"Now here – Nowhere" , unter diesem Motto findet in diesem Jahr die vierte Internet- und Bloggerkonferenz re:publica statt. Die Besucher strömen bereits am Morgen des ersten Veranstaltungstages in den Friedrichstadtpalast in Berlin-Mitte. Karten gibt es schon seit Dienstag nicht mehr. Die Veranstaltung ist ausverkauft.
Fast Konferenz-Teilnehmer tragen großformatige Umhängetaschen. Schließlich muss das Notebook irgendwie mitgeschleppt werden. Und auch das eine oder andere iPad wird hervorgekramt. Betont selbstverständlich tippt ein Besitzer – um die 30, männlich, Dreitagebart - auf dem blanken Touchscreen herum. Liebevoll wischt er danach die Spuren seines Tuns fort, die Fingerabdrücke stören die schicke Anmutung der blanken Oberfläche.
Kurz ist die Begrüßungsrede, die die Veranstalter der re:publica, Johnny Haeusler, Multimediaunternehmer und Macher von spreeblick.com , dessen Frau Tanja Haeusler, ebenfalls von spreeblick.com , Markus Beckedahl, Macher von netzpolitik.org , Mitveranstalter der re:publica und Andreas Gebhard, Geschäftsführer der newthinking communications GmbH und Mitbegründer der re:publica Konferenz, halten. Beonders scheint sich Johnny Haeusler darüber zu freuen, dass in diesem Jahr die Technik einigermaßen mitspielt: „Die erste gute Nachricht – das WLAN steht! Es ist nicht sofort zusammengebrochen!“ Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als die re:publica zum Auftakt ohne Netz starteten musste. Doch auch diesmal läuft nicht alles rund. Die Verbindung läuft nicht wirklich stabil, immer wieder bricht das Netz weg.
In diesem Jahr ist das Programm noch umfangreicher als noch 2009: 165 Veranstaltungen, neun Bühnen, 265 Redner aus 30 Nationen von vier Kontinenten. Nur Australien fehlt – Julian Asange, einer der Macher hinter der Whistleblower-Seite WikiLeaks , musste kurzfristig absagen. Begleitet wird die Konferenz von Sponsoren und Unterstützern wie IBM (schon seit der ersten re:publica mit dabei), Kodak, Google und zum ersten Mal Nokia und Philips. Einige der Sponsoren bieten auf der re:publica eigene Veranstaltungsblocks wie die IBM Lotus Jam zum Arbeitsplatz der Zukunft an.
Als erster Gastredner stimmt der in Berlin lebende Medienjournalist Peter Glaser die Besucher der rep:ublica auf das diesjährige Motto „NowHere“ ein. Freundliches Interesse herrscht im Saal, aber viele Köpfe bleiben gesenkt, vertieft in das eigene iPhone oder das Notebook.
Glaser, der mit seiner Kolumne „Glasers heile Welt“ für das Zeitgeistmagazin „Tempo“ und seinem Medienblog „Glaserei“ bekannt wurde, spricht von dem „Heimweh nach einem Ort, an dem noch niemand war“ – der digitalen Welt. „Wir besiedeln den achten Kontinent“, sagt Glaser, „das Netz.“ Ging es in der Frühzeit der Menschen um die Beherrschung des Feuers, gilt es heute, die digitalen Instrumente im Griff zu haben. Doch rund 90 Prozent der Weltbevölkerung sei noch ausgeschlossen von der digitalen Entwicklung. Und das müsse sich ändern. So haben Wisenschaftler in Indien eine ganz gewöhnliche Schreibmaschine so umgebaut und mit einem Modem ausgerüstet, dass E-Mails damit versendet werden können. Ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Glaser, um bislang von der digitalen Entwicklung ausgeschlossene Menschen an der globalen Digitalisierung teilhaben zu lassen.
Ganz analog wird die re:publica in diesem Jahr von einer „Echtzeit-Grafikerin“ dokumentiert. Anna-Lena Schiller steht während Glasers Vortrag am Rand der abgedunkelten Bühne und kritzelt ohne Unterlass auf einem Flipchart. An ihrem Gürtel trägt sie eine kleine Tasche, die mit bunten Edding-Filzstiften vollgestopft ist. Eine Mischung aus Infografik und Comic entsteht hier in einem wahren Zeichen-Marathon während der drei Veranstaltungstage, die dann auf der Foto-Plattform flickr zu sehen sein wird.
"Twitter , Facebook , iPhone - trotz und gerade wegen der Verlockung, permanent verfügbar zu sein, sollen wir lernen, nicht immer „ran zu gehen“und auch einmal den „Ausschaltknopf zu drücken“, schließt Glaser seinen Vortrag. Die Köpfe vieler Zuhörer bleiben noch immer gesenkt, nicht weil Glasers Aufruf andächtiges Nachsinnen ausgelöst hätte – sondern weil die neuesten Mails gecheckt werden müssen.