Wer in der britischen Hauptstadt ein Taxi fahren möchte, muss büffeln: 25.000 Straßen und 20.000 Sehenswürdigkeiten gilt es zu kennen. Das verändert die Gehirnstruktur.
"Das Wissen" (the Knowledge) ist ein beinahe mythischer Begriff unter Londons Taxifahrern. Nur wer es hat, bekommt die Zulassung für die bauchigen schwarzen Taxi-Limousinen, die ebenso zum Straßenbild gehören wie knallrote Doppeldecker. "Das Wissen" gilt allerdings erst als erbracht, wenn sich ein Taxifahrer nachweislich 25.000 Straßen und 20.000 Sehenswürdigkeiten merken kann.
Londoner Wissenschaftler haben sich dieses harte Gedächtnistraining für ihre Hirnforschung zunutze gemacht. Sie untersuchten, ob das Büffeln von Straßenmustern das Gehirn verändert. Das Ergebnis: Taxifahrer, die sich "das Wissen" aneignen, haben mehr graue Zellen im Hirnareal Hippocampus. Präsentiert werden die Resultate im Journal "Current Biology".
Die Forscher um Eleanor Maguire vom University College London (UCL) werten diese Erkenntnis als Beleg dafür, dass Lernen auch im Erwachsenenalter Hirnstrukturen verändern kann – zum Positiven. Bei Londoner Taxifahrern bildeten sich im Hippocampus nicht nur neue Nervenzellen (Neuronen).
Die Wissenschaftler gehen auch davon aus, dass erfolgreiches Taxi-Training die Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen stärken kann. Das sei nicht nur ermutigend für die Idee des lebenslangen Lernens, sondern auch für die Reha nach Hirnverletzungen, heißt es im Bericht des Instituts für Neurologie am UCL. "Das menschliche Gehirn bleibt auch im Erwachsenenalter formbar und passt sich an, wenn wir Neues erlernen", sagt Maguire, Professorin für Neurowissenschaften und Autorin der Studie.
Der Hippocampus gilt als ein Sitz für das Gedächtnis. Er ist eine der wenigen Strukturen, von denen bekannt ist, dass sie neue Neuronen ausbilden können. Der Hippocampus ist paarig angelegt und findet sich in jeder der beiden Hirnhälften.
Auch die räumliche Orientierung ist im Hippocampus verankert. Gedächtnisinhalte, also etwa die innere Karte einer Stadt, werden hier zusammengefügt und koordiniert. Menschen, bei denen diese Gehirnstruktur geschädigt ist, können sich zwar selbst im Alltag orientieren – Sie sind aber nicht in der Lage dazu, anderen den Weg zu weisen. Das ist eine Fähigkeit, auf die wohl kaum ein Taxifahrer verzichten kann.
Für ihre Studie befragten die Forscher 79 Männer, die in London Taxifahrer werden wollten. Das Training und das mehrstufige Prüfungssystem der Zulassungsbehörde gilt als einmalig in der Welt – besonders in Zeiten von Navigationsgeräten.
Als Kontrollgruppe dienten zuerst 31 Männer, die weder Straßennamen noch Sehenswürdigkeiten auswendig lernten. Nach und nach kamen weitere 20 Männer freiwillig in die Kontrollgruppe, die durch die Taxi-Prüfungen gefallen waren. Nach drei bis vier Jahren bestanden insgesamt nur 39 Kandidaten alle Taxifahrer-Prüfungen – ein normaler Schnitt bei den hohen Anforderungen.
Warum aber ausgerechnet sie die enorme Gedächtnisleistung erbrachten und die anderen nicht, konnten die Forscher bislang nicht herausfinden. Sie fragen sich nun, ob die erfolgreichen Kandidaten angeborene Fähigkeiten für eine bessere räumliche Vorstellungskraft haben, so Maguire: "Ist es möglich, dass manche Menschen genetisch veranlagt sind, einen flexibleren Hippocampus zu haben? Die immerwährende Frage von Anlage und Umwelt bleibt offen."
Einen kleinen Nachteil hatte die Taxi-Büffelei allerdings auch. Verglichen mit der Kontrollgruppe erkannten erfolgreiche Prüflinge komplexe Strukturen jenseits des Londoner Stadtplans etwas langsamer. Das könnte ein Preis für einseitiges räumliches Lernen sein, folgern die Wissenschaftler.
dpa/db