Regimekritiker Lebedew

"Russland ist fast so korrupt wie Simbabwe"

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Tina Kaiser

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Der Milliardär Alexander Lebedew ist einer der wenigen Russen, die sich trauen, ihre Regierung zu kritisieren. Bereits fünf Mitarbeiter seiner oppositionellen Tageszeitung "Novaja Gazeta" wurden ermordet. Für seine Reporter fordert Lebedew jetzt Waffen – und er kandidiert sogar für ein politisches Amt.

Alexander Lebedew ist ein Medienprofi. Zum Interview kommt er nicht mit einer langweiligen Limousine daher, sondern wackelt mit einem Kinderroller um die Ecke des Londoner „Haymarket Hotels“: „Bei meinem Wahlkampf in Sotschi kam der so gut an, dass ich dachte, der macht sich sicher gut in der Zeitung.“

In Sotschi, wo 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden sollen, tritt der 49-Jährige gerade als Bürgermeisteranwärter an. Seine Kandidatur wurde allerdings am Montag von einem Gericht annulliert. Es ist nicht das einzige Verfahren, bei dem der Besitzer des Mischkonzerns National Reserve Corporation auf Widerstand stößt. Das deutsche Luftfahrt-Bundesamt hat seiner Fluglinie Blue Wings vor drei Wochen die Lizenz entzogen. Lebedew vermutet eine Verschwörung.

Welt am Sonntag: Herr Lebedew, haben Sie manchmal Angst, ermordet zu werden?

Alexander Lebedew: (überlegt lange) Es kommt einem in den Sinn, ab und an. Drohungen hört man immer mal wieder. Aber im Grunde habe ich die Schwelle überschritten, noch viel darüber nachzudenken. Ich könnte auch bei einem Erdbeben sterben oder einem Flugzeugabsturz. Es ist eben ein Risiko mehr, das ich habe.

Welt am Sonntag: Sie sind Mitherausgeber der „Novaja Gazeta“, jener Zeitung, deren regierungskritische Reporterin Anna Politkowskaja 2006 erschossen wurde. Werden die Mörder je gefasst?

Lebedew: Das hoffe ich, weil ich hoffe, dass sich in unserem Land etwas ändert. Auf der anderen Seite traue ich in diesem System keinem einzigen Richter, weil die Gerichte nicht unabhängig sind.

Welt am Sonntag: Als im Januar zwei weitere Mitarbeiter Ihrer Zeitung ermordet wurden, haben Sie Waffen für Ihre Reporter gefordert. Haben Sie sie bekommen?

Lebedew: Nein, die Behörden haben gesagt, das sei nicht möglich. Dabei hätten die beiden sicher eine bessere Überlebenschance gehabt, wenn die Killer davon hätten ausgehen müssen, dass sie bewaffnet sind. Jetzt sind sie tot.

Welt am Sonntag: Vielen Russen ist Kritik nicht gut ergangen. Der Geheimdienst-Dissident Alexander Litwinenko wurde ermordet, der Oligarch Michail Chodorkowski sitzt im Gefängnis. Warum laufen Sie frei herum?

Lebedew: Ich bin nicht der Einzige, der Kritik übt, aber ich tue es auf eine freundliche Art, die stets mit Fakten untermauert ist. Wenn ich zum Beispiel sage, dass die russische Bürokratie in den vergangenen vier Jahren 500 Milliarden Dollar in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, kann ich das beweisen. Das ist ziemlich konservativ geschätzt, nebenbei gesagt.

Welt am Sonntag: Wie können Sie das beweisen?

Lebedew: Das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Wichtiger ist doch, dass man mit diesem Geld die ganze Infrastruktur von Russland hätte modernisieren können. Wir hätten richtige Straßen bauen können, die nicht jedes Jahr 30.000 Menschenleben fordern.

Welt am Sonntag: Sie waren bis 1992 beim KGB. Kämpfen Sie deswegen für ein besseres Russland – um Ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen?

