Gesundheit

Berlin kriegt die Masern einfach nicht in den Griff

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Pia Heinemann

Foto: Fredrik von Erichsen / picture alliance / dpa

Obwohl Masern ausrottbar sind, erkranken in Berlin zurzeit überdurchschnittlich viele Menschen daran. Wären alle geimpft, könnte sich das Virus nicht ausverbreiten. Ein Problem sind Impfgegner.

Es beginnt mit Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen und Fieber. Eine Bindehautentzündung kommt hinzu. Lästig, aber harmlos. Doch die Krankheit, an der derzeit bis zu hundert Menschen in Berlin erkrankt sind, ist alles andere als ein Schnupfen. Denn nach ein paar Tagen blühen viele rote Punkte am ganzen Körper. Diagnose: Masern.

„Wir haben derzeit einen wirklich großen Ausbruch in Berlin“, sagt Dorothea Matysiak-Klose vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. „Mehr als die Hälfte der Erkrankten ist über 18 Jahre alt.“ Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland insgesamt nur 166 Masernfälle gemeldet. Nun also macht sich diese typische Kinderkrankheit bei Erwachsenen breit. Eine Krankheit, gegen die im Alter von zwei Jahren nach Empfehlung der Ständigen Impfkommission eigentlich jeder geimpft worden sein sollte.

Masern sind extrem ansteckend, die Viren verbreiten sich schnell von Mensch zu Mensch. Und Masern sind keinesfalls ein harmloses Wehwehchen: Hohes Fieber und ein durch den Virenangriff geschwächtes Immunsystem können zu Mittelohr-, sogar zu Hirnhautentzündungen führen. Statistisch stirbt in Europa einer von 3000 Infizierten. Doch obwohl die Viren hochansteckend sind, gelten sie als ausrottbar.

Wären alle Menschen geimpft, hätte das Virus keine Chance

Denn das einzige Reservoir für die Viren ist der Mensch. Wären alle Menschen geimpft, hätte das Virus keine Chance, sich zu vervielfältigen. Seit 1984 steht das Ziel, die Krankheit in der europäischen Region zu eliminieren. Ursprünglich wurde dafür das Jahr 2010 angepeilt – doch nachdem dies misslang, gilt nun 2015 als neue Deadline. Ob dieses Ziel aber erreicht werden kann, ist noch ungewiss.

Unmöglich scheint es immerhin nicht. Denn tatsächlich hat eine WHO-Region es bereits vor zehn Jahren geschafft, masernfrei zu werden: Panamerika. Über zwölf Monate hinweg erkrankte auf den amerikanischen Kontinenten kein Mensch an endemischen Masern, also an Masern, die nicht von Reisenden eingeschleppt wurden. Gesundheitsexperten begründen das mit der rigorosen Impfpolitik dort: Bei der Einschulung müssen Kinder nachweisen, dass sie gegen Masern geimpft wurden. Ohne einen Stempel im Impfausweis gibt es keinen Platz im Klassenzimmer.

Für Europa sehen die Zahlen eigentlich auch ganz gut aus. Doch es gibt Rückschläge, wie den derzeitigen Ausbruch in Berlin. „Einen großen Rückschlag gab es auch in Frankreich: Bis ins Jahr 2009 waren dort kaum noch Menschen an Masern erkrankt“, sagt Matysiak-Klose. Doch dann kam es zu einer Epidemie. 2010 und 2011 erkrankten jeweils etwa 30.000 Menschen in Europa an Masern, mit einem klaren Schwerpunkt in Frankreich.

Zu wenige Menschen waren gegen Masern geimpft. „Die Impfrate ist in Deutschland eigentlich relativ hoch“, sagt die RKI-Expertin. „Aber 2001 sind die Impfempfehlungen für Deutschland überarbeitet worden. Die zweite Impfung, die Kinder bis dahin mit sechs bis acht Jahren bekamen, wurde auf das Alter von knapp zwei Jahren vorgezogen. Dadurch fielen einige Jahrgänge durch das Raster.“ Nun sind viele junge Erwachsene ohne ausreichenden Schutz gegen die Viren – wie der Ausbruch in Berlin demonstriert.

Das Problem mit den Impfgegnern

Ein weiteres Problem sind Impfgegner. Der Grund: 1998 ereignete sich ein Medizinskandal. Damals hatte der britische Arzt Andrew J. Wakefield in der Fachzeitschrift „The Lancet“ davor gewarnt, dass der kombinierte Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff Autismus auslösen könnte. Er legte eine Studie vor, die dies deutlich demonstrierte. Sechs Jahre später aber wurde bekannt, dass Wakefield von Anwälten, die Eltern autistischer Kinder vertraten, 55.000 britische Pfund an Fördermitteln erhalten hatte. Die Studie war gefälscht.

In manchen Kreisen hält sich Skepsis gegenüber der Impfung dennoch hartnäckig. „Etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind wirkliche Impfgegner“, sagt Matysiak-Klose. „Wenn aber alle Nicht-Impfgegner gegen Masern geimpft sind, reicht das für die Eliminierung der Krankheit aus.“

Letztlich liege es an den niedergelassenen Ärzten, ob Deutschland und Europa das WHO-Ziel, die Krankheit bis 2015 auszurotten, erreichten, sagt Matysiak-Klose. Ein Ärgernis, nicht nur für die Ziele der WHO. Denn aus der Europaregion kann das Virus leicht in andere Länder verschleppt werden. Weltweit sterben pro Jahr noch immer 100.000 Menschen an Masern, einer Krankheit, die in Europa längst ausgerottet sein könnte.