Antibiotika

Wenn Schnitzel und Steak krank machen

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Silvia von der Weiden

Foto: dpa / dpa/DPA

Der allzu leichte Umgang mit Antibiotika in der Tierhaltung wirkt sich auch auf die Gesundheit des Menschen aus. Der Einsatz der Medikamente erzeugt resistente Keime, die nur schwer behandelbar sind.

Masthähnchen und Mastkälber enthalten nach dem jüngsten Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Braunschweig deutlich mehr Bakterien, die unempfindlich auf Antibiotika reagieren. Bei E.coli-Bakterien, die den Stoff Verotoxin produzieren, stiegen die Nachweise bei Kälbern von 2009 zu 2010 von 51,1 auf 85,7 Prozent. Auch EHEC gehört zu dieser Bakteriengruppe. Es wird befürchtet, dass Bakterien im menschlichen Körper nach dem Verzehr dieses Fleisches ähnliche Resistenzen entwickeln – und Medikamente bei Infektionskrankheiten schlechter wirken. Eine Gefahr besteht vor allem für Menschen mit ohnehin geschwächtem Immunsystem.

Meldungen über Keime im Fleisch, gegen die Antibiotika machtlos sind, verunsichern daher die Verbraucher. In einer Stichprobe in deutschen Supermärkten durch den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) wurden bei elf von 20 untersuchten Hähnchenprodukten antibiotikaresistente Erreger entdeckt. Ende 2011 hatte bereits eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen ergeben, dass gut 96 Prozent der Hähnchenmastbestände mit Antibiotika behandelt werden.

Das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) in Berlin geht davon aus, dass nicht nur Hähnchen, Hühner und Puten, sondern auch Schweine, Mastkälber und Rinder bis 5,9 Mal im Jahr mit Antibiotika behandelt werden. In einer bundesweiten Untersuchung des Instituts aus dem Jahr 2009 an 629 Proben Hähnchenfleisch hatten sich gut 22 Prozent als „MRSA-verdächtig“ herausgestellt. Das Kürzel steht für methicillinresistente Staphylococcus aureus, ein Wundinfektionskeim, der gegen eine wichtige Gruppe von Antibiotika unempfindlich ist. Bei rund sechs Prozent der Proben wurden resistente Formen des Darmkeims Escherichia coli (ESBL) nachgewiesen. Die Studien sprechen von „alarmierenden Ergebnissen“ und ziehen den Schluss, dass Mäster trotz des Verbots Antibiotika in großem Stil auch bei gesunden Tieren einsetzen.

Verbotswidriger Einsatz in der Mast

Lance Prince vom Translational Genomics Research Institute in Flagstaff und sein Team schreiben aktuell im Fachmagazin „mBio“, dass mindestens ein Stamm der MRSA-Keime vom Menschen auf Tiere übergegangen ist. Hier wurde er durch den Einsatz von Antibiotika resistent und ist mittlerweile wieder auf den Menschen zurückgesprungen. Es sei nun klar, dass dieser gefährliche Erreger erst in den Tieren resistent wurde. Es sei also ganz allein der leichtsinnige Umgang mit Antibiotika, der nun auf die Menschen zurückfalle.

Bundeslandwirtschafts- und Verbraucherministerin Ilse Aigner will zu härteren Mitteln greifen und das einschlägige Gesetz verschärfen. Geplant ist unter anderem, die Tierärzte zu verpflichten, sich strikt an die Vorschriften der Antibiotika-Verordnung zu halten. Zudem soll der Einsatz von Antibiotika vor dem Schlachttermin der Tiere präziser und länger dokumentiert und damit für Behörden besser nachvollziehbar werden.

Seit 2006 dürfen Antibiotika EU-weit nicht mehr zur Förderung der Mastleistung eingesetzt werden. Dennoch wurden nach BUND-Schätzungen 2010 knapp 1000 Tonnen Antibiotika an Geflügel, Schweine und Rinder in deutschen Ställen verfüttert. Fünf Jahre zuvor waren es noch knapp 900 Tonnen. Auch das BfR hält es für geboten, den Einsatz von Antibiotika in der Mast „kritisch zu hinterfragen“. Jährlich sterben hierzulande mehr als 15.000 Menschen an multiresistenten Keimen. Inzwischen werden sogar solche Antibiotika machtlos, die als eiserne Reserve für Ausnahmefälle gedacht waren. Vor allem MRSA-Keime treten immer häufiger in Krankenhäusern auf.

