Gebärmutterhalskrebs

Studien zur umstrittenen Impfung haben Mängel

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Birgitta vom Lehn

Foto: AP

Eine Neubewertung zur umstrittenen Impfung gegen humane Papillomaviren legt mit ernüchternder Klarheit die vielen Unsicherheiten offen, die mit der Impfung verbunden sind – sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich. Damit werden auch jene Wissenschaftler bestätigt, die kürzlich die Mängel betont hatten.

Die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) soll gegen Gebärmutterhalskrebs schützen. Jetzt wird die Kritik einiger Wissenschaftler bestätigt, die Mitte Dezember in einem „Manifest“ die Mängel betont hatten.

Die 120 Seiten starke Analyse umfasst die Auswertung von neun medizinischen und 24 ökonomischen Quellen. Vorgenommen hat sie ein Professorenteam um den Sozialmediziner Stefan Willich von der Berliner Charité und den Gesundheitsforscher Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. In Auftrag gegeben hat sie das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Dimdi) in Köln, eine Einrichtung des Bundesgesundheitsministeriums, das den Bericht kürzlich ins Netz stellte, ohne die Medien zu informieren – wohl weil Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) noch vor Kurzem als vehemente Fürsprecherin der Impfung aufgetreten war.

Was die medizinische Seite der Impfung betrifft, so schätzen die Autoren die beiden zurzeit auf dem Markt befindlichen Impfstoffe zwar als „sicher“ ein. Allerdings halten sie zur zuverlässigen Beurteilung von sehr seltenen Nebenwirkungen die Fallzahlen in den Studien für zu gering. Mit solchen Komplikationen müsse man bei der Impfung großer Bevölkerungsgruppen rechnen. Die vollständigen Auswirkungen könnten erst in Jahrzehnten beurteilt werden. „Theoretisch“ sei „zu erwarten“, dass weniger Frauen am Zervixkarzinom erkranken. Sollten sich aber – wie Studien in England zeigten – niedrige Sozialschichten und Mädchen aus ethnischen Minderheiten seltener an den Impf- oder Krebsvorsorgeprogrammen beteiligen, „wäre der bevölkerungsweite Nutzen der Impfprogramme erheblich gemindert“.

Negativ könnte sich auch das sogenannte Replacement auswirken, wenn also andere bösartige Virentypen den Platz der durch die Impfung bekämpften Typen HPV 16 und 18 einnähmen. Auch der derzeit angenommene Anteil der durch die Hochrisikotypen 16 und 18 verschuldeten Zervixkarzinome von 70 Prozent sei „kritisch zu hinterfragen, da auch hier gegenwärtig keine Daten aus klinischen Wirksamkeitsstudien vorliegen“. Die Zuschreibung von 70 Prozent könnte „eine Überschätzung“ darstellen.

„Völlig unklar“ sei auch, ob Auffrischimpfungen nötig seien. Die bislang bekannte Schutzdauer betrage fünf Jahre – über diesen Zeitraum liefen die Wirksamkeitsstudien. Hieraus auf eine lebenslange Immunität zu schließen, stelle „eine äußerst optimistische Projektion“ dar. Selbst die Annahme eines zehn Jahre anhaltenden Schutzes sei bislang nicht abgesichert.

Angesichts der medizinischen Unsicherheiten dringen die Autoren auf eine Begleitforschung inklusive Impfregister. Das Paul-Ehrlich-Institut sammle Meldungen zu Nebenwirkungen von Impfstoffen. Dabei handle es sich aber „lediglich um eine sogenannte passive Überwachung, die keine statistischen Auswertungen ermöglicht“.

Was die Kosteneffektivität betrifft, so legen sich die Autoren nicht fest. Sie kritisieren aber, dass von 24 Studien nur zwei auf deutsche Verhältnisse übertragbar seien. Fest steht: Die Impfung kostet die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) viel Geld. So viel, dass der Gemeinsame Bundesausschuss der Kassenärzte und Krankenkassen, der die Impfung als Kassenleistung bewilligt hatte, kurz vor Weihnachten die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut aufgefordert hatte, die Studien noch einmal kritisch zu prüfen. Die Stiko hat bislang nicht reagiert. Stefan Willich vermutet, dass sein aktueller Bericht eine Grundlage für die Stiko bilden wird. Die Dimdi-Autoren rechnen nun vor: 2002 wurden 131 Millionen Euro für die Behandlung von Gebärmutterhalskrebs ausgegeben. Zugleich steckte die GKV 338 Millionen Euro in die gynäkologische Krebsvorsorge. Bei einer jährlichen Durchimpfungsrate aller zwölfjährigen Mädchen (rund 400?000) kämen noch einmal 170 bis 190 Millionen Euro hinzu.

Die Spannweite der berechneten Effektivität in den ökonomischen Studien schwankt derweil beträchtlich. Vielfach würden „äußerst positive“ Annahmen gemacht, kritisieren die Autoren, was zu einer „Überschätzung der Kosteneffektivität“ führe. Sollte die Impfung aber auch vor weiteren Krebsleiden wie gynäkologischen Tumoren, Penis- oder Analkarzinom schützen, was biologisch plausibel sei, könnte die Kosteneffektivität aber auch unterschätzt werden.

Kaum eine Studie setze sich kritisch mit dem eigenen Studiendesign oder den Ergebnissen auseinander. Insbesondere die mit der Impfung selbst verbundenen Unsicherheiten würden „zu wenig thematisiert“. Das sei „vor dem Hintergrund substanzieller Unsicherheiten nicht nachvollziehbar“. Ein wesentlicher Grund für die Einseitigkeit liege darin, dass sie meist von den Pharmaherstellern finanziert wurden und die Autoren in einem Beschäftigungsverhältnis mit den Firmen stehen oder standen, Forschungsunterstützungen erhielten oder als Berater tätig waren.

Bei der unsicheren Schutzdauer der Impfung – ein wesentliches Kriterium für die Wirtschaftlichkeit – schlagen die Autoren vor, die Krankenkassen sollten mit den Herstellern eine „Risk- beziehungsweise Cost-Sharing-Vereinbarung“ treffen. Die Firmen könnten sich etwa bereit erklären, die Kosten für eventuell notwendige Auffrischungsimpfungen zu übernehmen. Außerdem sollte eine Evaluation durch unabhängige Forschungsinstitutionen gefördert werden, „um möglichen Interessenkonflikten entgegenzuwirken“.

Mit der HPV-Impfung sei es eben „wie mit einer Medaille, die zwei Seiten hat“, sagt Studienautor Greiner. Für verfrüht eingeführt hält er die Impfung nicht: „Man muss bei Impfungen ja immer relativ früh entscheiden.“ Aber bedenklich findet Koautor Willich die bereits uneingeschränkte Finanzierung der Impfung durch die Krankenkassen, ohne dass eine Begleitforschung stattfindet. „Ich plädiere dafür, erst mal einen fünfjährigen kontrollierten Probelauf zu starten und dann neu zu entscheiden, ob die Impfung Kassenleistung bleiben kann.“ Aber vor solchen Probeläufen scheue man hierzulande leider zurück. Solange die ökonomische Effizienz der Impfung aber unklar bleibe, sei ein flächendeckendes Impfprogramm nicht zu rechtfertigen.

Dass die Studien in der Einführungsphase vom Hersteller bezahlt wurden, sei nicht das Problem, meint Greiner. Entscheidend sei aber, dass jetzt in der Anwendungsphase eine unabhängige Evaluation stattfinde. Genau die fehle jedoch.

Der Bericht im Netz: www.dimdi.de