Krise im Berliner Nahverkehr

S-Bahn soll Sonderstatus im Konzern verlieren

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Nikolaus Doll

Foto: dpa

Bahn-Vorstand Ulrich Homburg ist davon überzeugt, dass die Krise bei der Berliner S-Bahn nur dadurch entstehen konnte, dass das Unternehmen zu lange eine Sonderstellung behaupten konnte. Künftig sollen in Berlin Standards gelten, wie sie auch in anderen Teilen des Bahn-Konzerns üblich sind, sagt er im Interview mit Morgenpost Online.

Seit Sommer ist Ulrich Homburg als Vorstand bei der Deutschen Bahn zuständig für den Personenverkehr. Nikolaus Doll sprach mit ihm über Probleme bei den Zügen und neue Konkurrenten.

Morgenpost Online: Herr Homburg, wann haben Sie sich im Zug das letzte Mal so richtig über die Bahn geärgert?

Ulrich Homburg: Oh Gott (überlegt). Da kann ich Ihnen beim besten Willen kein genaues Datum sagen.

Morgenpost Online: Fahren Sie denn nicht oft Zug?

Homburg: Natürlich tue ich das, aber richtig Ärgerliches ist mir dabei nicht passiert. Insgesamt finde ich unser Angebot durchaus überzeugend. Klar, dass man das eine oder andere besser machen könnte.

Morgenpost Online: Was denn?

Homburg: Während die überwältigende Zahl unserer Mitarbeiter einen Riesenjob macht, worauf ich sehr stolz bin, verhalten sich einzelne Mitarbeiter gegenüber den Kunden in Ausnahmefällen auch mal nicht so, wie man sich das wünscht. Allerdings gilt das auch für den umgekehrten Fall. Ich finde es schon erstaunlich, was sich die Mitarbeiter bisweilen anhören müssen und wie sie dann Haltung bewahren.

Morgenpost Online: Das ist alles? Es gibt doch genug andere Gründe, sich über die Deutsche Bahn zu ärgern: Zugausfälle, Verspätungen, schlechte Informationen, schmutzige Züge ...

Homburg: … wie gesagt, es gibt immer Dinge, die sich verbessern lassen. Ein Beispiel sind die Achsprobleme bei Teilen der ICE-Flotte, die zu häufigeren Sicherheitskontrollen in den Werkstätten führen. Dadurch fehlen uns wichtige Fahrzeugreserven und der Fahrgast muss manchmal Einschränkungen hinnehmen. Das kann mal ein Intercity-Ersatzzug oder ein verkürzter ICE sein oder auch „nur“ eine kaputte Kaffeemaschine, weil wir mit den Wartungskapazitäten am Anschlag sind. Wichtig für uns und den Fahrgast ist: Die Bahn bleibt das sicherste und verlässlichste Verkehrsmittel und die Fahrplaneinschränkungen durch ICE-Ausfälle gehören bis auf wenige Ausnahmen der Vergangenheit an. An der Steigerung der Reisequalität arbeiten wir übrigens ebenfalls sehr hart, so dass auch hier bald das gewohnte Niveau wieder erreicht ist.

Morgenpost Online: Sie sind seit Sommer Chef des Personenverkehrs. Wo sehen Sie die größeren Baustellen: Im Fern- oder im Regional-Verkehr?

Homburg: In beiden Bereichen gibt es große Herausforderungen. Im Fernverkehr stellt sich die Frage, wie einheitlich die Produktlandschaft, also das Angebot von IC-, EC- und ICE-Zügen, künftig sein soll, ob sich die unterschiedlichen Zugarten letztlich nur noch in der Reisezeit unterscheiden …

Morgenpost Online: … Sie wollen den Fernverkehr nur noch auf schnellere und weniger schnelle Züge beschränken . . .

Homburg: . . . man muss prüfen, wie der Fernverkehr am besten aufgestellt ist und den Bedürfnissen unserer Kunden optimal entspricht. Das gilt natürlich auch für den Regionalverkehr, um im harten deutschen Ausschreibungswettbewerb Marktanteile in einer akzeptablen Größenordnung halten zu können. Darüber hinaus wollen wir konsequent die sich bietenden Wachstumsmöglichkeiten im liberalisierten europäischen Markt nutzen.

Morgenpost Online: Der Schienengüterverkehr ist massiv eingebrochen, und die Krise wird auch am Personenverkehr nicht spurlos vorübergehen. Mit welchen Rückgängen rechnen Sie im laufenden Jahr?