„Eine Antibiotika-Resistenz kann durch den Verzehr von tierischen Lebensmitteln auch auf Keime im menschlichen Körper wie die Darmflora übertragen werden“, sagt Roswitha Merle von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Dabei gibt es zwei Mechanismen. „Zum einen können Rückstände von Antibiotika vorkommen, wenn das Tier geschlachtet wird. Das ist das kleinere Problem, da es regelmäßige Lebensmittelkontrollen gibt und Überschreitungen von zulässigen Grenzwerten vergleichsweise selten sind. Zum anderen können sich im Tier resistente Keime heranbilden, die mit dem Fleisch auf den Teller des Verbrauches gelangen. Auf resistente Erreger wird Fleisch jedoch in der Regel nicht untersucht. Die konkrete Resistenzlage kennen wir nicht genau genug.“

Im Visier haben die Forscher insbesondere die ESBL produzierenden Darmkeime, die sich vor allem in großen Mastbeständen ausbreiten. Dort ist die Wahrscheinlichkeit für einen Austausch von Genen zwischen den Mikroben besonders hoch. Stellen sich die zunächst zufällig entstandenen genetischen Veränderungen als vorteilhaft für das Überleben der Keime heraus, können sich solche Faktoren in Windeseile verbreiten. Dabei nutzt den Bakterien nicht nur ihre explosive Vermehrung durch ständige Zellteilungen. Wird der Überlebensdruck besonders stark, etwa weil Antibiotika eingesetzt werden, wird ein als „horizontaler Gentransfer“ bekannter Mechanismus genutzt. Dabei bilden die Bakterien Auswüchse, über die sie Gene mit überlebenswichtigen Eigenschaften quasi per Rohrpost an ihren Nachbarn weitergeben.

„ESBL bildende Bakterien haben solche Eigenschaften entwickelt“„sie nisten sich in den Darm ein und bilden dort Enzyme, die Antibiotika wirkungslos machen. Diese Fähigkeit können die Keime auch an andere Erreger weitergeben, die dann im Falle einer Infektion schwerer zu behandeln sind. Das macht sie zu einer ernst zu nehmenden Gefahrenquelle.“

Gute Hygiene und ganz durchbraten

Den Verbrauchern empfiehlt das BfR, Fleisch nur durcherhitzt zu verzehren und peinlich die Regeln einer guten Küchenhygiene zu beachten. „Wichtig ist auch, das Fleisch vor der Zubereitung gut kalt abzuspülen und es immer auf einer sauberen Unterlage zu schneiden“, rät Merle. Eine unmittelbare Gefahr sieht sie zumindest bei Gesunden nicht. Anders sehe das bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem aus oder bei Patienten in einer Intensivbehandlung. „In solchen Fällen besteht ein Risiko, dass Bakterien über Lebensmittel oder Wunden in den Körper gelangen und dort gefährliche Wundinfektionen, Blutvergiftungen oder Lungenentzündung auslösen.“

Weil das Problem der Resistenzbildung in Tiermastbetrieben trotz Gesetze noch ungelöst ist, fordert die EU eine deutliche Verringerung des Verbrauchs. Dem sind bereits einige Staaten, darunter die Niederlande und Dänemark, mit besserer Erfassung und Kontrolle von Mastbetrieben und Tierärzten nachgekommen. Ziel ist die Halbierung der Antibiotikamengen. Die Bundesregierung hat veranlasst, dass die Daten zu Antibiotika-Auslieferungen erfasst werden. Die Arzneimittelhersteller müssen alle Lieferungen von Antibiotika melden. Ob die Politik weiter nachbessert und eine Transparenz der in einem Betrieb eingesetzten Antibiotikamengen ermöglicht, bleibt fraglich. Die Bitten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, Zugriff auf solche Daten zu erhalten, hat die Bundesregierung abgelehnt.