Wenn Achim Berg in diesen Tagen durch die Welt reist, hat das schon fast etwas Verschwörerisches. „Keine Fotos bitte“, sagt der Microsoft-Manager dann. „Auch keine Kamera-Handys.“ Dann zieht er ein halbes Dutzend Mobiltelefone aus seiner Aktentasche, von der er seinen Blick nur selten abwendet. Die Geräte, die er zeigt, haben keine Typenbezeichnung. Nicht einmal der Name des Herstellers ist aufgedruckt. „Sie können ja raten“, sagt Berg dann noch und grinst.
Der 46-jährige Deutsche bereitet für den Software-Konzern eine beispiellose Offensive vor, die am Montag beginnt: Microsoft-Chef Steve Ballmer stellt dann in New York „Windows Phone 7“ vor, eine neue Betriebssoftware für internetfähige Handys. Mit einer wahren Werbeschlacht will sich Microsoft vom betrüblichen letzten Platz aus zurück in den Markt katapultieren. Eine halbe Milliarde Dollar lässt sich der Konzern diese Mühe kosten. Zählt man die Entwicklung und Garantien für unabhängige Programmierer und Gerätehersteller hinzu, gehen Expertenschätzungen eher von mehr als einer Milliarde Dollar aus. Über genaue Zahlen schweigt sich Microsoft aus.
Der bullige Ballmer hat Berg zum Kopf des Angriffs auf Apple, Google und Blackberry gemacht. Eine kluge Wahl: Berg kennt das Geschäft. Er war Bereichsvorstand bei der Deutschen Telekom und hat bei Microsoft als Deutschlandchef Meriten verdient. Nun hat Ballmer ihn als Vizepräsidenten in die Zentrale beordert. Er soll Microsofts Schwäche im Mobilfunkmarkt in Stärke verwandeln – eine gewaltige Aufgabe. Der Konzern aus Redmond im US-Bundesstaat Washington hat im Markt für Smartphone-Betriebssysteme in den vergangenen Jahren Federn gelassen. Außer bei Geschäftskunden, die ihre Geräte unbedingt mit ihren Outlook-E-Mail-Konten abgleichen mussten, waren die Microsoft-Handys verschrien.
Umständliche Bedienung mit Plastikstiften auf trägen Touchscreens und komplizierte Menüstrukturen ließen Microsofts Marktanteil auf unter fünf Prozent rutschen. Vor allem Apple mit dem iPhone, Research in Motion mit dem Blackberry und Google mit den Android-Phones scheuchten Microsoft so weit in die Ecke, dass die Handys mit dem Microsoft-System nicht mehr ernst genommen werden. Tatsächlich ist Windows Phone 7 Microsofts letzter Schuss. „Es ist spät, aber nicht zu spät“, sagt Roman Friedrich, Telekomexperte bei der Beratungsgesellschaft Booz & Company.
Microsoft kann auch ein Herausforderer sein
Experten warnen davor, Microsoft zu unterschätzen. Der Konzern hat bereits gezeigt, dass er auch Herausforderer sein kann. Mit aller Macht hat sich das Unternehmen etwa in den Markt für Videospielkonsolen gestürzt, als Sony und Nintendo scheinbar uneinholbar vorn lagen. Inzwischen hat sich die „X-Box“ etabliert. Das könnte Microsoft nun wiederholen. „Die Mobilfunker wollen Alternativen haben und nicht nur von Apple und Google abhängig sein“, sagt Friedrich. Doch eines sagt auch er deutlich: „Microsoft wird nie den Kultstatus von Apple erreichen.“Offiziell gibt sich Microsoft kämpferisch. Gern führt der Konzern Daten des Marktforschers IDC an, der bis Ende kommenden Jahres 30 Millionen verkaufte Windows-Phone-7-Geräte prognostiziert. Doch hinter vorgehaltener Hand ist man etwas pragmatischer. „Wir müssen erst einmal aufstehen“, sagt ein Manager.
Denn der im Computermarkt fast allmächtige Riese liegt im Handy-Markt am Boden, der Marktanteil ist auf unter fünf Prozent gerutscht. Erst im Juli musste Microsoft seine hauseigenen Jugendhandys mit der Bezeichnung „Kin“ vom Markt nehmen. Wegen Erfolglosigkeit. Innerhalb von 48 Tagen soll der Konzern weniger als 10.000 Geräte verkauft haben. Das Versagen im Mobilfunkmarkt hat Steve Ballmer sogar einen Großteil seines erfolgsabhängigen Gehalts gekostet, wie aus einem Dokument hervorgeht, das der Konzern der US-Börsenaufsicht SEC vorlegte. Dass Ballmer nicht gewillt ist, bei seinem Angriff freundlich vorzugehen, hat er vor einigen Tagen deutlich gemacht, als er Motorola wegen vermeintlicher Patentverletzungen bei seinen Android-Handys verklagte. Das Ziel ist klar: Google bei der Verbreitung des Android-Systems möglichst viele Steine in den Weg zu legen.
Microsoft legt sich kräftig ins Zeug
Für Windows Phone 7 zumindest hat sich Microsoft kräftig ins Zeug gelegt. Nach den Worten von Entwicklungschef Terry Myerson ist es die am „intensivsten getestete Handy-Software, die Microsoft je veröffentlicht hat“. Täglich liefen automatisierte Tests auf 10.000 Geräten, mehr als 3,5 Millionen Stunden Stresstest hat die Betriebssoftware hinter sich. „50.000 Anwender wurden von uns befragt oder haben das System getestet“, sagt Berg. Zum Start konnte Microsoft die Hersteller HTC, Samsung und LG für sich verpflichten, will das „Wall Street Journal“ erfahren haben.
