Berlin . Auch die ambulanten Pflegedienste leiden unter Personalmangel. Wir haben dazu mit Experten der Caritas gesprochen.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind mit vielen Problemen konfrontiert. Aber wie stellt sich die Situation für die Anbieter von Pflegedienstleistungen dar? Wir haben mit vier Experten gesprochen, die bei der Caritas für die Altenpflege verantwortlich sind: Claudia Appelt, Swantje Kersten, Margarete May und Hans-Joachim Wasel.

Berliner Morgenpost: Wenn ich kurzfristig einen Pflegedienst für einen Angehörigen brauche, etwa nach einem Krankenhausaufenthalt: Könnten Sie mir etwas anbieten?

Hans-Joachim Wasel: Das ist problematisch. Wir möchten nicht alle verunsichern, aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir zunehmend Engpässe in der Versorgung haben. Das gilt nicht nur kurzfristig, sondern generell. Die Pflegedienste leiden auch unter Personalmangel. Die Touren sind in der Regel schon eng getaktet, besonders am Wochenende, dass man oft nur kleine Einsätze zusätzlich einplanen kann, wie eine Tablettengabe oder das Setzen einer Spritze. Wir haben das schon oft diskutiert, auch mit der Senatorin für Gesundheit und Pflege, Dilek Kolat. Es fehlt eine wirkliche Lösung. Eigentlich sind die Kranken- und Pflegekassen dafür verantwortlich, für ihre Versicherten leistungsfähige Strukturen zur Verfügung zu stellen.

Das ist die Wunschvorstellung. Aber was passiert in der Realität?

Swantje Kersten: Meist betrifft das ja medizinische Behandlungspflege nach einem Krankenhausaufenthalt, die von einem Arzt verordnet wird. Wenn kein Pflegedienst den Patienten versorgen kann, muss es der Arzt selbst tun oder der Patient muss ein paar Tage länger im Krankenhaus bleiben, bis die Versorgung gesichert ist.

Gibt es Unterschiede zwischen den Berliner Bezirken?

Wasel: Eigentlich nicht. Zum Stadtrand hin wird es immer schwieriger wegen der langen Wegezeiten.

Haben wir einen Pflegenotstand?

Kersten: Was wir haben ist einen Mangel an Kräften, das zeigt das Verhältnis der Zahl der offenen Stellen zur Zahl der Bewerbungen. Das wird auf die Schnelle auch nicht gelöst werden können.

Wie viele offene Stellen gibt es in Berlin ungefähr?

Kersten: Das wissen wir nicht genau. Es dauert aber etwa 160 bis 180 Tage, bis eine offene Stelle wieder besetzt werden kann. In der ambulanten Pflege kann man gar nicht sagen, wie viele offene Stellen es gibt. Man behandelt eben so viele Menschen, wie man Personal hat. In einem Pflegeheim lebt eine konkrete Anzahl von Pflegebedürftigen und die muss versorgt werden. Jede Unterdeckung der Personalbemessung ist dann eine offene Stelle.

Wie viele offene Stellen gibt es denn bei der Caritas?

Claudia Appelt: Im ambulanten Bereich haben wir derzeit einen Bedarf von 20 Vollzeitkräften im Jahresmittel, das wird zum großen Teil mit Leasingkräften aufgefangen. In der stationären Pflege sind acht Vollzeitstellen unbesetzt.

Welches sind die größten Schwierigkeiten, mit denen Sie zu kämpfen haben – abgesehen vom Fachkräftemangel?

Wasel: Der Fachkräftemangel ist der größte Engpass, davon leiten sich die meisten anderen Probleme ab. Wir arbeiten an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. 90 Prozent der Pflegekräfte sind Frauen und Pflege ist ein 24-Stunden-Job. Wir müssen Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen schaffen, die für Frauen zumutbar sind. Wir brauchen mehr Menschen und wir brauchen mehr Geld, um sie vernünftig zu bezahlen. Die Caritas lehnt sich bei Arbeitszeiten, Bezahlung und Urlaubstagen an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes an.

Bilden Sie mehr aus oder rekrutieren sie auch Pflegekräfte aus dem Ausland?

Wasel: Wir versuchen natürlich, unsere Ausbildungskapazitäten hochzufahren. Wir halten es nicht für den Königsweg, Pflegekräfte aus Vietnam oder China oder Kroatien zu rekrutieren. Wir glauben, dass unsere Gesellschaft das selber hinkriegen muss.

Wie viele Menschen sind zurzeit bei Ihnen in der Ausbildung?