Lebedew: KGB verwirrt die Leute, ich bevorzuge Geheimdienst. Und ich habe keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben.

Welt am Sonntag: Sie dienten einer Diktatur.

Lebedew: Ich habe in London Zeitungen ausgewertet und an Moskau berichtet, wie unsere Wirtschaft im Vergleich zu England oder Deutschland aussah. Wir sahen natürlich ziemlich alt aus. Das war eine frühe Form der Perestroika: Wir waren damals die Einzigen, die die Wahrheit sagen durften.

Welt am Sonntag: Wenn es nicht Ihr Gewissen ist, wieso leisten Sie dann Widerstand?

Lebedew: Ich bin ein großer Fan von Michail Gorbatschow, und wir sind gute Freunde. Als letzter Präsident der Sowjetunion hat er uns die Freiheit zurückgegeben. Aber er hat uns nicht beigebracht, wie man sie nutzt. Ich weiß, wie es ist, in einem unfreien Land zu leben, und ich will diese Freiheit schützen. Vor Kurzem hat mich ein englischer Journalist gefragt, ob der britische Premier Gordon Brown genug Charisma habe. Sein Charisma ist mir egal, er handelt in der Finanzkrise sehr effizient, das ist wichtig. Wir haben jemanden mit einer Wählerquote von 80 Prozent, der absolut nichts gegen die Krise tut.

Welt am Sonntag: Sie meinen Wladimir Putin?

Lebedew: Er ist unser Ministerpräsident.

Welt am Sonntag: Glauben Sie, dass sich Putins Politik durch die Finanzkrise ändert?

Lebedew: Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass die Finanzkrise Russland hilft. Stellen Sie sich stattdessen vor, es hätte keine Krise gegeben, der Ölpreis wäre im September auf 200 Dollar gestiegen, in den USA hätte nicht Barack Obama, sondern John McCain die Präsidentschaftswahl gewonnen. Dann hätte Russland wie einst der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow auf den Tisch gehauen und die Vereinten Nationen unter Druck gesetzt. Also danke ich Gott, dass er uns mit der Krise eine Lehre erteilt hat.

Welt am Sonntag: Und wie lautet die?

Lebedew: Russland war und ist ein unterentwickeltes Land. Seit 60 Jahren wurde an der Infrastruktur nichts getan. Viele Leute leben in Häusern, die noch zu Stalins Zeiten gebaut wurden und eigentlich nicht mehr menschenwürdig sind. Unsere Wirtschaft ist primitiv und produziert nichts. Wir haben nicht mal ordentliches Benzin. Russland hat sich allein auf seine Rohstoffe konzentriert. Wenn jetzt die Rohstoffpreise fallen, klappt die Wirtschaft zusammen. Kein Wunder.

Welt am Sonntag: Sie haben Ihre eigenen Probleme mit der Finanzkrise. Das deutsche Luftfahrt-Bundesamt (LBA) hat Ihrer Fluggesellschaft Blue Wings Ende März die Lizenz entzogen, da finanzielle Rücklagen fehlten.

Lebedew: Das ist absoluter Nonsens. Als die uns gesagt haben, dass eine Million Euro fehlt, habe ich die vor drei Wochen sofort von meinem Privatvermögen gezahlt. Dann noch mal 2,5 Millionen und dann weitere 6,5 Millionen Euro. Das Geld ist da, aber wir haben immer noch keine Genehmigung.

Welt am Sonntag: Sie wollten Angela Merkel einen Brief schreiben. Hat sie geantwortet?

Lebedew: Die deutsche Seite hat mir davon abgeraten. Angela Merkel ist aber vielleicht auch nicht der richtige Ansprechpartner. Es wäre der Regulator, aber der war ebenso wie sein Stellvertreter in Urlaub, als die Lizenz entzogen wurde. Irgendein unwichtiger Kerl hat das ganze Zeug beim LBA in Düsseldorf unterschrieben. Als ich das gehört habe, konnte ich es nicht glauben und dachte, ich bin in Russland.

