Soziale Netzwerke

Der Tag, an dem Facebook stillstand

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Kritsanarat Khunkham

Foto: Infografik Morgenpost Online

Für Millionen Menschen ist das soziale Netzwerk längst mehr als nur ein Zeitvertreib – das zeigte sich, als die Seite am Donnerstag "down" war.

Wäre Facebook ein Staat, wäre er der Bevölkerung nach der drittgrößte der Welt, kleiner als Indien (1,18 Milliarden Einwohner) und größer als die USA (308 Millionen). Nur mit dem Unterschied, dass jeder in diesem Land einfach per Mausklick mit jedem vernetzt sein kann. Durchschnittlich hat jeder der 500 Millionen Facebook-Nutzer rund 130 Freunde in seinem persönlichen Netzwerk, niemand muss hier alleine sein.

Außer am vergangenen Donnerstag. Der Tag, an dem für viele die Erde stillstand: Facebook war nicht erreichbar, nicht ansurfbar, down. Millionen Nutzer kamen nicht in das Land des schönen Zeitvertreibs. Was war passiert? Facebook sprach vom „schlimmsten Ausfall, den wir seit über vier Jahren hatten“. Schuld sei ein Softwarefehler gewesen und die „unglückliche Handhabung“ dieses Fehlers, berichtet Robert Johnson, Software-Entwickler bei Facebook in seinem Internet-Blog. Ein automatisiertes System zur Überprüfung von Konfigurationseinstellungen habe mehr Schaden angerichtet als geholfen. Beim Wechsel auf die ursprünglichen Einstellungen sei es dann zu einer Überlastung der Datenbanken gekommen. Um die Datenbank zu reparieren, habe man die gesamte Seite vorübergehend vom Netz nehmen müssen.

Bereits am Vortag war die Facebook-Website schwer zu erreichen gewesen. Nach Aussage des Unternehmens hatte es Probleme mit einem Netzwerk-Provider gegeben. „Wir möchten uns für alle Unannehmlichkeiten entschuldigen“, sagte eine Facebook-Sprecherin am Donnerstagabend live im US-Nachrichtensender CNN. Doch die Vokabel „Unannehmlichkeiten“ deckt nicht im Geringsten ab, was das soziale Netzwerk Facebook an diesem Tag verursacht hatte: Für knapp drei Stunden war die Internetseite www.facebook.com in weiten Teilen der Welt nicht zu erreichen. Besonders schlimm traf es die Menschen in den USA, Kanada, Mexiko, Australien, Japan und ganz Mitteleuropa. Dort lag die Erreichbarkeit der Website praktisch bei Null. Medien auf dem ganzen Globus haben den Facebook-Ausfall zum Thema gemacht. Dem US-Nachrichtensender CNN war das sogar eine Eil-Meldung wert - eine Kategorie, die sonst Erdbeben der Stärke 7 haben.

Facebook ist down – Die Arbeiter arbeiten wieder

Facebook ist eine der größten Seiten des Internets. Die Menschen erzählen dort von ihrem Alltag in Chats und Kurzbeiträgen, tauschen Lesetipps und Videos aus, zeigen sich gegenseitig Fotoalben aus ihrem Leben und verabreden sich zu Partys. Es ist ein kurzweiliges Spaßnetzwerk, das für einen großen Teil der Nutzer zum Zentrum ihres Internets geworden ist. Und zur besten Ablenkung.

Als diese Seite nun zusammenbrach, war im Osten der USA Nachmittag. Menschen saßen bei der Arbeit und konnten nun plötzlich nicht mehr nebenher auf Facebook herumsurfen. Der Sender Oregon Public Broadcasting machte sich daraus einen Spaß und vermeldete Gutes für die US-Wirtschaft: „Facebook ist down. Die Produktivität der Arbeiter steigt. Die USA entkommt der Rezession.“ Der Ausfall förderte die Kreativität der Ausgesperrten. Von „Ups, stehe ich da etwa auf dem Facebook-Kabel?“ bis zu nicht ganz ernst gemeinten Bekennerschreiben eines „Lord Voldemort“: „Ich habe Facebook gesperrt. Das haben die davon, mit ‚The Social Network’ die Aufmerksamkeit vom ‚Deathly Hollows“-Trailer zu stehlen. Nimm dies, Zuckerberg!“ Der Film „The Social Network“ kommt demnächst ins Kino und erzählt die Entstehungsgeschichte von Facebook.

