Pearse Pan sagt, er würde es nicht noch einmal tun. Hätte er gewusst, welche Zukunft die Londoner Finanzwelt ihm bringt, wäre er daheim in Shanghai geblieben. Als der Chinese 2002 nach England zog, hatte er große Träume: von Geld, Freiheit und Erfolg. Acht Jahre später sitzt der 35-Jährige in einem Londoner Pub und knetet nervös seine Finger. „Die WestLB hat mich fertig gemacht“, sagt Pan.
Er gehe seit über einem Jahr zum Therapeuten, schlafe kaum noch, habe Depressionen. Seit er 2007 als Analyst bei der Londoner Niederlassung der deutschen Landesbank antrat, sei er systematisch von seinen Vorgesetzten diskriminiert worden. „Als Chinese war ich da ein Mitarbeiter zweiter Klasse.“ Die WestLB bestreitet Pans Vorwürfe, doch dem Banker ist das egal. Pan will sich wehren. Im vergangenen Jahr verklagte der Chinese die angeschlagene Landesbank auf Diskriminierung. Der gleich auf acht Tage angesetzte Prozess am Londoner Amtsgericht beginnt am kommenden Montag. „Ich lasse nicht länger auf mir rumtrampeln.“
Es sind harsche Worte, wie sie seit einiger Zeit öfter zu hören sind in den großen Finanzzentren Europas. Zimperlich mag es noch nie zugegangen sein in großen Banken – doch seit Ausbruch der Finanzkrise geraten Banker und ihre Arbeitgeber immer öfter aneinander. Weil die Nerven auf beiden Seiten blank liegen. Da sind Vorgesetzte, die den Druck der Konzernspitze ungebremst an ihre Untergebenen durchleiten oder diese gar mit unsauberen Methoden vor die Tür setzen. Und da sind Angestellte, die angesichts des Stellenabbaus in der Branche plötzlich Existenzangst haben und nach juristischen Strohhalmen greifen.
„Der Druck auf die Mitarbeiter ist definitiv noch einmal gewaltig gestiegen“, sagt Jörg Reinbrecht, Koordinator des Bereichs Finanzdienstleistungen bei der Gewerkschaft Ver.di. Denn seit weite Teile des Bankgeschäfts eingebrochen sind, haben viele Manager aus ihrer Sicht erst recht nichts mehr zu verschenken. „Dieser Druck ist auch Nährboden für Mobbing oder Diskriminierung“, sagt Reinbrecht. Ein Trend, der sich keineswegs nur hierzulande zeigt. Der internationale Gewerkschaftsverband UNI beklagt schlechtere Arbeitsbedingungen in Banken in ganz Europa.
Und besonders ruppig geht es nach UNI-Angaben in Großbritannien zu. In der Londoner City, die vom Finanzboom bis 2007 profitiert hatte wie kaum eine andere Metropole, gingen Tausende Jobs verloren – auch bei der WestLB. Gleichzeitig steigt die Zahl rechtlicher Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen. Die Zahl der von britischen Gerichten angenommen Klagen gegen den Arbeitgeber stieg zwischen März 2009 und März 2010 nach Statistiken des Justizministeriums um 56 Prozent auf knapp 240.000 – der höchste Stand seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000.
Immer häufiger geht es auch um Diskriminierung. Wer in den Kampf mit dem Arbeitgeber zieht, riskiert allerdings viel. Welche Firma möchte später schon einen vermeintlichen Querulanten einstellen? Zumal Diskriminierung schwer zu belegen ist. Oft steht Aussage gegen Aussage. Auch im Fall des Chinesen Pan wird es das Gericht schwer haben. Die Bank erklärte auf Anfrage von "Morgenpost Online“ bereits, die halte „die gegen sie vorgebrachten Behauptungen für gegenstandslos und wird sich dagegen zur Wehr setzen.“
Pans Fall wird das Arbeitsgericht beschäftigen
Seine Vorwürfe hat Pan in drei Aktenordnern gebündelt. Sie bestehen jedoch in weiten Teilen aus eigenen Notizen, in denen Pan über Jahre die angeblichen Diskriminierungen dokumentiert hat. Er hat sie sich selbst per E-Mail zugeschickt, um zu beweisen, dass er sich die Vorfälle nicht im Nachhinein ausgedacht hat. In seiner Version der Geschichte wurde er vom ersten Arbeitstag im Januar 2007 an ungerecht behandelt. Drei neu eingestellte Mitarbeiter – ein Deutscher, ein Franzose und er – bildeten ein Team, das Private-Equity-Firmen unterstützte.
In diesem ersten Jahr habe ich zwei Drittel aller Transaktionen betreut, meine beiden Kollegen zusammen nur ein Drittel.“ Nach einigen Monaten habe er seinen Chef auf die ungerecht verteilte Arbeit angesprochen. „Der meinte nur: ‚Ihr Chinesen seit doch bekannt dafür, dass ihr härter arbeiten könnt.’“ Pan sagt, er habe sich daraufhin an die Personalabteilung gewandt. Doch die habe ihm nahe gelegte, keine offizielle Beschwerde einzureichen. „Wenn ich das tue, wäre mein Verhältnis zu meinem Vorgesetzten nachhaltig gestört, sagte man mir.“
Die Personalabteilung informierte Pans Vorgesetzten über dessen Sorgen. „Von da an wurde meine Situation noch unerträglicher.“ Sein Chef habe ihm bei internen Sitzungen den Mund verboten, habe sich in seinem Beisein über den chinesischen Akzent lustig gemacht und ihn von gemeinsamen Pub-Besuchen der Abteilung ausgeschlossen. Es sei mit zweierlei Maß gemessen worden. „Wenn ich zehn Minuten zu spät kam, schrieb mein Chef mir eine böse Email.“ Sein französischer Kollege sei dagegen fast jeden Tag zu spät gekommen.
Doch diese Angaben sind eben umstritten – Stimmen aus der Bank behaupten, Pan selbst habe oft gefehlt und sei alles andere als ein Leistungsträger gewesen. Ende 2009 reichte Pan doch eine offizielle Beschwerde bei der Personalabteilung ein. Wenige Tage später habe ihn die WestLB vom Dienst suspendiert. Das ganze vergangene Jahr durfte Pan nicht arbeiten. Im vergangenen Monat schließlich kam eine Prüfungskommission der WestLB zu dem Schluss, es liege kein Fall von Diskriminierung vor. Pan kündigte, hatte aber zu diesem Zeitpunkt längst Klage beim Arbeitsgericht erhoben. Nun ist es an den Richtern, sich durch seine drei Aktenordner zu arbeiten.