Wie bewegen sich Menschen in Gruppen? Forscher am Berliner Leibnitz-Institut haben erstaunliche Parallelen zwischen Fisch- und Menschenschwärmen entdeckt. Auch Menschen kopieren Verhaltensweisen in der Gruppe. Kollidiert die Massenmeinung aber zu sehr mit der eigenen Ansicht, folgen sie dem Schwarm nicht blind.
Es glitzert und schimmert im Aquarium: Hunderte kleiner Stichlinge schwänzeln hektisch in dem Becken hin und her. Urplötzlich wechseln die Fische immer wieder im Zickzack die Richtung, alle gleichzeitig, als hörten alle auf ein Kommando. Jens Krause klopft sanft an die Scheibe, er lächelt wie ein Vater, der seinen Kindern beim Fußballspielen zuguckt.
Krause und sein Team haben erstaunliche Parallelen zwischen Fisch- und Menschenschwärmen entdeckt. Der Mensch, so die Erkenntnis, ist oft auch nur ein Fisch. Zumindest was sein Verhalten in der Masse angeht.
Am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie erforscht der 44-Jährige, warum sich alle Fischschwärme so wie die Stichlinge verhalten, wer diese geheimen Kommandos gibt. Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera konnten die Forscher entlarven, was tatsächlich hinter den scheinbar gleichen Richtungswechseln steckt: In Zeitlupe ist da ein Schwarm zu erkennen, wie er urplötzlich eine Kehrtwendung macht. Aber es sind nicht alle Fische, die zeitgleich drehen, sondern einige wenige, die in Sekundenbruchteilen den Weg für alle vorgeben.
Die Wissenschaftler entwickelten daraus eine Computersimulation. Danach reichen fünf Prozent einer Gruppe aus, um einen Schwarm zu lenken. Genau diese Theorie testete Krause an Studenten – mit Erfolg. Im nächsten Schritt waren es 200 Menschen.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal über das Verhalten von Menschen forschen würde“, sagt Krause. Auf dem Computerbildschirm zeigt er das Experiment: 200 Probanden gehen ziellos in der Mitte einer großen Halle herum, als würden sie auf ein großes Ereignis warten. Zehn von ihnen, also genau fünf Prozent, hatten genaue Anweisungen bekommen, wohin sie in der Halle nach einiger Zeit gehen sollten. Den anderen Teilnehmern wurde lediglich gesagt, dass sie sich möglichst in der Gruppe halten sollen.
Ein Computerprogramm stellt die Menschen als rote (ahnungslos) und blaue (wissend) Punkte dar. Wie auf ein geheimes Kommando hin formieren sich dann die Punkte und folgen jenen, die eine Anweisung bekommen haben. Eine Bestätigung der Fünf-Prozent-Regel: Die Masse folgt wenigen Führern – ohne zu ahnen, dass es sie gibt.
„Wir waren verblüfft, wie sich dieses Prinzip auch auf Menschen übertragen lässt“, sagt Krause. Aktuell forscht er nun mit seinen Studenten, woran Fische oder Menschen erkennen, wer die nötigen Informationen hat, der alle folgen. „In größeren Gruppen wird nahezu zwanghaft kopiert, was andere machen“, sagt Krause.
Es gibt aber auch Ausnahmen bei der Macht der Anführer, haben die Forscher erkannt: Wenn ein Fischschwarm auf eine erkennbare Gefahr wie etwa einen Raubfisch zusteuern würde, machen nur wenige Fische den Richtungswechsel mit. Wenn der scheinbare Informationsvorsprung mit dem eigenen Wissen kollidiert, wird der Kopierzwang offenbar schwächer.
„Damit sind wir beim Stichwort Schwarmintelligenz“, sagt Krause. Wie ist ein Schwarm organisiert, wie funktioniert er? Eine Frage, auf die Wissenschaftler derzeit noch keine eindeutige Antwort haben.