Gegründet wurde die Seite im Frühjahr 2004 von Mark Zuckerberg in seinem Wohnheim an der Universität Harvard, als Netzwerk für Studenten. Bereits zum Jahresende hatte Facebook landesweit eine Million Nutzer. 2005 waren es 50 Millionen rund um den Globus und diesen Sommer gab Zuckerberg den 500 Millionsten Nutzer bekannt. Facebook ist das größte soziale Netzwerk der Welt. Und es hat Zuckerberg schon jetzt zum Milliardär gemacht: Das US-Magazin „Forbes“ schätzt das Vermögen des 26-Jährigen auf 6,9 Milliarden Dollar. Damit hätte er schon jetzt mehr Geld verdient als der mehr als doppelt so alte Apple-Chef Steve Jobs, 55, und rangiert in der Liste der reichsten Amerikaner auf Platz 35.

Was tun mit der gewonnenen Zeit?

Für die deutschen Nutzer ereignete sich der Ausfall am Abend gegen 19 Uhr. Der Abend ist jene Zeit, zu der gewöhnlich die meisten Facebook-Nutzer aktiv sind. Doch nun waren sie ausgesperrt. Man hatte keine Freunde mehr, um sich mit ihnen auszutauschen. Keine Aussagen mehr, bei deren Anblick man per Klick auf den Like-Button („Gefällt mir“-Knopf) eben seine Meinung kundtun konnte. Eine Alltagsroutine fiel weg. Was tun mit der gewonnenen Zeit?

Viele fanden Asyl beim Kurznachrichtendienst Twitter. Der Blick dorthin offenbarte eine Facebook-Nation, die alle Phasen der Trauer durchmachte: Verleugnung („Es darf doch nicht wahr sein!“), Wut („Können die von Facebook denn gar nichts?!“), Entfremdung („Twitter ist ja auch schön.“) und Akzeptanz („Facebook ist down. Mir gefällt das.“).

"Ich war mal wieder mit an der frischen Luft"

Manche machten sich Sorgen um ihren Facebook-Bauernhof, dem Spiel Farmville, bei dem der Nutzer ständig seine virtuellen Tiere versorgen und Felder bestellen muss: Würden die Kühe nun verhungern? Andere sponnen Verschwörungstheorien: Facebook wolle so herausfinden, wie treu seine Gemeinde sei. Nach drei Stunden gab Facebook endlich via Twitter bekannt, dass das Problem gelöst wurde: „Jeder sollte nun wieder Zugang haben.“ Die Facebooker jubelten. Alle konnten wieder ins gelobte Land.

Morgenpost Online fragte seine Nutzer, wie sie denn diese Lücke in ihrem Leben ausgefüllt haben: „Bin ins Bett gegangen“, schrieb Kerstin K., „war auch nicht schlecht.“ Laura W. P. hat ihre Festplatte aufgeräumt und Norbert D. hat mit echten Menschen gesprochen, „an der frischen Luft! So ganz ohne Tastatur!“ Auch die Hamburgerin Tina P. sah eine Gelegenheit für menschliche Nähe: „Erst wenn Facebook down ist, werdet ihr merken, dass ihr die Menschen auch umarmen könnt, statt sie nur zu liken.“ Und User Johannes verglich den Ausfall mit dem großen Stromausfall von New York 1965: „...da haben heute mal 500 Mio Menschen mehr Zeit für das reale Leben.... für ein Buch, ein schönes Telefongespräch, für Ihren Partner. Kann sein dass in 9 Monaten sogar mehr Einzahler für unser Rentensystem geboren werden :-)“