Wasel: 118 in der Altenpflege, vor fünf Jahren waren es nur halb so viele.

Was spricht dagegen, noch mehr auszubilden?

Kersten: Es gibt nicht genug mögliche Bewerber. Wir haben den Fachkräftemangel ja nicht nur in der Pflege, wir haben ihn in allen Bereichen, zum Beispiel auch in der Polizei und in der Verwaltung. Ab dem nächsten Jahr gilt das neue Pflegeberufegesetz, da werden die Ausbildungsplätze schon durch die Praxiseinsätze limitiert, z. B, die Einsätze in der Pädiatrie, in der ambulanten Langzeitpflege, in der Psychiatrie. Die muss jeder Auszubildende durchlaufen mit einer vorgeschriebenen Anzahl von Stunden. Wir wissen im Moment nicht, ob wir die derzeitigen Ausbildungszahlen halten können. Wir müssen also an einer anderen Stellschraube drehen, das ist die Verweildauer im Beruf. Um Pflegekräfte im Beruf zu halten, müssen Bezahlung und Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Ist immer die Bundespolitik zuständig oder werden Dinge auch auf Landesebene geregelt?

Wasel: Ja, die Kostensätze in der Pflege werden immer auf Landesebene verhandelt, im Zusammenwirken der Verbände wie Caritas und Diakonie mit den Pflegekassen und dem Sozialhilfeträger. In diesen Verträgen werden die Rahmenbedingungen für die Pflege geschaffen. Fließt dabei Geld für eine bessere Bezahlung der Pflegenden und wird auch kontrolliert, dass das Geld bei den Pflegekräften ankommt, dann verbessert sich etwas. Da haben wir in den letzten Jahren bereits Einiges erreicht.

Und zahlen den Mehraufwand dann die Pflegekassen?

Kersten: Nein. Jede Verbesserung in der Pflege zahlt der Pflegebedürftige selbst. Das ist der Systemfehler der Pflegeversicherung. Deshalb gab es jetzt in vielen Heimen eine plötzliche Erhöhung der Eigenanteile.

Margarete May: Man verlagert das Problem eigentlich von den Kassen auf die Kommunen. Wenn die Rente nicht ausreicht, muss der Sozialhilfeträger eintreten, das ist Steuergeld.

Wie wirkt sich das auf die ambulante Pflege aus?

Wasel: In der ambulanten Pflege werden dann die Preise für die Leistungskomplexe angehoben. Folglich reicht das Geld der Pflegeversicherung nur noch für weniger Leistungskomplexe. Der Pflegebedürftige muss also privat zuzahlen oder er verzichtet auf Leistungen. Auch hier bezahlt er eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte letztlich selbst. Viele Menschen sind dann gezwungen, einen Antrag beim Sozialamt zu stellen. Das zahlt dann die restlichen Leistungen, denn man kann auf manche Dinge nicht verzichten. Aber man muss schon zunächst seine Rente und sonstigen Einkünfte aufbrauchen. Und die Kinder werden auch oft zur Zuzahlung herangezogen.

May: Das Sozialamt zahlt allerdings nicht alle Leistungen.

Kersten: Schwierig ist es für die Pflegekräfte besonders bei alleinstehenden Pflegebedürftigen. Die müssen denen dann sagen, dass sie bestimmte Leistungen nicht erbringen, obwohl sie eigentlich nötig sind, weil sie nicht bezahlt werden. Das ist oft ein Konfliktpunkt mit den Sozialämtern der Bezirke.

Wasel: Ein Beispiel ist der wöchentliche Einkauf. Bisher war der Standard, zweimal in der Woche für einen Pflegebedürftigen einkaufen zu gehen. Die Bezirksämter sagen schon seit einiger Zeit: einmal pro Woche reicht. Das Waschen wird man eher nicht streichen, aber beim Einkaufen, beim Saubermachen wird gekürzt.

Welche Spielräume gibt es bei der stationären Pflege?

Appelt: Man muss die Frage stellen, welche Aufgaben eine Fachkraft übernehmen muss und was ein Pflegehelfer machen kann. Die vorgeschriebene Fachkraftquote beträgt 50 Prozent. Aber muss wirklich eine Fachkraft jeden Tag die Menschen waschen oder reicht es zur Krankenbeobachtung nicht auch einmal pro Woche und sonst macht es ein Pflegehelfer? Die Fachkraftquote müsste noch einmal verhandelt werden.

