Was ist der Schlüssel für die erstaunlichen Gedächtnisleistungen von professionellen Schachspielern. Forscher haben jetzt neue Erkenntnisse gewonnen.
Was passiert im Gehirn eines Schachspielers, wenn er sich den nächsten Zug überlegt? Das haben Forscher um Xiaohong Wan vom Riken Brain Science Institute in Japan herausgefunden, wenn auch nur bei dem Schach ähnlichen Brettspiel Shogi. Sie berichten davon in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“.
Lange schon ist bekannt, dass Schachprofis aus einer riesigen Zahl von Möglichkeiten schnell eine kleine Anzahl sinnvoller Züge herausfiltern können, die sie dann genauer analysieren. Amateuren gelingt dies in der Regel nicht.
Die US-Wissenschaftler William Chase und Herbert Simon von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh beschrieben bereits 1973 in ihrer Studie „Wahrnehmung beim Schach“, dass spielentscheidende Konstellationen von Schachfiguren im Langzeitgedächtnis gespeichert und dort abgerufen werden können, wenn es bei einem späteren Spiel die gleiche oder eine ähnliche Stellung gibt.
Die japanischen Wissenschaftler haben jetzt die Hirnaktivitäten während des Shogi-Spiels daraufhin untersucht, welche Einflüsse sie auf das konkrete Spielverhalten haben, insbesondere für die Planung des nächsten Zugs. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), die aktive Hirnareale sichtbar macht, konnten sie nachweisen, dass bestimmte Neuronengruppen genau dann aktiviert werden, wenn es um das Erkennen von Shogi- beziehungsweise Schachstellungen geht.
Bei professionellen Spielern gibt es zwei Hirnregionen, die beim Spielen diese Aktivierung zeigen. Die eine, der sogenannte Precuneus, liegt in den Falten des Scheitellappens, die andere, der Nucleus caudatus, im vorderen Großhirn. Erstere wird bei der Wahrnehmung von Mustern aktiviert, die zweite bei der Entscheidung über den nächsten Spielzug.
Informationen über die Stellung von Spielfiguren, die von der einen Region in die andere geschickt werden, dürften hilfreich sein, wenn es darum geht, den bestmöglichen nächsten Zug zu errechnen. Dass beide Bereiche bei professionellen Spielern ähnlich stark aktiviert sind ist ein starkes Indiz für diese These. Bei Amateuren wird der Nucleus caudatus nicht so stark aktiviert.
Auch die Tatsache, dass diese Hirnregion Teil der Basalganglien ist, könnte von Belang sein. Diesen wird eine besondere Bedeutung beim Entstehen und Ausführen von Gewohnheitshandlungen nachgesagt. Und die Entscheidung über den nächsten Zug angesichts einer bestimmten Konstellation ist bei Profispielern einer Gewohnheit insofern ähnlich, als sie schnell und unkompliziert abläuft.
Überhaupt könnte ihr langjähriges tägliches Training eine generelle Verstärkung des hinteren Precuneus und des Nucleus caudatus bewirkt haben. Diese Areale sind für strategische Brettspiele wie Schach unstrittig von großer Bedeutung.
Der Nucleus caudatus hat auch etwas mit zielorientiertem Verhalten von Spielern zutun. Die Forscher haben Interviews mit den Spielern geführt. Profis berichteten, dass sie während einer Partie oft zwar keinen genauen Plan hatten, welche Züge zum Matt des Gegners führen würden, wohl aber eine Idee davon, wie Stellungen kurz vor dem eigenen Sieg aussehen könnten. Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass gut geübte Spieler die Vision einer möglichen Endspiel-Konstellation bereits bei der visuellen Wahrnehmung eines konkreten Schachmusters haben. Diese wiederum bestimmt dann den nächsten Zug.
Schachspieler eignen sich wegen ihrer definierten geistigen Tätigkeit grundsätzlich gut für neurophysiologische Experimente. Deshalb führt der Offenbacher Mediziner Harald Balló derzeit mit deutschen Schachspielern eine groß angelegte Studie zum Thema Neuro-Enhancement durch.
Dabei geht es um die Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit durch Medikamente. Bislang ist nämlich noch nicht klar, ob sich die Spielstärke von Schachspielern mit Hilfe von chemischen Präparaten tatsächlich steigern lässt.
Weil Schach mittlerweile als eine Sportart anerkannt ist, gilt natürlich auch hier ein Dopingverbot. Bei den olympischen Spielen werden Schachturniere bislang aber nicht ausgetragen.