Bundeskanzlerin Angela Merkel ging am Montag jedenfalls über die Hannover Messe und versuchte, Frohsinn und Optimismus zu verbreiten. Die weltgrößte Leistungsschau der Industrie sei vielleicht „ein kleines Signal, dass wir langsam am Tiefpunkt angekommen sind“, so die Kanzlerin bei ihrem traditionellen Rundgang. Sie sei sehr erfreut darüber, dass sehr viele Unternehmen trotz Krise die Messe als Chance nutzten und sich dort präsentierten.
Die staatstragende Zuversicht wird offenbar zunehmend durch harte wirtschaftliche Daten gestützt: Die wichtigsten deutschen Industrieverbände rechnen spätestens für das zweite Halbjahr mit Entspannung. Schon jetzt seien Anzeichen zu bemerken, dass sich Kunden aus Brasilien, China und Indien mit Investitionsgütern eindecken würden. „Entscheidend ist nicht, wie tief die Krise wird, sondern wie lange sie anhält“, sagte Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Industrie (BDI).
Schon in den letzten fünf Jahren vor der Krise zeigte sich, dass die deutsche Wirtschaft nur deshalb einen Boom erlebte, weil die Industrie doppelt so stark zulegte wie die anderen Wirtschaftszweige. Keitel: „Deshalb muss Deutschland gerade in der Krise die Zeit danach im Blick haben.“ Die Lage der einzelnen Branchen unterscheidet sich jedoch deutlich. Und die Aussichten ebenfalls.
Maschinenbau
Die zuletzt arg gebeutelte deutsche Vorzeigebranche gibt sich betont optimistisch. „Wir rechnen ab Jahresmitte mit dem Ende der bisherigen Talfahrt“, sagte Hannes Hesse, der Hauptgeschäftsführer vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Wir spüren bereits wieder Zuwächse beim Auftragseingang in China, Brasilien und Indien.“ Zuvor waren die Orders seit Mitte 2008 kontinuierlich gesunken, zuletzt sogar um 50 Prozent. Darüber hinaus rechnet Hesse mit positiven Auswirkungen der Konjunkturpakete sowie mit einem Abebben der zuletzt hohen Storno-Zahlen, zumal die Lager der Kunden mittlerweile leer seien.
Die Bilanz des laufenden Jahres können steigende Auftragszahlen nicht mehr retten. „Wir gehen nicht davon aus, dass es eine Blitzerholung geben kann“, so Hesse. Der VDMA rechnet daher für 2009 mit einem Produktionsminus von bis zu 20 Prozent, zumal die Umsätze im Januar und Februar bereits um 23 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres lagen. Das hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Zwar versuchen die Maschinenbauer Entlassungen weitgehend zu vermeiden. Denn nachdem sie in der letzten Abschwungphase stark Personal abgebaut hatten, waren viele im Aufschwung anfangs durch Personalmangel nicht lieferfähig. Trotzdem rechnet der VDMA mit einem Abbau von 25.000 Arbeitsplätzen. Derzeit haben gut 100.000 der insgesamt 975.000 Beschäftigten Kurzarbeit.
Energie
Die deutsche Energiewirtschaft hatte für ihre Kunden aus der Industrie gute Nachrichten mit nach Hannover gebracht: In den vergangenen sechs Monaten seien die Strompreise für Großabnehmer drastisch gefallen, teilte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit. Derzeit lägen sie um 26 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor, so BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller. Insbesondere für die energieintensiven Unternehmen der Metall verarbeitenden Branchen eine Entlastung. „Ohne Staatslasten liegen die Industriestrompreise sogar unter dem Niveau vor zehn Jahren.“ Bleiben die Großhandelspreise für Elektrizität so niedrig wie derzeit, könnten ab Ende des Jahres private Stromabnehmer in den Genuss fallender Preise kommen.
Die Energiekonzerne leiden derzeit nicht nur unter den stark gefallenen Großhandelspreisen, sondern direkt unter den Folgen der Wirtschaftskrise. So ging im ersten Quartal dieses Jahres der Stromabsatz um vier Prozent zurück, die Gasverkäufe um sechs Prozent. Einen Absatzeinbruch von durchschnittlich fünf Prozent gab es seit dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie nach 1990 nicht mehr. „Grund ist natürlich der Rückgang beim Industrieverbraucher“, sagte Müller.
