bündnis werden. Während die Grünen laut Palmer „einen Ausstieg aus dem Projekt in fairer Kooperation mit allen Beteiligten“ wollen, ist die Mehrheit der SPD für S21.

Mappus-Vertraute scheitert

Zwar wollen die Sozialdemokraten den „Stresstest“ abwarten und dann eine Volksabstimmung durchführen. Aber „wir hoffen natürlich, dass der Souverän für das Projekt stimmt“, heißt es in der SPD. Die Grünen hingegen wünschen sich einen ganz anderen Ausgang der Abstimmung, doch unterscheiden sie sich von der SPD auch darin, dass sie Vorbehalte gegenüber einer Volksabstimmung haben. Zwar steht die in ihrem Wahlprogramm, und Kretschmann will sie auch, doch sehen sie mit Sorge, dass die Landesverfassung ein hohes Quorum vorsieht: 33 Prozent der Wahlberechtigten müssten einem Volksentscheid für die Beendigung des Projekts zustimmen. Daher setzen die Grünen eher darauf, mithilfe hoher Anforderungen auf Basis des Stresstests und harter Verhandlungen mit Bund und Bahn das Projekt administrativ zu verhindern.

Aber noch ist das Milliardenprojekt samt Schnellstrecke Richtung Ulm ja nicht beerdigt – hofft man zumindest bei der Deutschen Bahn. Zähneknirschend haben die DB-Manager einen Baustopp verhängt, um Zeit zu gewinnen – Zeit, die nötig ist, um den neuen Widerstand gegen Stuttgart 21 auszuräumen. Und auch wenn zahllose Menschen in Stuttgart gegen das Projekt sind, gibt es weiterhin viele Befürworter. Die Wirtschaft, zumindest ihre großen Verbände, spricht sich überwiegend dafür aus, die Stadt Stuttgart und die Region – Partner bei der Finanzierung – tun es, auch die FDP und die CDU, die gerade allerdings eine der populärsten S-21-Befürworterinnen, die bisherige Umweltministerin Tanja Gönner, insofern beschädigt hat, als sie Gönner nicht zur neuen Fraktionsvorsitzenden im Landtag machte, sondern Peter Hauk wählte.

Im Bund wählt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zu Stuttgart 21 offiziell zwar diplomatische Worte, intern aber gibt er sich kämpferisch – für Stuttgart 21. „Zurzeit wird gepokert. Die Grünen wollen Zeit gewinnen und das Projekt mit immer neuen Auflagen und Berechnungen totanalysieren. Und die Bahn braucht eine Atempause, um ihre Unterstützer in Politik und Wirtschaft zu mobilisieren“, sagt ein Vertreter der fünf am Projekt beteiligten Akteure.

Die Bahn kann und will Stuttgart nicht abschreiben, zu viel Geld steht für den Konzern auf dem Spiel. „Wir halten an Stuttgart 21 fest, aber wir setzen es nicht gegen die Landesregierung um.“ Ein Baustopp kommt den Konzern schon teuer genug – die Arbeiten ruhen, Material steht bereit, Firmen halten sich zur Verfügung, ohne dass etwas passiert. Das kostet. „Aber lieber ein paar Millionen abschreiben, als das gesamte Projekt zu gefährden“, sagt ein Bahn-Manager. „Eine Rückabwicklung von Stuttgart 21 wäre nicht kostenneutral. Wir werden am Mittwoch im Aufsichtsrat eine erste Risikoeinschätzung präsentiert bekommen“, sagt Patrick Döring, FDP-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Mitglied im Kontrollgremium der Deutschen Bahn.

Es geht um sehr viel Geld

Nicht kostenneutral ist die sachliche Umschreibung für ein Milliardenloch, das sich nach dem Scheitern des Projekts auftun würde. Ein Ausstieg würde die Bahn nach eigenen Berechnungen 1,41 Milliarden Euro kosten. Zunächst jedenfalls. Sollte Stuttgart 21 scheitern, müsste das Unternehmen die Grundstücksverkäufe rückgängig machen, die im Zuge der erwarteten Tieferlegung des Hauptbahnhofes der Landeshauptstadt vorgenommen wurden. Bei einer Rückabwicklung müsste das Unternehmen der Stadt Stuttgart 460 Millionen Euro zurückzahlen, macht plus fünf Prozent Zinsen 284 Millionen Euro. Hinzu kommen Planungskosten von 260 Millionen Euro sowie, falls S 21 scheitert, das Geld für die Sanierung des bestehenden Bahnhofs. Auf 1,41 Milliarden Euro kommt die Bahn – und diese Summe will sie dem Land Baden-Württemberg in Rechnung stellten, sollte die neue Landesregierung das Projekt begraben. Die 560 Millionen Euro, die der Bund zuschießen will, sind zweckgebunden für das Neubauprojekt, sie fließen nicht bei einer Bahnhofssanierung. „In den Verträgen mit den Partnern, also dem Bund, dem Land, der Stadt und der Region ist eindeutig geregelt, dass jede Partei, die aus dem Projekt aussteigt, für die Kosten der anderen aufkommen muss“, sagt ein Bahn-Manager. Fazit des DB-Konzern: Schließt Grün-Rot die Akte Stuttgart 21 wird der Konzern 1,41 Milliarden Euro von der neuen Landesregierung fordern. „Es gibt eine von allein Seiten unterschriebene Finanzierungsvereinbarung, die wird durch einen Regierungswechsel nicht einfach nichtig“, so der Bahn-Manager.

Sollten also vor allem die Grünen auf einem Aus des Projekts bestehen, droht ein quälend langer Rechtsstreit. Schon jetzt bestreiten Grünen-Politiker die angefallenen Kosten der Bahn. Sind die geklärt, stellt sich die Frage, ob der Konzern sich das Geld tatsächlich von der Landesregierung erstreiten kann. Die Bahn kann darauf pochen, dass sich der Landtag, der Gemeinderat Stuttgarts, mehrere Gerichte und weitere Gremien in der Vergangenheit für das Projekt ausgesprochen hatten. Allerdings ist Baden-Württemberg als Besteller im Regionalverkehr ein wichtiger Auftraggeber für den DB-Konzern. Schon deshalb wird er sich mit Grün-Rot keinen endlosen Rechtsstreit liefern.

( Mitarbeit: dfs )