Manche Dinge wollen einem einfach nicht in den Kopf: Gegen krankhafte Vergesslichkeit könnte in Zukunft aber ein Nasenspray mit Hormonen helfen.
Die Liste der Hilfsmittel, die dem Gehirn auf die Sprünge helfen sollen, ist lang, reicht von Ginkgo-Extrakten über Ritalin bis hin zu Kaffee. Die Krux: So wird man höchstens wacher oder kann sich besser konzentrieren. Für das Langzeitgedächtnis bringt das wenig.
Den krankhaft Vergesslichen könnte aber in Zukunft ein Hormon helfen. Die Neuroforscherin Cristina Alberini und ihre Kollegen von der New Yorker Mount Sinai School of Medicine schreiben in „Nature“, dass der Wachstumsfaktor IGF-II das Gehirn dabei unterstützt, Erlerntes langfristig zu speichern.
Auf dem Weg vom Sinneseindruck bis zu unseren Erfahrungsschatz kann viel passieren. Alle neuen Informationen werden durch den Hippocampus geschleust, das Tor zum Langzeitgedächtnis. Ohne ihn bleibt für uns die Zeit stehen.
Vergleicht man das Erinnern mit dem Schreiben, so kommt es der Arbeit am PC näher als dem Notieren auf Papier. Ähnlich wie eine ungespeicherte Datei verloren gehen kann, sind auch neue Erinnerungen verletzliche Mimosen. Erst nach einigen Tagen der Konsolidierung hat das Gehirn zwischengespeichert und legt die Erinnerungen im „Ordner“ in der Großhirnrinde ab.
Wenn wir die Erinnerung später abrufen, können wir ihren Inhalt bearbeiten, neue Infos hinzufügen und alte löschen. Auch jetzt kann das Ganze noch unbeabsichtigt im Papierkorb landen; die Erinnerung muss sich erneut konsolidieren.
Während dieser Zeit helfen bestimmte Eiweiße dabei, dass zwischen den Nervenzellen neue Verbindungen wachsen und andere gekappt werden. Ohne diese Veränderungen könnte altes Wissen nicht mit neuem abgeglichen werden, wir könnten weder dazulernen, noch wären wir offen für Neues.
Nun soll IGF-II dem Langzeitgedächtnis helfen. Es hilft beim Wachstum, der Entwicklung und der Erneuerung von Körperzellen. Je älter wir werden, desto weniger IGF-II bilden wir – und die Frischkur wird weniger effektiv. Dennoch wird IGF-II auch im Hippocampus gebildet. Alberini und ihr Team fragten sich: wozu?
Sie dachten sich einen Gedächtnistest für Ratten aus: Eine Kiste war zur Hälfte überdacht und dunkel. Gleichzeitig elektrifizierten die Forscher dort den Boden. Normalerweise würden Ratten eine dunkle Ecke bevorzugen. Liefen sie hier jedoch in die Dunkelheit, so bekamen sie einen milden Elektroschock. Keine Ratte würde diesen Fehler wiederholen. Sie würde in den folgenden Wochen dunkle Ecken skeptisch beäugen.
Nach einem Training schauten sich die Forscher den Hippocampus der Ratten an. Wie erwartet war er in einem Zeitraum von 20 bis 36 Stunden geradezu mit IGF-II überschwemmt. Dies entspricht dem Zeitraum, in dem die Erinnerungen in Richtung Großhirnrinde wandern.
In einem zweiten Experiment spritzten die Forscher den Ratten ein bis zwei Tage nach dem Training einen Stoff in das Gehirn, der die Wirkung von IGF-II aufhebt. Wurden diese Ratten später wieder in die Kiste gesetzt, hatten sie offensichtlich alles vergessen – sie liefen schnurstracks Richtung Dunkelheit. Für die Forscher war das der Beweis, dass das Hormon IGF-II für die Festigung von Erinnerungen nötig ist.
Und noch besser: Spritzten die Forscher den Ratten einen Tag nach dem Experiment den Wachstumsfaktor, so erinnerten sie sich sogar drei Wochen später noch daran, dass die dunkle Ecke nichts Gutes birgt. Normale Ratten hätten das längst wieder vergessen.
Sie hofft, dass daraus eine Arznei für die Behandlung von Demenzen wird.
Thomas R. Insel, Direktor der amerikanischen National Institutes for Mental Health in Bethesda sieht eine weitere Anwendung: „Wir hoffen, dass wir dieses Wissen künftig bei der Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen einsetzen können.“ Hier könnte eine Angsterinnerung durch ein Gefühl von Sicherheit ersetzt werden.
Bis aus IGF-II ein Hirndopingmedikament für den Menschen wird, ist es jedoch noch ein weiter Weg, mahnen Johannes Gräff und Li-Huei Tsai vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Zunächst müsse geklärt werden, über welchen Mechanismus der Wachstumsfaktor das Gedächtnis stärkt und ob die Rattenstudie auf den Menschen übertragbar sei.
Außerdem könnte zusätzliches IGF-II möglicherweise Krebs verursachen. Es sei auch undenkbar, einem Menschen ständig direkt ins Hirn zu spritzen – vielleicht könnte es mit einem Nasenspray funktionieren.
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