Die 750 Kilogramm schwere Stahltür würde einer Panzerfaust trotzen. Axel Eichel öffnet sie nur mit seinen blauen Augen und seinem Schnauzbart. Ein Gesichtsfeldscanner tastet die Züge des Iron-Mountain-Mitarbeiters ab und gewährt Zutritt. Oder auch nicht. „Zunehmen darf ich nicht", sagt der für Norddeutschland zuständige Vertriebsbeauftragte des Konzerns. Er lässt die schwere Tür geräuschvoll zufallen und sperrt das sonnige Hamburg hinter sich aus.
Iron Mountain bewacht keine Juwelen oder Goldbarren, sondern Informationen. Im Hamburger Hochsicherheitsbunker des US-Unternehmens lagern geheime Akten und 65.000 Bänder mit existenziell wichtigen Daten Hunderter Kunden. Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs vor drei Wochen rückte die Sicherheit von Daten und Original-Dokumenten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler Firmenchefs. Denn das Unglück erinnerte sie daran, dass die sichere Lagerung von Daten überlebenswichtig sein kann.
Den Kölnern habe man bereits Hilfe angeboten und Gespräche mit der Stadt und dem Krisenstab geführt, sagt Eichel. Vom Know-how der privaten Archivierungsfirmen könnten auch Behörden profitieren, glaubt er. Seine Schritte hallen hinter den 1,40 Meter dicken Stahlbetonwänden. Zwischen ihnen bleibt die Temperatur immer gleich, egal ob draußen tropische Hitze oder Eiseskälte herrscht. Ein Thermostat reguliert die Temperatur auf für Akten angenehme 18 Grad. Der Bunker hat sich bereits im Zweiten Weltkrieg bewährt, diverse Einschusslöcher auf der Außenwand bezeugen seine Sicherheit.
Banken, Versicherungen, Rechtsanwälte, Industrieunternehmen, Wirtschaftsprüfer – sie alle vertrauen Iron Mountain ihren wertvollsten Besitz an. Dafür ist das Gebäude rund um die Uhr mit Polizei, Feuerwehr und dem Wachdienst vernetzt. Falls ein Brand ausbricht, wird mit dem Gas Argon gelöscht, denn Wasser könnte die wertvollen Tapes zerstören.
Die höchste Sicherheitsstufe verlangt ein Frankfurter Unternehmen für sein Backup-Rechenzentrum, erzählt Axel Eichel. Sollte dieses ausfallen, lagern die Ersatzdaten in versiegelten Koffern hinter verschlossenen Türen im Iron-Mountain-Bunker. Zwei Wagen mit jeweils zwei Personen müssen diese Koffer dann sofort nach Frankfurt bringen.
Soviel Sicherheit hat seinen Preis: „Wir haben weit über 200 Millionen Dollar in den letzten zehn Jahren allein für die Aufrüstung von Gebäuden ausgegeben, deren Sicherheitsstandards unseren Ansprüchen nicht mehr genügten", rechnet Konzernchef Bob Brennan vor. Darin sind die Schulungen für seine 20.000 Mitarbeiter und die Sicherheitskontrollen der firmeneigenen Lastwagen noch gar nicht enthalten.
Brennans Firma ist im Besitz der Daten von mehr als 120.000 Firmen in 38 Ländern. Auf allen fünf Kontinenten kennt man die weiß-blauen Iron-Mountain-Kartons. Nicht immer im positiven Zusammenhang. Die Bilder, auf denen Mitarbeiter der Pleitebank Lehman Brothers mit Iron-Mountain-Kartons ihr Londoner Büro verließen, gingen um die Welt. „Das war nicht nur ein schwerer Schlag für Lehman", sagt der Deutschland-Chef von Iron Mountain, Hans-Günter Börgmann. „Wir haben jedoch insofern Glück, als dass der Insolvenzverwalter die von uns gelagerten Akten bis zum Schluss braucht." Iron Mountain kann sich also sicher sein, bis zur endgültigen Abwicklung von Lehman bezahlt zu werden.
