Morgenpost Online : Warum sträuben sich die Deutschen so bei Impfungen? Anderswo ist man entspannter…
Christoph Gradmann: Das ist ein kulturelles Problem. In Deutschland haben die Gesundheitsbehörden traditionell einen schweren Stand, die Impfgegnerschaft hat Geschichte. In anderen Ländern hat die Bevölkerung mehr Vertrauen in die staatliche Medizin.
Morgenpost Online : Wann haben wir das Vertrauen verloren?
Gradmann : Das kam mit der ersten Impfung, der Pockenschutzimpfung. Damals hat man versucht, die Leute mit Menschenpocken zu immunisieren, das hatte starke Nebenwirkungen, einige starben. Später hat man dann entdeckt, dass auch Kuhpocken geeignet sind, dass Menschen, die mit dem besser verträglichen Serum erkrankter Tiere angesteckt worden waren, nicht mehr die echten Pocken bekommen konnten. Damals entstanden in Deutschland auch die ersten Impfanstalten, sie sind aus den Pockeninstituten hervorgegangen.
Morgenpost Online : Haben die Deutschen denn schlechtere Erfahrungen mit den Impfungen gemacht als andere?
Gradmann : Nein. Aber in anderen Ländern greift der Staat traditionell viel stärker ein. In Deutschland gibt es nur sehr wenige meldepflichtige und behandlungspflichtige Krankheiten, das beschränkt sich auf eine ganz kleine Zahl von Geschlechtskrankheiten. In skandinavischen Ländern gibt es sehr viel strengere gesetzliche Vorschriften. In Finnland und Island ist die Impfung gegen Masern Pflicht, die Krankheit ist dort fast völlig verschwunden.
Morgenpost Online : Warum viele das Impfen vernachlässigen, leuchtet ein: Wir haben eine perfekte Hygiene, Arzneien, Antibiotika…
Gradmann : Viele vergessen, dass vor 150 Jahren quer durch alle Altersgruppen andauernd gestorben wurde – und zwar an Infektionen. Das Impfen ist mitverantwortlich dafür, dass die Volksseuchen verschwunden sind. Hört man damit auf, kehren sie gewiss zurück.
Das Interview führte Elke Bodderas.