Jährlich erleiden rund 10.000 Menschen pro Jahr in Deutschland Lebensmittelvergiftungen nach dem Pilzgenuss. Dabei sind Pilze aus dem Supermarktregal gefährlicher als selbst gesammelte. Verbraucherschützer warnen nun vor ihrem Verzehr.
Die Deutschen zieht es derzeit wieder in den Wald. Im Oktober wird die Pilzsuche regelmäßig zum Nationalsport. Zwar sind auch die Berliner Pfifferlingen und Steinpilzen zugetan. Sie suchen und finden ihre Pilze allerdings eher im Supermarktregal. Doch wer denkt, dass er damit auf der sicheren Seite ist, – weil Fliegen- und Knollenblätterpilze nicht im Regal liegen –, der irrt. Denn Pilze aus dem Handel, so legen Stichproben nahe, können für den Magen eines Pilzliebhabers nämlich mindestens genauso gefährlich sein. Die Verbraucherzentrale Bayern kaufte vor einigen Wochen zu Testzwecken in verschiedenen Geschäften Pfifferlinge ein und ließ sie anschließend vom Experten untersuchen. Das Ergebnis war – desaströs: Nur eine von zwanzig Proben war einwandfrei. Ganz gleich ob Supermarkt, Discounter, Wochenmarkt oder Großhandel – überall, wo die Tester kauften, fanden sie alte, überlagerte Ware. Jede vierte Probe erklärte der Pilzsachverständige für so verdorben, dass sie gleich aus dem Verkehr gezogen werden musste. „Hätte jemand diese Pilze verzehrt“, sagt Daniela Krehl, „hätte er dabei unter Umständen eine Lebensmittelvergiftung riskiert.“ Krehl ist Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Bayern.
Jede vierte Probe gesundheitsgefährdend – das reicht normalerweise für einen handfesten Skandal. Doch unter Experten sorgen die Befunde der Verbraucherschützer erschreckenderweise kaum für Überraschung. Wildpilze sind branchenintern schon lange als notorische Risikokandidaten erkannt. Die schnell verderbenden und dann rasch giftigen Gewächse sind viel zu lange zum Kunden unterwegs, die Handelskette ist zu intransparent. Die Pilze werden oft falsch verpackt und im Verkaufsraum fast immer falsch platziert.
Alle Märkte sind betroffen
„Ich finde in acht von zehn Supermärkten verdorbene Ware. Die Pilze sind oft bereits überlagert, wenn sie angeliefert werden“, sagt der Pilzsachverständige Georg Müller, der immer wieder zur Begutachtung von Pilzen herangezogen wird und dabei in Lebensmittelläden landauf, landab schon eine Menge Unappetitliches zu Gesicht bekommen hat. Oft hat er mit einem Blick auf die Verpackung schon genug gesehen, wenn er etwa eine Schale voller Pilze in der Hand hält, die rundherum mit einer Plastikfolie umwickelt ist. Oft sammeln sich darunter schon die ersten Tropfen von Kondenswasser – und Müller weiß Bescheid: „Ideale Bedingungen, um die Eiweißzersetzung zu beschleunigen.“
So gelagert, dauert der Zerfallsprozess nur wenige Tage. Die Pilze verfärben sich, werden weich und glibberig, sie fangen an zu stinken. Es gebe keine größere Handelskette in der Republik, bei der er noch nicht fündig geworden sei, erklärt Müller. Selbst in Großmärkten, wo die Vermarktungskette ihren Anfang nimmt, stößt er regelmäßig auf Pilze, die bereits reif für den Mülleimer sind, ehe sie überhaupt den Einzelhandel erreicht haben.
Das Verkaufspersonal sei oft nicht in der Lage, verdorbene Pilze von frischen zu unterscheiden. Ein Mindesthaltbarkeitsdatum ist auf Pilzpackungen in der Regel nicht aufgedruckt. Pfifferlinge werden vom Handel so behandelt, wie sie auch in den Geschäften einsortiert werden: wie Obst und Gemüse. Und für diese Warengruppe, so rechtfertigt sich der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels, sei eben keine solche Kennzeichnung vorgeschrieben. Eine verdorbene Tomate erkennt der Durchschnittskunde ja auch – und lässt sie liegen.
Experten warnen vor Kauf
Allerdings sind Pilze kein Gemüse. Ihrer biologischen Klassifikation nach sind sie Lebewesen, die irgendwo zwischen Pflanzen und Tieren rangieren. Dass das nicht nur eine akademische Spitzfindigkeit ist, bekommen diejenigen überdeutlich zu spüren, die verdorbene Pilze zu sich nehmen. Experte Müller wird regelmäßig zu Hilfe gerufen, wenn diese Betroffenen mit schweren Erkrankungen am Magen und Darm ins Krankenhaus eingeliefert werden. „Wenn Pilzvergiftungen meldepflichtig wären, würde sich in der Lebensmittelbranche vermutlich schnell etwas bewegen.“
Rund 10.000 Menschen pro Jahr erleiden in Deutschland Lebensmittelvergiftungen nach Pilzgenuss, so Expertenschätzungen. Die Dunkelziffer an nicht erkannten oder falsch zugeordneten Erkrankungen dürfte allerdings noch weit höher liegen. Die Symptome einer Pilz-Lebensmittelvergiftung können sich nach wenigen Minuten, aber auch erst bis zu 48 Stunden nach dem Verzehr einstellen: Durchfall, Erbrechen, Übelkeit. In Extremfällen kann eine solche Vergiftung tödlich enden. „Pilze bestehen vor allem aus Wasser und Protein. Sie gleichen darin eher Fleisch als Gemüse“, erklärt Ewald Langer, Biologe und Ökologe an der Uni Kassel und Präsident der Gesellschaft für Mykologie. Entsprechend schnell verderbe die Ware, und das mitunter mit schweren gesundheitlichen Folgen. Denn bei der Zersetzung der Pilzeiweiße werde Botulin freigesetzt, auch als „Leichengift“ bekannt. Ein Umstand, der in der Fleischindustrie zu lückenlosen Kühlketten, engmaschigen Kontrollen und Dokumentationspflichten geführt hat. Bei Pilzen gibt es all dies bis heute nicht.
Deshalb mahnen Experten vor allem beim Kauf von Pfifferlingen und Steinpilzen zu größter Vorsicht. Diese Pilze können legal nur als Importware verkauft werden, da sie – anders als zum Beispiel Champignons – nicht gezüchtet werden können. In Deutschland stehen sie unter Artenschutz und dürfen nur zum eigenen Gebrauch gesammelt werden – nicht zum Weiterverkauf. 80 Prozent der Wildpilze in deutschen Geschäften stammen aus Osteuropa und haben eine lange und abenteuerliche Geschichte hinter sich, wenn sie in der Gemüseabteilung landen.