Aber selbst von diesen Partnern verlässt sich niemand allein auf Microsoft: Alle drei Hersteller sind bereits mit Handys unterwegs, auf denen das Google-System Android läuft. Allerdings klagen Entwickler bereits über die Google-Software. Weil Android den Geräteherstellern zu wenige Vorgaben macht, müssen sie bei vielen Handys erneut selbst Hand anlegen. Zu unterschiedlich sind die Geräte, als dass eine Anwendung ohne Probleme auf allen Handys liefe. „Das ist bei uns anders“, sagt Berg. „Wir können garantieren, dass die Software auch läuft.“
Der Microsoft-Manager weiß, dass der Erfolg von den Programmierern abhängt, die für das System die kleinen Apps schreiben, die das iPhone so groß gemacht haben. In Apples AppStore sind inzwischen 250.000 solcher Programme verfügbar, die das Handy mit immerzu neuen Funktionen aufrüsten. Microsoft steckt hier in einem Dilemma. Die Vorgänger-Software Windows Mobile war so schlecht, dass sich der Konzern gar nicht mehr mit einer Aktualisierung aufhält. Ballmer hat das Management des Bereichs ausgewechselt und das System komplett neu schreiben lassen. Die Folge: Kein altes Programm läuft auf Windows Phone 7, alle Apps müssen neu programmiert werden.
Kurztest zeigt die Stärken der neuen Handys
Dem ständigen Ärger der Entwickler, die für Apples AppStore Anwendungen schreiben, will Microsoft entgehen. Dort werden immer wieder Programme abgelehnt. „Wir haben keine Blackbox“, sagt Berg. Es gebe elf Regeln für Entwickler, die je nach Kulturzone unterschiedlich sind. „Wer sich daran hält, kommt mit seinem Programm auch durch.“ Ein erster Kurztest von Morgenpost Online ONLINE zeigt die Stärken der neuen Mobiltelefone mit Windows Phone 7: Die Microsoft-Handys haben eine überzeugende Grafikqualität, die berührungsempfindlichen Bildschirme reagieren ohne Verzögerung auf Ziehen, Schieben, Wischen. Auch bei der Benutzerführung gibt es keine Panne. Wer ein Foto machen will, muss sich nicht erst durch Menüs klicken. Das geht deutlich schneller als beim iPhone. Trotzdem widersteht Microsoft dem Drang, alles neu erfinden zu wollen, und macht bei der Darstellung von Musik-CD-Covern Anleihen bei der Konkurrenz. Die Gerätehersteller sind voll des Lobes: „Das ist ein wichtiger Meilenstein für Microsoft im mobilen Markt“, sagte HTC-Chef Peter Chou.
Dass Microsoft so viel Mühe in den Mobilfunkmarkt legt, hat mehrere Gründe. Zum einen gehen immer mehr Menschen mit ihrem Handy ins Internet statt mit dem Computer. Microsofts Windows-Domäne ist also gefährdet. Zum anderen ist Windows Phone 7 eine Art trojanisches Pferd: Microsoft verlangt Branchenschätzungen zufolge für seine Handy-Betriebssoftware zwischen acht und 15 Dollar. Legt man zehn Dollar zugrunde, müssten 100 Millionen dieser Mobiltelefone verkauft werden, um die Kosten von einer Milliarde Dollar wieder einzuspielen.
Das könnte Jahre dauern – und tatsächlich geht es um ganz andere Geschäfte: Das mobile Internet verspricht hohe Umsätze mit Werbeerlösen und Abodiensten. In einem Interview fasste Ballmer das zusammen: „Wenn wir viele Handys verkaufen, werden gute Dinge geschehen.“ Mit Windows Phone 7 startet der Konzern in Deutschland auch seinen „Zune“-Dienst, über den Nutzer künftig Musik einkaufen und direkt auf die Handys laden können. Läuft Microsoft Gefahr, übermütig zu werden Das Marktforschungsinstitut Gartner weiß den Überschwang zu bremsen. In seiner jüngsten Prognose für das Jahr 2014 landet das System aus Redmond mit 3,9 Prozent Marktanteil an sechster Stelle. Bis dahin soll Googles Android mit Symbian, dem System des Weltmarktführers Nokia, auf fast 30 Prozent gleichgezogen sein. Apple schafft Gartner zufolge dann fast 15 Prozent.
Trotz allem ist es für einen Abgesang zu früh. In der Mobilfunkbranche drehen sich die Trends mit hoher Geschwindigkeit. Apples zügiger Aufstieg, Motorolas Abrutschen und das noch vor drei Jahren undenkbare Torkeln von Nokia sind Belege dafür. Bei den Betriebssystemen stehen sich derzeit zwei Welten gegenüber. Google setzt auf das offene System Android, für das Gerätehersteller keine Lizenzgebühren zahlen müssen. Apple hingegen hat sein System abgeschottet, garantiert dafür aber hohe Qualität für Benutzer. Microsoft schlägt sich mit Windows nun weitgehend auf die geschlossene Seite. Selbstbewusst hat der Konzern schon einmal Zähne gezeigt: Bei einer bunten Beerdigungsparade auf dem Firmencampus trugen die Mitarbeiter, verkleidet als Totengräber, Zombies und Gorillas, das iPhone bildlich zu Grabe. Auf einem Wagen stand geschrieben: „Windows Phone 7 OS Plattform begräbt die Konkurrenz.“ Achim Berg tanzte mit einer gelben Perücke. Ein Riesenspaß sei das gewesen.