Wasel: Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie viel Personal ich brauche, um etwa in einem Pflegeheim 100 Menschen angemessen zu versorgen, und wie die Fachkraftquote aussehen muss. Das hat die Bundesregierung auch erkannt, deshalb gibt es jetzt ein entsprechendes Forschungsvorhaben an zwei Universitäten. Wir wollen nicht, dass die derzeitige Mangelsituation fortgeschrieben wird. Wir wünschen uns eine angemessene, gute Personalbesetzung, die den gesetzlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff abbildet, nicht nur das Prinzip „satt und sauber“. Das Forschungsvorhaben dauert bis 2021, dann haben wir ein wissenschaftlich erarbeitetes Personalbemessungssystem. Aber ob es dann angewandt wird? Eigentlich wissen wir, was rauskommen wird: Wir brauchen 10 bis 20 Prozent mehr Personal. Aber wo soll das herkommen? Und wer soll es bezahlen? Das würde auch wieder zu einer Verteuerung der Pflege führen.

Sehen Sie in der ambulanten Pflege auch das Problem, dass Pflegekräfte unbezahlte Überstunden machen, weil sie die Pflegebedürftigen nicht „hängen lassen“ wollen?

Appelt: Das ist immer wieder ein Diskussionspunkt. Ein alltägliches Beispiel ist der Müll. Die Pflegekraft kann sagen: Wenn ich sowieso runtergehe, kann ich auch den Müll mitnehmen. Auf der anderen Seite ist dies eine Leistung, die der Kunde auch bezahlen muss. Es wird dann gesagt, die Pflegekraft sei ja sowieso schon da. Aber es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass eine Dienstleistung auch bezahlt werden muss, egal um welche Dienstleistung es sich handelt. Es geht nicht darum, jede Kleinigkeit aufzurechnen, aber es geht um das grundsätzliche Verständnis. Da muss ein Gleichgewicht vorhanden sein.

Wasel: Das ganze Bezahlsystem in der Pflege läuft darauf hinaus, den Druck an das schwächste Glied in der Kette weiterzugeben, das ist die Pflegekraft vor Ort. Wir haben meist pauschale Bezahlsysteme, ich bekomme also Geld für eine bestimmte Leistung. Wenn ich schneller bin, mache ich Plus, wenn ich langsamer bin, mache ich Minus. Das heißt, auch die gutwilligste Pflegedienstleitung sorgt dafür, dass die Pflege zügig erfolgt. Da gibt es natürlich eine moralische Grenze, auch eine pflegefachliche. Aber der Druck kommt immer bei der Pflegekraft an. Die Bezahlsysteme sind auch so gewollt. Den Konflikt müssen die Pflegekräfte aushalten, nicht das System. Wir haben lange übersehen, dass die Bezahlsysteme die Pflege verändert haben zu einer Renn- oder Hetzpflege. Es geht immer um die Zeit, und es ist nie jemand zufrieden in dem System. Das hat die Pflegebranche kaputt gemacht und das zermürbt viele Pflegekräfte.

Appelt: Warum sind die Leute in den Beruf gegangen? Viele sagen, ich wollte helfen und etwas Sinnvolles machen. Und wenn man fragt, was schön ist in dem Beruf: die Dankbarkeit. Das ist der Motor. Wenn das in dem System zerrieben wird, ist die Motivation nicht mehr da. Dann muss man sich nicht wundern, wenn kaum noch jemand in diesen Beruf gehen will.

Kersten: Wenn eine bestimmte Leistung vertraglich gebucht ist, zum Beispiel große Körperpflege, dann muss diese Leistung erbracht werden, auch wenn der Pflegebedürftige gerade etwas anderes braucht und möchte, zum Beispiel ein Gespräch. Die Pflegekraft darf dieselbe Zeit nicht nach den aktuellen Bedürfnissen der pflegebedürftigen Menschen einsetzen. Das passt nicht in die Pflege und nicht zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Es wäre gut, wenn man nicht Leistungen verkaufen würde, sondern Zeit. Das könnten Pflegekraft und Pflegebedürftige täglich neu verhandeln. Dann würde auch wegfallen, dass Pflegedienstleistungen ihre Mitarbeiter antreiben, Leistungen schneller zu erbringen.

Finden Sie mit einem solchen Modell der zeitbezogenen Vergütung Gehör?

Wasel: Ja, das sind ja auch schlagende Argumente. Wir stoßen aber auch auf große Widerstände. Die Kostenträger, also die Pflegekassen, wollen das nicht. Sie sagen, das kostet dann mehr. Ja, natürlich. Soll es ja, weil wir die Hetze rausnehmen wollen. Und die Pflegedienste müssten dazu eine transparente Kalkulation vorlegen. Das wollen viele nicht.

