Bereits als Berliner Finanzsenator hat Thilo Sarrazin sein Buchprojekt “Deutschland schafft sich ab“ gestartet. Doch zum Schreiben kam er nicht. Das änderte mit seinem Job bei der Bundesbank - wo er nach eigenen Angaben jede Woche nur Arbeit bis Dienstagmittag hatte.

Thilo Sarrazin schien sich wohlzufühlen bei der FDP in Marzahn-Hellersdorf. Jedenfalls war er in Plauderlaune. Eigentlich sollte er über Integration und Zuwanderung in Deutschland sprechen, aber dazu kam er kaum. Er habe auch irgendwann ein bisschen die Nase voll von seinem Buch, sagte er als Entschuldigung. Er habe einfach schon zu oft darüber geredet. Viel lieber wollte Sarrazin davon erzählen, wie er zu „Deutschland schafft sich ab“ gekommen war. Und so hörten die 120 Gäste des Berliner FDP-Abgeordneten Sebastian Czaja am Donnerstagabend amüsiert, welch elementare Rolle Sarrazins Arbeit als Bundesbankvorstand bei der Entstehung des erfolgreichsten und umstrittensten Sachbuch der Nachkriegszeit gespielt hat.

Wenn Thilo Sarrazin in Plauderlaune ist, wie andere Leute bei einem Schluck Rotwein am Küchentisch, dann sieht das so aus: Dann steht er am Rednerpult und regt sich kaum. Dann hält er die Arme eineinhalb Stunden lang fest über dem leicht vorgestreckten Bauch und der viel zu kurz gebundenen Krawatte verschränkt und löst sie nur, um seine Armbanduhr abzunehmen und sie vor sich zu legen, weil er schon im Begriff ist, den zeitlichen Rahmen der Veranstaltung zu sprengen.

Derart versteinert erzählt der seit heute 66-Jährige dann, wie er von einem Einkauf bei Plus mit seiner Frau im Usedom-Urlaub zu seinem Hartz-IV-Menü inspiriert wurde, mit dem er 2008 für Medienaufruhr sorgte. Danach seien die Verlage auf ihn zugekommen, er solle doch mal ein Buch schreiben.

Doch als Berliner Finanzsenator habe man keine Zeit und dürfe nicht schreiben, was man wirklich denke, erzählt Sarrazin. Kurzum: Das Projekt habe so vor sich hingedümpelt. Außer ein paar Aktenordnern mit unsortierten Presseausschnitten, die seine Sekretärinnen für ihn sammelten, habe es nur die Idee gegeben. „Ich wollte die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaftsprozesse überprüfen“, so Sarrazin. Doch zum Schreiben kam er einfach nicht.

Das änderte sich offenbar, als er im April 2009 vom Berliner Senat in den Vorstand der Bundesbank wechselte. „Als Bundesbanker war die Arbeit der Woche nach eineinhalb Tagen dienstagmittags getan“, erzählt Sarrazin, weiterhin ohne sich zu regen. „Am Montag gibt man Anweisungen und bereitet sich ein bisschen vor, am Dienstagvormittag diskutiert man intelligent in der Vorstandssitzung mit und am Dienstagnachmittag fragt man sich, was man den Rest der Woche tun soll.“ Also habe das Buch plötzlich große Fortschritte gemacht.

Als Titel für sein Werk wollte Sarrazin dem Verlag „Wir essen unser Saatgut auf“ vorschlagen, erzählt er. Doch der Vorschlag sei „zu landwirtschaftlich“ gewesen. „Zu wenig massentauglich, die Leute nehmen Getreide nur in Form von Brot zur Kenntnis.“ Auch „Deutschlanddämmerung“ habe der Verlag abgelehnt, und „Deutschland im Abendlicht“ entfiel, weil es nach Lyrikband klinge und Lyrikbände an sich keine hohen Auflagen erzielten. Den Titel „Deutschland schafft sich ab“ in Kombination mit dem knallroten Einband habe er zunächst zu reißerisch gefunden. „Mittlerweile habe ich mich damit ausgesöhnt, weil er das Buch gut zusammenfasst.“ Vielleicht fügt er ab der bald fälligen 20. Auflage ja noch eine Danksagung an die Bundesbank ein.