Frauen müssen heute mehr denn je damit rechnen, einen speziellen, langsam wachsenden Tumor in der Brust zu bekommen. Das ergab ein Vergleich von Gewebeproben, die Mediziner in den 1980er- und 1990er-Jahren gesammelt haben. Das Fazit der Untersuchung: Zwar verändert sich der Krebs über die Jahre und Jahrzehnte zu neuen Erscheinungsformen – aber die wissenschaftliche Erforschung und Abwehr hält damit nicht nur Schritt. Die Überlebenschancen sind sogar gestiegen.
Mehr als 50.000 Frauen in Deutschland sind jährlich von der Diagnose Brustkrebs betroffen, Tendenz steigend. Unterm Strich steht heute die Chance, lebenslang ohne Brustkrebs davon zu kommen bei neun zu eins. Durchschnittlich ist die Gefahr mit 65 Jahren am höchsten, bei der erblichen Form sogar schon 20 Jahre früher. Brustkrebs ist aber nicht gleich Brustkrebs, kein Tumor gleicht dem anderen. Der Übersicht halber haben sich die Ärzte inzwischen auf zehn grobe Klassifikationen festgelegt, denen sich die meisten Brustkrebsarten zuordnen.
Mit Abstand am häufigsten stellen Onkologen einen Tumor fest, der molekulare Antennen für weibliche Hormone besitzt. Diese Krebsart trifft mehr als jede zweite Patientin. Ihre Krebszellen werden durch die Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron stimuliert. Frauen mit diesem Befund werden öfter geheilt, bekommen seltener Metastasen als andere und werden daher auch seltener rückfällig. Außerdem sind hormonelle Krebstherapien und auch Chemotherapien bei ihnen deutlich öfter erfolgreich und besser verträglich.
Um ein erneutes Wachstum im Keim zu ersticken, tilgt der behandelnde Arzt meist medikamentös die Geschlechtshormone im Körper. Das gelingt gut – nach fünf Jahren sind 80 Prozent der Patientinnen noch am Leben – aber mit dem leidvollen Nebeneffekt, dass jüngere Patientinnen vorzeitig in die Wechseljahre versetzt werden.
Für ihre Statistik haben die Wissenschaftler der Universität Glasgow mehr als 1000 Gewebeproben von Krebskranken überprüft, die in zwei großen Krankenhäusern der Stadt Glasgow gesammelt wurden: 420 aus den Jahren zwischen 1984 und 1986 und 653 von 1996 bis 1997. Ergebnis: Die langsamen Tumore mit Hormonschalter werden deutlich häufiger, die Fallzahlen stiegen innerhalb von zehn Jahren von 64,2 Prozent auf 71,5 Prozent.
Gleichzeitig werden die ohnehin seltenen, schnell wachsenden und aggressiv streuenden Krebsarten ohne hormonelle Kontrolle in den Krankenakten noch seltener.
Besserer Nachweis - und sonst?
Warum benimmt sich der Brustkrebs wie ein Chamäleon? Das können sich auch die Schotten nicht erklären. Eine geringe Zahl falle gewiss an die verbesserten Nachweismethoden ab, vermuten die Forscher im „British Journal of Cancer“: Sensible Testmethoden können inzwischen die Hormonschaltertumore aufspüren, noch bevor ein Knoten in der Brust tastbar wird. Ein weiterer Grund könnte auch der veränderte Lebensstil sein, glauben die Glasgower Mediziner. Frauen bekommen inzwischen viel später Kinder als noch vor 20 Jahren, ihr Östrogenspiegel bleibt also bis in die Mittvierziger hinein vergleichsweise hoch. Außerdem gibt es mehr Fettleibige jenseits der Wechseljahre, und dann sind da noch jene Risikokandidatinnen, die sich mit Östrogenen über die Menopause hinwegretten.
Aber es gibt auch ein erbliches Risiko für den Hormonschalter-Brustkrebs: Haben eine oder mehrere Verwandte ersten Grades diese Art von Tumor, besteht ein erheblich höheres Risiko. Hat sich also das entsprechende Tumor-Gen über die Jahre in der Gesellschaft stärker verbreitet?
Eine weitere Gefahr sind die veränderten Trinkgewohnheiten unter Frauen: Alkohol fördert die Entstehung von Brust- und Gebärmutterschleimhautkrebs. Durch zu viel Alkohol kann der Körper das Östrogen nicht mehr richtig abbauen. Die hohen Hormonspiegel steigern das Krebsrisiko übrigens auch bei Männern. Bleibt nur die Frage: Wie kommt der erfreuliche Gegentrend zustande? Warum werden die schnell wuchernden Tumore seltener? Das können die Wissenschaftler nicht erklären.