Kersten: Die Chance, höhere Gewinne zu generieren, wäre geringer ist als bei der heutigen Vergütung nach Leistungskomplexen. Es wäre auch nicht mehr so leicht, Leistungen abzurechnen, die gar nicht erbracht wurden. Über die Zeiterfassungssysteme, die die Pflegekräfte in der ambulanten Versorgung ja heute schon mit sich führen, würde das schnell auffallen.

Ist die heutige Vergütung der Leistungskomplexe einheitlich?

Wasel: Die Preise sind letztlich bei allen Pflegediensten gleich. Aber was für diesen Preis geleistet wird, ist unterschiedlich: die Qualifikation des Mitarbeiters, wieviel Gehalt er bekommt und wieviel Zeit er vor Ort verbringt.

Appelt: Wir haben einen Altersdurchschnitt von 47 Jahren bei unseren Pflegekräften. Und die Tarifstruktur erkennt Erfahrungsstufen an. Wer dienstälter ist, bekommt mehr Geld. Da ist es extrem schwierig, überhaupt noch einen Gewinn zu erwirtschaften.

Wollen Sie denn als Caritas einen Gewinn erwirtschaften?

Appelt: Als Träger wollen wir 2,5 Prozent Umsatzrendite erzielen. Wir müssen ja auch nachhaltig in unsere Gebäude, die Pflegeheime, Seniorenzentren und Seniorenwohnhäuser, investieren. Aber wir schaffen diese Rendite gar nicht.

Und die privat geführten Betriebe?

Wasel: Da werden offenbar teilweise zweistellige Umsatzrenditen erwartet. Es gibt große Unterschiede in der Bezahlung der Mitarbeiter und in der Betriebsführung. Natürlich gibt es auch Private, die ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen, aber Pflege kann ein lukratives Geschäft sein. Selbst amerikanische Großkonzerne investieren in deutsche Pflegeketten. Hier gibt es über die Pflegeversicherung feste Kostenträger, das kennen viele andere Länder gar nicht. Und wegen der demografischen Entwicklung ist das ein krisensicheres Geschäft, vorausgesetzt ich finde genügend Pflegepersonal.

Stimmt es, dass nicht alle Leistungen, die in der häuslichen Pflege erbracht werden, auch bezahlt werden?

Wasel. In der medizinischen Behandlungspflege kommt es vor, dass wir vier oder fünf Leistungen erbringen für ein Entgelt, weil es auch dafür eine Gruppenvergütung gibt. Manche Leistungen sind über-, andere unterfinanziert. Das Wechseln von Wundverbänden zum Beispiel ist aufwendig und wird viel zu gering vergütet. Es ist ein intransparentes und völlig irrationales Bezahlsystem und insgesamt wenig sinnvoll.

Lehnen Pflegedienste also neue Kunden ab, wenn klar ist, dass sie bei diesem Menschen draufzahlen?

Wasel: Eine verantwortungsvolle Pflegedienstleitung muss einen Kunden ablehnen, wenn klar ist, dass die Mitarbeiter, die ohnehin schon auf dem Zahnfleisch gehen, ihn nicht auch noch mitbetreuen können. Bei Personalmangel ist das auch gestattet. Vor diesem Hintergrund des Personalmangels werden Kunden aber auch nach Ertrag sortiert. Wie stark das geschieht, hängt von dem Träger und den Zielvorgaben des Pflegedienstes ab. Wir streben auch bei der medizinischen Behandlungspflege eine Vergütung nach der notwendig aufzuwendenden Zeit an.

Wie beurteilen Sie Maßnahmen und Reformen des Bundes und des Senats zur Verbesserung der Pflege? Was davon ging in die richtige Richtung?

Wasel: Man muss dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe dankbar sein. Er hat im Unterschied zu seinen Amtsvorgängern etwas bewirkt. Er hat mehrere Pflegestärkungsgesetze auf den Weg gebracht, die zu deutlichen Verbesserungen geführt haben. Die Sachleistungsbeträge der Pflegeversicherung wurden deutlich erhöht, damit wurde die Bezahlung der häuslichen Pflege erträglicher. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz konnten wir die Personalrichtwerte in der stationären Versorgung deutlich verbessern, auch in Berlin. Das ergab einen Zuwachs von acht bis zehn Prozent. Das hat die Pflege deutlich teurer gemacht, aber für die Pflege war es richtig. Der Weg, den die Bundespolitik geht, ist richtig. Man könnte einwenden, sie reagiert nur auf die Angst, dass dass System zusammenbricht.

