Die Masern grassieren derzeit in Deutschland. Besonders Bayern und Berlin sind von der gefährlichen Erkrankung betroffen. Eine gefürchtete Spätfolge ist der fortschreitende Verlust von Nervenzellen.
Ist ja nur eine Kinderkrankheit“, denken viele Deutsche, wenn von Masern die Rede ist. Dass die Viren aber auch Erwachsenen schwer zusetzen können und dass sie erst recht nicht nur irgendeine Erkrankung auslösen, ist ihnen nicht bewusst. Eine Schutzimpfung verpassen deshalb viele – oder unterlassen sie gar wissentlich, da sie um Impfkomplikationen fürchten.
Welche Folgen das haben kann, zeigt sich derzeit in ganz Deutschland: Seit Jahresbeginn sind 851 Menschen an Masern erkrankt. Das sind bereits jetzt 686 Patienten mehr als im Vorjahr.
Besonders schwer trifft die Epidemie Berlin und Bayern. Mehr als 82 Prozent der Infektionsfälle kommen aus diesen Bundesländern. In Berlin wurden bereits 323 Fälle gezählt. Im Jahr 2001 waren es noch 51, dann sanken die Zahlen mal bis auf zwei und stiegen auf 160 im Jahr 2011. Nun ein neues Hoch – bereits im Juni.
Neue Empfehlungen ausgegeben
Hier zeigt sich gut, dass Masern nicht nur für Kinder bedrohlich sind. „Dieses Jahr haben sich auch besonders viele Erwachsene mit dem Masernvirus infiziert“, sagt Regina Kneiding von der Pressestelle der Senatsgesundheitsverwaltung. Der Senat hat deshalb die Impfempfehlung ausgeweitet. Alle Berliner sollen ihren Impfstatus überprüfen und sich bei fehlendem Schutz immunisieren lassen, unabhängig vom Alter. Damit modifiziert die Berliner Verwaltung die gängige Empfehlung. Denn die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts rät Erwachsenen zwar auch zur Impfung, aber bisher nur den nach 1970 geborenen. Damals wurde die Masern-Impfung eingeführt. Frühere Jahrgänge, so nimmt man an, seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits an Masern erkrankt und deshalb immun.
Dass trotzdem nicht jeder Erwachsene über 43 vor einer Infektion geschützt ist, zeigte sich jüngst in der Charité. Einer ihrer Ärzte war nicht nur an Masern erkrankt, sondern könnte das Virus zudem noch auf eine Patientin übertragen haben. Das zehn Monate alte Mädchen war von dem Arzt behandelt worden. Erst ein paar Tage später wurde diesem klar, dass er nicht an einer Erkältung, sondern an Masern litt. Und noch ein paar Tage später zeigte sich, dass auch das Mädchen daran erkrankt ist.
Dass der Arzt die Masern weitergab, ist indes nicht nachgewiesen, da die Masern-Epidemie zu dem Zeitpunkt bereits in Berlin ausgebrochen war. „Zwischen dem Kontakt mit dem betroffenen Kind und der Maserndiagnose des Mitarbeiters lagen neun Tage. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich das Kind durch eine andere Person außerhalb des Krankenhauses angesteckt haben könnte“, sagt Charité-Sprecherin Manuela Zingl. Doch ist es rechtens, dass ein Mediziner ohne Impfschutz in einer Kinderklinik arbeitet? Ist es, denn in Deutschland gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine Impfpflicht – nicht einmal für Ärzte. Jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er den Empfehlungen der Stiko folgt. Diskutiert wird diese Regelung allerdings schon lange. „Die Masern gehören zu den gefährlichsten Virusinfektionen, die wir überhaupt in Deutschland kennen. Deshalb sollte sich jeder impfen lassen, der keinen nachgewiesenen Impfschutz oder eine dokumentierte Maserninfektion in der Vergangenheit hat“, sagt Ulrich Fegeler, Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinderärzte.
Für Impfgegner hat Fegeler kein Verständnis. „Sie handeln aus irrationalen Gesichtspunkten. Komplikationen kann es theoretisch immer geben, doch es gibt keinen stichhaltigen Nachweis, der diese speziell für die Masernimpfung zeigt“, sagt Fegeler. Impfkomplikationen seien überaus selten. „Von einem Blitzschlag getroffen zu werden oder von einem Verkehrsunfall betroffen zu sein, ist wesentlich wahrscheinlicher“, so Fegeler.
Weniger selten ist ein schwerer Masern-Verlauf. Besonders ältere und abwehrgeschwächte Patienten sind von teils tödlich verlaufenden Komplikationen wie Lungenentzündung betroffen. Doch auch jüngere gesunde Menschen können schwer an Masern-Folgen leiden. Einer von 1000 Patienten erleidet eine Gehirnentzündung und einer von 10.000 eine sogenannte subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) – eine besonders gefürchtete Spätkomplikation.
Folgen teils erst nach Jahren
Die SSPE hat eine lange Inkubationszeit. Mit einer Verzögerung von einigen Jahren tritt dabei ein fortschreitender Verlust von Gehirnnervenzellen auf. Es kommt zunächst zu psychischen und intellektuellen Veränderungen, später folgen epileptische Anfälle und Ausfälle essenzieller Nervenfunktionen bis hin zum Tod. Erst kürzlich war ein 14-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen daran verstorben. Er hatte sich im Alter von nur fünf Monaten im Wartezimmer seines Kinderarztes angesteckt. Vor den schweren Folgen der SSPE bewahrt nur die Impfung. Zum Infektionszeitpunkt war der Patient dafür aber noch zu jung. Die Masernimpfung erfolgt im Alter von etwa einem Jahr.
Davor sind Babys deshalb vor allem auf eins angewiesen: den Impfschutz ihrer Kontaktpersonen. Wer sich und andere schützten will, überprüft deshalb rasch seinen Masern-Impfschutz. Denn Masern sind nicht irgendeine Kinderkrankheit – sondern ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko.