Bürokratische Hürden

Wie private Kitas um ihre Existenz kämpfen

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Lara Sogorski

Foto: ZB / ZB/DPA

In Deutschland fehlen noch 400.000 Kita-Plätze. Unternehmen könnten oftmals Abhilfe schaffen – wäre da nicht die Bürokratie.

Familienministerin Kristina Schröder hat einen Brief aus Lummerland bekommen, und das ist entgegen dem ersten Anschein eine sehr ernste Angelegenheit. Die Absenderin heißt Carolin Hauck-Wörtge, ist 37 Jahre alt und betreibt seit über vier Jahren zusammen mit ihrer Mutter eine Kinderkrippe, die nach der Heimat von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer, benannt ist. Es steht nämlich nicht gut um "Lummerland" in Rheinland-Pfalz. Die Unternehmerin kämpft seit Gründung der Kinderkrippe um ihre Existenz.

Zwei Gruppen bietet sie an, für Kinder von null bis drei Jahren. Der Betrieb brummt, die Gruppen sind voll und die Eltern zufrieden. Der gute Ruf von Lummerland hat sich herumgesprochen: Allein 30 Kilometer für einen Weg fährt eine Mutter jeden Morgen, um ihre Tochter zu Carolin Hauck-Wörtge zu bringen. Es könnte kaum besser laufen. Nur das Geld reicht nicht.

Der Grund ist simpel: Während Einrichtungen der Stadt und freie Träger - Vereine und kirchliche Organisationen - in Rheinland-Pfalz mehr als drei Viertel ihrer Kosten vom Land erstattet bekommen, erhält Hauck-Wörtge mit ihrer privaten Kita keinen Cent, genauso wenig wie alle anderen privat geführten Krippen im Bundesland. Und genauso wenig wie die Krippen in Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein. Das Kinderförderungsgesetz (KiföG), seit Dezember 2008 in Kraft, stellt es den Ländern frei, ob sie privaten Trägern Zuschüsse gewähren oder nicht. Allerdings verlangt dasselbe Gesetz auch, dass bis 2013 für jedes dritte Kind, das jünger als drei Jahre ist, ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Bis zu diesem hehren Ziel fehlen noch 400.000 Plätze. Die zu schaffen ist ein Ding der Unmöglichkeit, wenn private Initiative weiter so stiefmütterlich behandelt wird.

Rund 600 Kitas werden privat betrieben

Es fehlt schlicht am Geld für die Investitionen in Ausstattung und Personal. "Die Kommunen können die Kosten angesichts ihrer finanziellen Probleme langfristig alleine nicht stemmen", sagt Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstitutes für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin. "Ohne privatgewerbliche Einrichtungen geht es gar nicht." Darum kann er nicht verstehen, warum einige Länder und Kommunen private Träger vom Markt ausschließen.

Rund 600 privatwirtschaftliche Kitas gibt es in Deutschland, mit gut 9400 Kindern unter drei Jahren laut Statistischem Bundesamt. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent aller Kleinkinder in den verschiedenen Einrichtungen. Vor allem im Westen fehlt es an Krippenplätzen. Selbst große Unternehmen wie der Dienstleistungskonzern Dussmann aus Berlin schrecken angesichts der strengen Regelungen davor zurück, aus Kitas ein Geschäft zu machen.

Auch im rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße, wo Carolin Hauck-Wörtge ihre Kita betreibt, werden laut Bedarfsplan Betreuungsplätze für unter Dreijährige gebraucht. "Mit unseren Plätzen im Lummerland könnte der Bedarf ganz oder teilweise gedeckt werden, ohne zusätzliche Investitionskosten", sagt sie. Für 22 Kinder bietet sie einen Ganztagsplatz. Buchen die Eltern nur stundenweise, kann sie sogar 36 Kinder unterbringen.

Doch nicht alle Eltern können sich den hohen Monatsbeitrag für eine Ganztagsbetreuung im Lummerland leisten. 800 Euro kostet es, sein Kind täglich von halb neun bis halb fünf dort unterzubringen. Eine abschreckende Summe, wenn dagegen ein Platz in einer öffentlichen Einrichtung im Durchschnitt auf rund 200 Euro pro Monat kommt. Dabei ist der Platz im Lummerland für eine private Kita noch vergleichsweise günstig: Die meisten nehmen zwischen 1000 und 1400 Euro. Grund für die hohen Preise sind die Betriebskosten. Die Bundesvereinigung der Spitzenverbände geht davon aus, dass diese mit 14.000 Euro pro Platz und Jahr zu Buche schlagen.