Und: Bricht es zusammen?

Wasel: Das System ist kurz davor. Man sieht es in der ambulanten Pflege. Zudem haben etliche Pflegeheime in Berlin einen freiwilligen Aufnahmestopp, weil sie nicht genügend Personal haben. Es würde im Moment gar keinen Sinn machen, in Berlin ein neues Pflegeheim zu bauen, um die Versorgung zu verbessern. Ich finde ja doch kein Personal dafür.

Kersten: Es ist zu einer Konkurrenzsituationen zwischen Alten- und Krankenpflege gekommen. Die Krankenhäuser können einstellen auf Kosten der Krankenkassen, weil sie das neue Personal finanziert bekommen. Dann wird dort das Arbeiten schöner – wegen der höheren Personaldecke – und mehr Geld gibt es auch. Das kann die Politik nicht gewollt haben.

Wird das mit der künftigen generalistischen Ausbildung, also der gemeinsamen Ausbildung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegern schlimmer?

Appelt: Das kann man nicht der Generalistik zuschreiben. Es ist doch gut, dass Pflegende künftig mehr Wahlmöglichkeiten haben, ob sie in der Kranken-, Alten- oder Kinderkrankenpflege arbeiten. Es darf nur nicht sein, dass in der Krankenpflege auch künftig höhere Gehälter gezahlt werden. Das würde die Versorgungsprobleme in der Pflege alter Menschen dramatisch verschärfen.

Die Bundesregierung plant eine „Konzertierte Aktion“ zur Pflege. Wenn dort Maßnahmen beschlossen werden, etwa eine bessere Bezahlung der Pflegenden und mehr Personal, müssen das auch wieder die Pflegebedürftigen bezahlen. Wird Pflege also immer teurer?

Wasel: Es gibt sicherlich sinnvollere Modelle, als dass jede Verbesserung in der Pflege zu einer höheren finanziellen Last auf den Schultern der Pflegebedürftigen führt. Es gibt inzwischen auch Bestrebungen, das zu reformieren. Es werden Theorien diskutiert, die Pflegeversicherung von Grund auf zu ändern. Heute bekomme ich einen Teilbetrag, je nach Pflegegrad, muss aber die gesamte Pflege finanzieren. Das System ist so angelegt, dass das Geld aus der Pflegeversicherung nie reicht. Die Versorgung wird immer teurer, am Ende landen alle in der Sozialhilfe. Das ist nicht sinnvoll.

Kersten: Die Pflegeversicherung ist ja einmal eingeführt worden, um den Menschen ihren Lebensstandard zu sichern, wenn sie pflegebedürftig werden. Das ist inzwischen weg. Es ist zudem heute nicht möglich, sein Pflegerisiko zu versichern. Es ist nicht berechenbar. Das ist ein Kardinalfehler der Pflegeversicherung.

Und die Alternative?

Wasel: Es wird jetzt ein Weg vorgeschlagen, den man auch in der Krankenversicherung geht: Man zahlt einen bestimmten Betrag an seine Krankenkasse und ist damit abgesichert. Wird es teurer, trägt das Risiko die Kasse, also die Solidargemeinschaft. Dann wäre eine Planbarkeit vorhanden, ähnlich wie bei einer Teilkaskoversicherung für Ihr Auto. Es wird dafür auch einen Steueranteil geben müssen, sonst ist es nicht finanzierbar.

Gehen denn die Koalitionsparteien im Bund da mit?

Wasel: Ja, es gab Fachtagungen dazu. Aber es heißt auch, es wird nicht mehr in dieser Legislatur kommen.

Warum denn nicht?

Wasel: Es kostet Milliarden. Und es bestünde die Gefahr, bei einer Finanzierung durch den Staat, dass viele sagen, dann will ich die optimale Versorgung, es kostet mich ja nichts extra. Es müsste also eine Instanz geschaffen werden, die die Kosten begrenzt und für jeden Pflegebedürftigen das angemessene Maß der Versorgung festlegt. In der Krankenversorgung macht das ein Arzt.

Oft wird gesagt, es ist genügend Geld im Versorgungssystem für die Pflege, man muss es nur anders verteilen. Das ist dann falsch, oder?

Wasel: Ja, wenn man das System ändert, wird es erheblich teurer.