Schmerzlindernd, appetitanregend, krampflösend – dass Stoffe aus Cannabis-Pflanzen schwere Krankheiten lindern können, ist schon lange bekannt. Doch in Deutschland lässt die Zulassung als Medikament auf sich warten. Das soll sich ändern, fordern Mediziner, Patienten und Juristen.

Die Heilwirkung von Cannabis verspricht manch schwer krankem Menschen Linderung. Denn der in der Hanfpflanze enthaltene Wirkstoff Dronabinol kann Schmerzen mildern, den Appetit steigern und Krämpfe lösen. Dronabinol unterstützt deshalb die Therapie einiger Erkrankungen. Oder vielmehr: könnte unterstützen, denn der Wirkstoff steht im Betäubungsmittelgesetz, was Patienten häufig vor unüberwindbare Hürden stellt. Das soll sich nun ändern, wie die „Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ fordert.

In dem Verein engagieren sich vor allem Mediziner, Patienten und Juristen für bessere Einsatzmöglichkeiten von Cannabis-Produkten in der Therapie. „Seit vielen Jahrhunderten ist die heilende Wirkung von Hanf bekannt“, sagt die Vorsitzende Kirsten Müller-Vahl, Oberärztin in der Klinischen Psychiatrie der Medizinischen Hochschule Hannover. „Es geht darum, schwer kranken Patienten Lebensqualität zurückzugeben“, betont sie. Nicht der Einsatz als Partydroge, sondern ausschließlich der medizinische Gebrauch sei das Anliegen.


Mittlerweile hat sich der Einsatz von Produkten, die aus der Hanfpflanze gewonnen werden, nach ihren Worten bei unterschiedlichen Krankheitsbildern bewährt: so beispielsweise bei Aids- und Krebskranken, die häufig unter drastischer Gewichtsabnahme leiden und von der appetitanregenden Wirkung des Cannabis-Wirkstoffs profitieren. Gleiches gelte für Krebspatienten, die nach einer Chemotherapie von Übelkeit und Erbrechen geplagt werden, denn bei ihnen wirkt sich der Wirkstoff lindernd auf den Brechreiz aus.


Auch Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck und grünem Star profitieren. Und selbst für Patienten mit Multipler Sklerose deutet sich nach Ansicht von Müller-Vahl eine Therapiemöglichkeit an. Ihnen komme die krampflösende und schmerzstillende Wirkung von Cannabis zugute. Kirsten Müller-Vahls Fazit: Der medizinische Nutzen sei bei einer Anzahl von Erkrankungen unbestritten.


Der Einsatz des Wirkstoffs in solchen Fällen solle endlich einfacher werden, fordert der Verein in seiner „Berliner Erklärung“, die eigens für den Gesundheitsausschuss des Bundestags formuliert worden war und auch von mehreren medizinischen Fachgesellschaften unterstützt wird. Unterstützung gibt es im Bundestag auch von den Oppositionsparteien.


Akuten Handlungsbedarf sieht das Bündnis vor allem deswegen, weil Patienten häufig in einem Dilemma stecken: „Zwar kann der Arzt den Wirkstoff per Betäubungsmittelrezept verordnen, die Krankenkassen kommen in den meisten Fällen aber nicht für die Behandlungskosten auf“, erläutert Müller-Vahl mit Blick auf die fehlende Zulassung als Medikament. Und die Kosten liegen nach ihrer Einschätzung bei rund 300 bis 500 Euro monatlich. Da aber Schwerstkranke häufig finanziell in Bedrängnis sind, scheidet dies für sie aus.

Geht man den Schritt der „Selbstmedikation“ droht ein Konflikt mit dem Gesetz. Zwar können Patienten beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung von Cannabis stellen.


Nach Worten Müller-Vahls sind damit aber hohe bürokratische Hürden verbunden, die nur die wenigsten Patienten überwinden können. Die zuständige Bundesopiumstelle beim BfArM hat seit August 2007 nur 23 solcher Erlaubnisse erteilt, sagt Fachbereichsleiter Winfried Kleinert. Es müsse ein Umdenken geben, fordert die Medizinerin Müller-Vahl: „Die Kenntnisse über den medizinischen Nutzen von Cannabis lagen lange Zeit im Dunkeln. Erst seit einigen Jahren ist hier richtig Bewegung reingekommen.“ Auch wenn vieles in der Forschung noch am Anfang steht, ist aus Sicht der Expertin in jedem Fall die Annahme widerlegt, dass der Cannabis-Wirkstoff bloß eine unspezifische Wirkung hat. „Dies war lange Zeit angenommen worden, weil neben Dronabinol noch zahlreiche andere Stoffe in der Hanfpflanze enthalten sind, deren Identifizierung früher nicht möglich war“, erklärt sie.


Die Bundesopiumstelle zeigt sich hier zögerlich und verweist darauf, dass es keine handfesten Studien gebe, die eine Zulassung als Medikament rechtfertigen würden.

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sieht zwar auch den medizinischen Nutzen – gerade bei Patienten mit mehreren Symptomen –, betont in einer Stellungnahme aber: „Cannabinoide sollten nicht als Medikamente der ersten Wahl eingesetzt werden, da bei begrenzter Wirksamkeit unerwünschte Arzneimittelwirkungen häufig sind“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arzneimittelkommission. Insbesondere bei mittel- und langfristigem Einsatz überwiege nur bei wenigen Patienten der Nutzen.

Auch Kirsten Müller-Vahl räumt ein, dass Cannabis-Produkte „keine Wundermittel sind“. Natürlich könne es zu Nebenwirkungen kommen, die aber unter ärztlicher Aufsicht in einem überschaubaren Rahmen blieben.