Trotz der vergleichsweise niedrigen Industriestrompreise und des Absatzrückgangs will die Energiewirtschaft ihre Investitionen in diesem Jahr erhöhen. Insgesamt planen die Unternehmen für neue Kraftwerke, Gas- und Stromnetze Ausgaben von 12,4 Mrd. Euro ein. Das ist fast doppelt so viel wie noch 2007, als die Energiekonzerne 7,5 Mrd. Euro investierten. Derzeit seien 25 Kraftwerke im Bau, insgesamt 60 sollen bis zum Jahr 2018 errichtet werden, sagte BDEW-Chefin Müller: „Dieses Engagement der Energiewirtschaft ist umso höher zu werten, als es gegen den allgemeinen wirtschaftlichen Trend läuft.“
Elektronikindustrie
Die Elektronikbranche setzt wie der Maschinenbau auf das zweite Halbjahr. Zwar brach der Umsatz im Januar und Februar um stattliche 29 Prozent ein. Für das Gesamtjahr rechnet der Branchenverband ZVEI mit einem Minus von zehn Prozent. „Auch wir fahren nur noch auf Sicht“, beschreibt Verbandspräsident Friedhelm Loh. Es gebe aber auch Sparten, die sich trotz Krise positiv entwickeln. So konnte beispielsweise die Medizintechnik zu Jahresbeginn noch einstellige Zuwachsraten verbuchen.
Loh zufolge ist das derzeit aber noch eine Ausnahme. Daher haben rund zwei Drittel der ZVEI-Mitgliedsfirmen Kurzarbeit angemeldet. Und ebenso viele planen einen Stellenabbau, sollte sich die Lage im zweiten Halbjahr nicht deutlich verbessern. Und das könnte passieren, wenn ihre Kunden für Aufträge keine ausreichende Finanzierung mehr erhalten. Der Markt für Kreditversicherungen sei extrem schwierig. „Hier werden Limits gekürzt und Prämien massiv erhöht“, kritisierte der Unternehmer. Das sei ein „Pulverfass“ für die gesamte Wirtschaft. Die Unternehmen hätten Schwierigkeiten, die Liquidität zu sichern. Das werde „den Druck auf eine Reduzierung der Kosten“ weiter erhöhen, so Loh. Einen Ausblick für das Gesamtjahr will der Verband mit 827.000 Mitarbeitern daher nicht konkret geben. Schon 2008 stagnierte der Jahresumsatz bei 182 Mrd. Euro.
Zulieferindustrie
Die Krise der Automobilindustrie wird zu einer großen Konsolidierungswelle in der Zuliefererbranche führen. Nach einer aktuellen Umfrage des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung (WSV) prüft derzeit jedes zehnte Unternehmen der insgesamt 8000 Firmen ein Zusammengehen mit Konkurrenten. Damit reagieren die Unternehmen auf die sich verschärfende Wirtschaftslage.
So lag der Auftragseingang im ersten Quartal 2009 gut 40 Prozent unter dem des Vorjahres. Und auch für die nächsten Monate geht die Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie nicht von einer schnellen Erholung aus: Der Lagerabbau bei den Kunden sei noch nicht abgeschlossen, Neubestellungen daher nicht geplant. Bei der Jahresproduktion erwartet die Arbeitsgemeinschaft daher ein Minus von 20 Prozent.
Dies könnte auch dazu führen, dass noch mehr Zulieferer in die Insolvenz müssten. Dies könnte dann an die Substanz der Branche gehen, die weltweit zu den führenden gehört. Ein Jobabbau unter den 900.000 Mitarbeitern wird wohl im zweiten Halbjahr unumgänglich sein, auch wenn die Branche ab dem Sommer mit einer Entspannung rechnet. Dann würden auch die Konjunkturprogramme endlich branchenweit greifen, so der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, Theodor Tutmann.