Welt am Sonntag: Würden Sie wieder in Deutschland investieren?

Lebedew: Ich weiß nicht, und ich weiß auch nicht, ob ich den Flugbetrieb überhaupt wieder aufnehmen werde, selbst wenn wir die Lizenz bekommen. Dass unsere Maschinen am Boden bleiben, hat uns bislang 30 Millionen Euro gekostet; Imageschaden nicht eingerechnet. 400 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Wegen eines Gesetzes zwingt man eine Firma in die Knie und lässt sie pleitegehen? Also vielen Dank auch, ich glaube nicht, dass ich das weiter mitmache.

Welt am Sonntag: Wer hätte ein Interesse daran, Blue Wings zu schaden?

Lebedew: Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass ich gerade jetzt für das Bürgermeisteramt in der russischen Olympiastadt in Sotschi kandidiere. Es gibt eine Menge Leute in Russland, die darüber unglücklich sind. Ich überlege, ob es eine Verbindung gibt. Das wäre nicht so unwahrscheinlich. Es ist nur ein kleiner Bürokrat in Düsseldorf.

Welt am Sonntag: Sie vermuten einen russischen Komplott, um einen Sieg bei den Wahlen in Sotschi Ende April zu verhindern?

Lebedew: Einen Beweis habe ich nicht, aber vielleicht will mir jemand eine Lektion erteilen. Ich habe zwei Wochen mit dem Ärger verschwendet, statt mich um den Wahlkampf zu kümmern.

Welt am Sonntag: Ein Gericht hat Sie am Montag von der Kandidatenliste für die Bürgermeisterwahl in Sotschi gestrichen.

Lebedew: Wegen irgendwelcher Formfehler, ja. Aber ich gehe weiter davon aus, dass ich antreten kann.

Welt am Sonntag: Wer wäre daran interessiert, dass Sie nicht Bürgermeister werden?

Lebedew: Einige wichtige Leute in Moskau. Dieselben, die am Montag diesen Gerichtsunsinn in Sotschi initiiert haben.

Welt am Sonntag: Meinen Sie Putin und Präsident Dimitri Medwedew, wenn Sie von Leuten in Moskau sprechen?

Lebedew: Medwedew nicht. Putin? Glaube ich nicht, ich hab ihn ewig nicht gesehen. Ich vermute Wladislaw Surkow dahinter, den stellvertretenden Leiter des Präsidialamts. Er scheint mich nicht zu mögen. Aber ich bin zu wichtig, um mich komplett zu ignorieren.

Welt am Sonntag: Wieso wollen Sie überhaupt Bürgermeister werden?

Lebedew: Russland ist eines der korruptesten Länder der Welt, fast so schlimm wie Nigeria oder Simbabwe. Weil diese Länder nicht das viele Geld durch das Öl und das Gas haben, das die Korruption in unser Land gebracht hat. Ich will den Job, um das in Sotschi bei Olympia 2014 zu verhindern. Ich hätte gern ein Experimentierfeld, um zu beweisen, dass man eine Stadt ohne Korruption führen kann. Viele Leute finden mich deswegen gut, weil sie denken, ich bin so einer wie der New York Bürgermeister Michael Bloomberg: Ich habe genug Geld und bin definitiv nicht daran interessiert, Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften. Was jeder Beamte in Russland tut – vom Polizisten auf der Straße bis zum Bürgermeister.

Welt am Sonntag: Das US-Magazin „Forbes“ hat errechnet, Ihr Vermögen 2008 sei um 2,5 Milliarden Dollar geschrumpft.

Lebedew: Ja, das ist totaler Quatsch. Ich werde nächste Woche auf meinem Internet-Blog meine Finanzen aufführen. Die „Forbes“-Leute scheinen nicht sehr gebildet zu sein. Es ist nur etwa eine Milliarde Dollar, die ich verloren habe.

Welt am Sonntag: Immer noch sehr viel. Sind Sie deswegen mit dem Roller gekommen?

Lebedew: Nein, ich dachte einfach nur, das sei lustig.