Die Bundesregierung kommt aus dem Retten gar nicht mehr heraus. Nach Banken und Autobauern fordern an diesem Dienstag die deutschen Krankenhäuser Milliardenhilfen des Bundes. Das Aktionsbündnis "Rettung der Krankenhäuser" ruft Ärzte, Pflegekräfte, Angestellte und Arbeiter der Kliniken zu einer "aktiven Mittagspause" auf, um eine halbe Stunde gegen die Finanznot der Kliniken zu protestieren. Eine Finanzlücke von 6,7 Mrd. Euro hat die Krankenhauslobby ausgemacht.
Es ist aber nicht die Rezession, die Krankenhaus-Manager und ihre Beschäftigten auf die Barrikaden treibt, es ist der strikte Sparkurs von Bund und Ländern. Jede dritte Klinik steckt nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft in den roten Zahlen, mehr als 20.000 Arbeitsplätze müssten abgebaut werden. Erst im September brachte das mächtige Bündnis aus Klinikbetreibern, Gewerkschaften, Städte- und Landkreistag 700.000 Ärzte, Pfleger und Schwestern zu einer Großdemonstration in Berlin gegen das "Spardiktat der Politik" auf die Beine.
Doch wie schlecht geht es den Kliniken wirklich? Während die Krankenhäuser vor der "Finanzierungskatastrophe" und dem "Kliniksterben" warnen, widersprechen die Krankenkassen vehement. Langfristig könnten nur 1500 der heute noch mehr als 2000 Krankenhäuser überleben. Bei dem Krankenhaussterben gehe es um einen "politisch gewollten Konsolidierungs- und Konzentrationsprozess, der zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung im Krankhaussektor beitragen wird", erklärten die großen Kassenverbände in einer Anhörung im Bundestag. Sie überweisen jedes Jahr 50 Mrd. Euro an die Kliniken. Es könne nicht Aufgabe der Kassen sein, "ineffiziente Kliniken zu finanzieren, die durch Überarbeitung ihrer internen Strukturen und Prozesse sowie durch den Abbau von Überkapazitäten Wirtschaftlichkeitsreserven realisieren könnten".
Der deutsche Krankenhaussektor steckt in einem tief greifenden Strukturwandel. Durch die Einführung von Fallpauschalen hat der Wettbewerb zugenommen: Die Krankenhäuser werden nicht mehr nach Tagessätzen, sondern pauschal nach der Krankheit des Patienten bezahlt. Die Verweildauer ist dadurch dramatisch gesunken: Lag sie 1990 noch bei 14,7 Tagen, sind es heute nur noch 8,5 Tage. Pro Nacht liegen im Durchschnitt in ganz Deutschland 390.000 Menschen im Krankenhaus. Das sind 65.000 weniger als 1999. Viele Operationen werden heute ambulant vorgenommen, längere Krankenhausaufenthalte sind dafür oft nicht nötig.
Auch die Pflege hat sich zunehmend in den ambulanten Bereich verlagert. "Dass bei diesem Strukturwandel nicht alle Krankenhäuser sinnvoll erhalten werden können, liegt auf der Hand", meint Johann-Magnus von Stackelberg, Vizechef des GKV-Spitzenverbandes.
In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Krankenhausbetten bereits um 80.000 auf 510.000 zurückgegangen. Doch nur drei Viertel dieser Betten sind auch belegt. "Überkapazitäten, unzureichende Spezialisierung und bauliche Überalterung im Klinikbereich" listen etwa die Fünf Weisen die Mängel der Krankenhäuser in ihrem jüngsten Jahresgutachten auf. Verantwortlich dafür sind nicht nur der Bund, sondern auch die Länder. Denn während die Kassen den Betrieb des Krankenhauses finanzieren, sind die Länder für die Investitionen in Bauten und Apparate zuständig. Doch die Länder sparen, zahlten sie 1991 noch 3,6 Mrd. an Investitionen, waren es 2007 nur noch 2,7 Mrd. Euro.
Nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung McKinsey werden ein Drittel der Krankenhäuser den Strukturwandel nicht überleben. Das wollen aber vor allem viele Lokalpolitiker nicht hinnehmen. Nicht nur aus Prestigegründen, sondern auch weil an den Krankenhäusern Arbeitsplätze hängen. Gerade in strukturschwachen Regionen ist das Krankenhaus oft ein wichtiger Arbeitgeber. Deshalb wehren sich Kommunalpolitiker gegen die Schließung "ihrer" Klinik, auch wenn sie ein Zuschussgeschäft ist.
Die größten Überlebenschancen haben nach der McKinsey-Studie kleine, spezialisierte Häuser mit drei Fachrichtungen und 150 Betten, Allgemeinkrankhäuser mit einem breiten Leistungsspektrum und bis zu 400 Betten sowie "Maximalversorger" mit 500 bis 700 Betten. "Die Regel, wonach ein Krankenhaus besser arbeitet, je größer es ist, hat längst ausgedient", sind die Mc-Kinsey-Berater überzeugt.
Bislang fiel den Klinikmanagern vor allem eines ein, um die Kosten zu drücken: Sie sparten beim Personal. "Die Klagen der Mitarbeiter sind berechtigt", sagt denn auch Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte beim Bundesverband Verbraucherschutz. "Der wirtschaftliche Druck wird vor allem an die Pflegekräfte weitergegeben." Jede sechste Stelle wurde in den letzten Jahren wegrationalisiert. 1995 kamen noch sechs Patienten auf eine Pflegekraft, heute sind es zwanzig Patienten, klagt Marie-Luise Müller, Präsidentin des deutschen Pflegerates. Die Folge: Arbeitsverdichtung und "Minutenpflege". Das Sparpotenzial bei der Betriebsorganisation, bei der Optimierung von Abläufen und Prozessen, sei dagegen bei weitem noch nicht ausgeschöpft, glaubt Etgeton. Doch dieses Sparpotenzial zu nutzen ist schwierig: "Wo die Wirtschaftlichkeitsreserven stecken, wissen nur die, die im System arbeiten - und die haben keine Interesse, die Verschwendung aufzudecken."