Vorstufe eines teuren Schulinternats

Die Privatanbieter haben keine Wahl: Greift der Staat ihnen nicht finanziell unter die Arme, müssen die Eltern den Betrieb finanzieren. Sind die Preise hoch, müssen eben Kinder der Eltern her, die sich das leisten können. Daher werben die Kita-Unternehmen mit speziellen Angeboten um gut betuchte Eltern und ihren Nachwuchs. Das sei nur verständlich, meint Dieter Dohmen vom FiBS. Gleichzeitig befördere das aber die Vorurteile. Privatkitas gelten als Vorstufe eines teuren Schulinternats. Prominentes Beispiel für eine solche Luxus-Einrichtung ist die Potsdamer Kita "Villa Ritz". In edlem Ambiente lernen die Kleinen nicht nur Deutsch und Englisch, sondern auch Chinesisch. Dazu gibt es einen Wellness-Bereich im Souterrain und eine Sauna.

Die allgemeine Angst ist groß, immer mehr solcher Privatunternehmen könnten sich auf dem Markt ausbreiten und eine Bresche schlagen zwischen einer reichen Oberschicht und dem kümmerlichen Rest. Das schürt Argwohn, und der schlage sich in der zögerlichen Förderung privater Einrichtungen nieder, sagt Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Dabei gibt es in vielen Ländern und Kommunen entsprechende Gebührenordnungen, an die sich auch Private halten sollten, wenn sie öffentliche Gelder bekommen."

Eine zweite Furcht treibt Politiker und soziale Einrichtungen: In ihren Augen sind Privatanbieter besonders anfällig dafür, Profit auf Kosten der Qualität zu machen. Aber auch diesen Vorwurf lässt Katharina Spieß nicht gelten. Das sei eine Scheindiskussion, sagt sie. In Deutschland gebe es bereits Mindeststandards, an die sich alle halten müssten.

Private Kitas lohnen sich für Betreiber nur selten

Vor der Einführung des Gesetzes zur Kinderförderung im Dezember 2008 diente ein Fall aus Australien als abschreckendes Beispiel. Dort wurde dem Unternehmer Eddy Groves mit seinem Kitaimperium "ABC-Learning" vorgeworfen, Millionen zu scheffeln, während die Qualität in seinen Einrichtungen jämmerlich geworden sei. Als der Kita-König Pleite ging, stritten Verantwortliche rund um den Globus über die Gefahren einer Betreuungsindustrie.

Ein Scheingefecht: In Deutschland gebe es zur Genüge Qualitätsstandards, sagt Matthias Schilling von der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik an der Technischen Universität Dortmund. Das bedeutet allerdings auch hohen Investitionsaufwand und damit Kosten. "Es ist derzeit hoch unattraktiv, eine privatwirtschaftliche Kita zu betreiben. Da braucht man schon ein wirklich qualitativ überzeugendes Angebot."

Unternehmer Jürgen Reul stimmt ihm da zu. Der Geschäftsführer der kleinen Kita-Kette "Villa Luna" aus Nordrhein-Westfalen und Frankfurt sagt: "Wir können es uns gar nicht leisten, schlechte Qualität abzuliefern und dadurch unseren Ruf zu gefährden." Reul betreibt vier Kitas, in Aachen, Düsseldorf und Frankfurt. Auch er hat keinerlei Förderung bekommen und nimmt rund 1000 Euro pro Monat für einen Platz. "Die Eltern bezahlen viel Geld und stellen automatisch einen sehr starken Dienstleistungsanspruch an uns - dem wir in jedem Fall nachkommen wollen", sagt Reul. Qualität und Flexibilität bei den Betreuungszeiten seien die zwei Säulen seines Konzepts.

Der Kampf um öffentliche Fördergelder ist hart

"Damit versuche ich mich natürlich auch von den Leistungen städtischer Einrichtungen abzusetzen." Die müssten sich nämlich in der Regel an starre Betreuungsschlüssel halten, wonach ein Betreuungsangebot zu sehr frühen oder sehr späten Zeiten meist unmöglich sei. In der Villa Luna wählen die Eltern zwischen maximal fünf vollen Tagen und zwei Vormittagen. "Damit helfen wir den arbeitstätigen Eltern am besten", so Reul.

Hinzu kommt: In öffentlichen Kitas kümmerten sich meist nur zwei Betreuerinnen um eine Gruppe von Kindern. "Wir setzen immer drei Fachkräfte ein, um den Bedürfnissen der Kinder besser nachkommen zu können." Bilinguale Sprachförderung, Deutsch und Englisch, Musik- und Kunstpädagogen sowie eine Diplom-Chemikerin sollen das Angebot komplett machen. "In den ersten Jahren war das Geschäft wirklich hart", sagt Reul, "mittlerweile geht es ganz gut". In Zukunft will er sein Geschäft ausweiten. Hamburg, Köln und Stuttgart hat er im Auge.

Carolin Hauck-Wörtge backt kleinere Brötchen: "Ich will einfach nur von meinem Betrieb leben können", sagt sie. Darum kämpft sie für öffentliche Fördergelder in Rheinland-Pfalz. Jetzt wartet sie auf die Rückmeldung von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen hatte sie auch schon geschrieben. Die heutige Arbeitsministerin versicherte ihr, wie wichtig privatwirtschaftliche Einrichtungen seien und sprach von einheitlichen Regelungen für alle Träger. Es blieb beim Lippenbekenntnis.