Täglich sterben in Deutschland drei Menschen, die auf ein Transplantat warten. Doch manche Klinik meldet potenzielle Spender nicht – wegen des Geldes.
Auf den ersten Blick bieten die Zahlen Anlass zu Hoffnung: Im vergangenen Jahr stellten bundesweit 1.296 Verstorbene insgesamt 4.205 Transplantate zur Verfügung – im Vergleich zum Vorjahr eine deutliche Steigerung um 79 Spender. Dennoch kann der erfreuliche Trend nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland unter einem eklatanten Organmangel leidet – mit schlimmen Folgen.
Bundesweit benötigen 12.000 Menschen ein neues Körperteil – ein Herz, eine Lunge, eine Leber. Auf ein Herz warten Empfänger durchschnittlich acht bis zwölf Monate, auf eine Niere sieben Jahre. Viele Menschen überleben diese Zeit nicht.
Täglich sterben drei Patienten auf der Warteliste, weil es kein Transplantat für sie gibt. Aber die Folgen reichen viel weiter: Während der langen Wartedauer verschlechtert sich der Zustand vieler Menschen so dramatisch, dass darunter der Erfolg der Transplantationen leidet. Damit nicht genug: Angesichts des Notstands sind Mediziner inzwischen bezüglich der Körperteile weniger wählerisch. „Die Qualität der Transplantate nimmt ab“, sagt der Chirurg Gernot Kaiser von der Uniklinik Essen. „Um den Mangel nur halbwegs begrenzen zu können, akzeptieren wir inzwischen viele Organe nach erweiterten Kriterien.“
Auch wenn die Zahl der Spender in Deutschland im Jahr 2010 mit 15,9 pro Million Einwohner den bisherigen Höchststand erreichte: In Spanien sind es mit 34 mehr als doppelt so viele. „Wir müssen die Zahl der Spender verdoppeln“, betont Günter Kirste vom Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO).
Das sollte nicht unbedingt ein Problem sein: In einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bekundeten 74 Prozent der Bürger ihre Bereitschaft zur Organspende. Aber laut Gesetzesregelung, der erweiterten Zustimmungslösung, muss ein Mensch sein Einverständnis dokumentieren. Einen solchen Ausweis hat nur etwa jeder Fünfte.
Um diese Kluft zu überbrücken, plädieren der Deutsche Ärztetag, der Nationale Ethikrat und die Deutsche Transplantationsgesellschaft für die in vielen Ländern geltende gesetzliche Widerspruchslösung. Demnach käme jeder als Spender infrage, der nicht ausdrücklich widerspricht. Kirste sieht diese Regelung mit Skepsis: „Der Staat sollte die Menschen in dieser sensiblen Frage nicht bevormunden“, sagt er. „Ich will durch Aufklärung überzeugen.“
Einen Kompromiss empfahl Ende vorigen Jahres eine Kommission der Bundesärztekammer (BÄK) mit der sogenannten Entscheidungslösung. Demnach soll sich jeder Bürger dazu erklären, ob er zur Organspende bereit ist. Die Haltung könnte etwa in Personalausweis, Führerschein oder der Versichertenkarte vermerkt werden.
„Damit wollen wir erreichen, dass jeder zu einer günstigen Zeit eine Entscheidung trifft“, erläutert Theodor Windhorst vom BÄK-Vorstand. „Denn kaum jemand in der Bevölkerung beschäftigt sich zu Lebzeiten ernsthaft mit dem Thema Organspende.“ In der Politik stieß der Vorschlag auf eine positive Resonanz, etwa bei den Fraktionschefs von CDU/CSU und SPD, Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier.
Für Kirste reicht die Entscheidungslösung allein allerdings bei weitem nicht aus. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liege in den Kliniken. „Die Krankenhäuser informieren längst nicht über alle Fälle, die für eine Transplantation infrage kommen“, klagt er und fordert, dass alle bundesweit 1.400 Einrichtungen mit Intensivstationen eigens Transplantationsbeauftragte freistellen, die sämtliche hirntoten Patienten melden. „Entscheidend ist die Umsetzung in den Krankenhäusern und die Überwachung“, betont Kirste.
Die Motivation der Kliniken soll auch am Geld nicht scheitern. Die BÄK-Kommission mahnt, den Häusern eine Aufwandsentschädigung zu zählen, die sämtliche Kosten abdeckt. Gegenwärtig bekommen sie etwa für eine Mehrorganentnahme einen Pauschalbetrag von 3.506 Euro. Aber dieser Satz deckt nur einen Teil jener Kosten, die durch die längere Intensivtherapie oder die mehrstündige Nutzung des Operationssaales anfallen. Wegen des finanziellen Risikos, so mahnt der Nationale Ethikrat in einem Gutachten, „können Krankenhäuser sich veranlasst sehen, von einer Meldung potenzieller Spender Abstand zu nehmen“.
dapd