Homburg: Mit keinen, wir werden 2009 das Niveau des Vorjahres halten. Das bedeutet allerdings, dass wir unsere Ziele nicht erreichen. Eigentlich sollte der Fernverkehr wie in den Vorjahren wachsen. Insofern geht die Krise nicht spurlos an uns vorüber. Wir spüren sie bei den Geschäfts- und Privatkunden.

Morgenpost Online: Die Leute bleiben öfter zu Hause?

Homburg: Nicht unbedingt, aber sie kaufen günstigere Tickets. Die Kunden steigen beispielsweise von der ersten Klasse in die zweite um. Viele große Unternehmen haben ihre Reiseetats zusammengestrichen. Und Privatkunden haben in diesem Jahr offenbar auf die eine oder andere Fahrt verzichtet. Aber es gibt da kein einheitliches Bild oder einen Trend. In der ersten Jahreshälfte stagnierten die Verkaufszahlen, seit Jahresmitte ziehen sie wieder an. Und in Gegenden wie dem Großraum Stuttgart, die von der Krise aufgrund des hohen Anteils der Exportwirtschaft wirklich spürbar betroffen waren, fahren die Leute, als sei nichts gewesen.

Morgenpost Online: Anders als im Güterverkehr, bei der Logistik oder in der Verwaltung wird es im Personenverkehr weder Kurzarbeit noch Stellenabbau geben?

Homburg: Richtig. Weder noch.

Morgenpost Online: Und unterm Strich verdient der Personenverkehr 2009 Geld?

Homburg: Ja.

Morgenpost Online: Bedeutet das, dass keine Sparte in die roten Zahlen rutscht?

Homburg: Das ist korrekt, wir werden sowohl im Fernverkehr als auch im Regional- und Stadtverkehr schwarze Zahlen schreiben.

Morgenpost Online: Der grenzüberschreitende Fernverkehr wird 2010 liberalisiert, jede Bahn kann dann über die Grenzen fahren und in Nachbarländern Verbindungen anbieten. Wird es nun eng für die Deutsche Bahn?

Homburg: Kommendes Jahr wird nichts passieren, die Fahrplananmeldungen sind alle gelaufen. Aber was 2011 angeht, sind wir gespannt, was tatsächlich geschieht. Ich bin für uns skeptisch, weil die Deutschen Bahn vermutlich weniger von der Liberalisierung profitieren wird als die Bahnen anderer Ländern. Der deutsche Schienenmarkt ist schon jetzt offen, aber in einigen Nachbarländern wurden trotz EU-Vorgaben hohe Hürden errichtet, um den jeweiligen Zugverkehr gegen Konkurrenz abzuschirmen. Vor allem die Franzosen tun das.

Morgenpost Online: Die Regierung von Brandenburg hat dafür gesorgt, dass der Regionalverkehr in Losen ausgeschrieben wurde und dass ein einzelner Anbieter nicht mehr alle Lose gewinnen darf. Für den Ex-Monopolisten Deutsche Bahn ist das ein schwerer Schlag.

Homburg: Es wird nicht viele Nachahmer geben. Brandenburg hat sich zwar mit der Loslimitierung durchgesetzt, aber das Land bezahlt dafür. Neben uns hat das Bahnunternehmen ODEG einen Zuschlag erhalten. Aber die haben teurer angeboten. Also zahlt Brandenburg drauf. Zudem ist die Loslimitierung rechtlich umstritten.

Morgenpost Online: Einen anderen Konflikt haben Sie mit den Bahnherstellern, wegen der defekten ICE-Achsen. Wie viele Züge fehlen im Fernverkehr derzeit?

Homburg: Wir haben derzeit eine um 12 Züge geringere Kapazität.

Morgenpost Online: Und wann kann die ICE-Flotte wieder voll eingesetzt werden?

Homburg: Wir gehen davon aus, dass nach der Einigung mit Siemens und Bombardier die ICE 3-Flotte mit neuen Achsen in voraussichtlich drei Jahren wieder zur Verfügung steht. Bei den ICE T-Zügen kann man das wegen der ausstehenden Einigung mit Alstom noch nicht sagen.

Morgenpost Online: Bei der S-Bahn Berlin sind nicht nur Achsen ein Problem, sondern Bremsen und einiges mehr. Kann ein ähnliches Chaos wie in der Hauptstadt auch bei S-Bahnen anderer Städten drohen?

Homburg: Sicher nicht, denn die Probleme bei der S-Bahn Berlin sind auch dadurch entstanden, weil diese im Bahn-Konzern lange eine Sonderstellung behaupten konnte. Es gab dort vermutlich eine ganze Reihe von Unzulänglichkeiten. Wir werden das jetzt aber nachhaltig ändern und die S-Bahn Berlin auf die einheitlichen Standards bringen, die auch sonst im Bahn-Konzern gelten.