Auf den Kartons ist außen lediglich ein Barcode angegeben, damit niemand sofort den Kunden namentlich erkennt. Zu den wenigen, die mit der Nennung ihrer Namen einverstanden sind, gehören der Versicherungsriese Allianz oder der Softwarespezialist IBM. Dax- und Dow-Schwergewichte vertrauen Iron Mountain, auch mehr als 80 der 100 im Londoner Börsenindex FTSE gelisteten Firmen lassen ihr Archiv hier managen.
Das Vertrauen zahlt sich aus. Seit zwei Monaten ist Iron Mountain selbst im Börsenindex S&P 500 gelistet, der die 500 größten börsennotierten US-Unternehmen umfasst. Seit dem Börsengang vor zwölf Jahren stieg der Umsatz um das Fünfzehnfache. 2008 durchbrach er erstmals die Drei-Milliarden-Dollar-Grenze.
Den Erfolg erklärt Ulrich Kampffmeyer von der auf Dokumentenmanagement spezialisierten Unternehmensberatung Project Consult mit der Marktstellung des Unternehmens: „Iron Mountain ist eine der wenigen Firmen, die sowohl die vier Archivservices – also das Erfassen, die Archivverwaltung, Archivspeicher und Archivnutzung – als auch die herkömmliche Sicherung von elektronischen und papiergebundenen Informationen anbietet." Konkurrenten wie die Logistiker Deutsche Post IT Services, Rhenus oder die niederländische TNT böten meist nur einen Bereich an.
Weil es neue, verschärfte Regularien für den Finanzsektor gibt, könnte Iron Mountain sogar von der Wirtschaftskrise profitieren. Bereits jetzt ist die physische Archivierung für Verträge, Steuerunterlagen oder Buchungsbelege gesetzlich vorgeschrieben. Bis zu zehn Jahre müssen Unternehmen solche Dokumente aufbewahren. Aus Kostengründen entscheiden sich daher immer mehr Unternehmen für das Auslagern ihrer Archive. Der größte Schweizer Lebensversicherer Swiss Life entschied sich bereits 1999, seine Papierakten in die Iron-Mountain-Datencenter zu verlagern.
Doch nicht nur die Nachfrage nach Lagermöglichkeiten steigt. Die Firmen wollen außerdem einen sofortigen Zugriff auf alle Kunden- und Personalakten haben. Iron Mountain spezialisiert sich daher neuerdings auch auf das Scannen und das elektronische Bereitstellen von Firmenunterlagen. Die E-Version ist dann über ein Internetportal jederzeit abrufbar. Die Original-Akte kann bei Bedarf zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Kunden geschickt werden. Vor zwei Jahren entschloss sich Swiss Life daher, seinen Altbestand an Akten zu digitalisieren. 80.000 Akten, einen acht Kilometer hohen Stapel, scannten die Iron-Mountain-Mitarbeiter über vier Monate lang ein.
Svenja, eine junge Mitarbeiterin im neuen Hamburger „Scanning Centre of Excellence", hat solche Aktenberge im Griff. Schnell und geschickt entfernt sie Heftklemmen, Post-its oder Büroklammern aus den Akten, denn nichts darf in die hochempfindlichen Scan-Maschinen fallen. Die hohen Sicherheitsanforderungen gelten auch für die Mitarbeiter: Einmal jährlich muss Svenja ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen.
Ende 2006 übernahm Iron Mountain das Scanning Center von der Lufthansa. Das Tochterunternehmen scannte damals die gebrauchten Flugtickets und verrechnete anhand der Daten die Einnahmen mit anderen Fluggesellschaften. Iron Mountain führt diese Dienstleistung für die Lufthansa zwar weiter, doch das Geschäft mit den Papiertickets nimmt ab. Iron Mountain jedoch denkt strategisch: Das Know-how der ehemaligen Lufthansa-Tochter auf dem Gebiet der Dokumenten-Management-Dienstleistungen kann auch anderweitig genutzt werden.
Das Konzept ging auf. Heute rattern bis zu 8000 Dokumente pro Stunde über die Scanner. Urkunden, Passbilder, Adresskarten – und Gummibärchentüten. „Die lag einem Brief an einen unserer Kunden bei. Wir haben sie aufgeklebt und digitalisiert", erzählt Börgmann, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Brisanz der Informationen ist nicht relevant, das bisher erfolgreiche Credo lautet: Gescannt und gelagert wird, was zwischen zwei Aktendeckel passt.