- Das Hochwasser in Italien hat in vielen Regionen eine Spur der Verwüstung hinterlassen
- Am Donnerstag kehrten erste Menschen zu ihren Häusern zurück – viele sind fassungslos
- Die Zahl der Todesopfer ist auf 14 gestiegen – die Rettungskräfte sind weiter im Einsatz
Giuseppe Beltrame steht im Vorgarten seines Häuschens und kann es nicht fassen – bis zu den Schienbeinen reicht ihm der Schlamm. Er zeigt auf die Hausmauer und einen braunen Strich in etwa zweieinhalb Metern Höhe – so hoch stand das Wasser, als er mit seiner Frau und dem Hund am frühen Mittwochmorgen von Rettungsteams im Schlauchboot evakuiert worden war. Am Donnerstag kehrt Beltrame erstmals in sein Haus zurück und sieht die Verwüstung:
Hochwasser in Italien: Zahl der Toten weiter gestiegen – manche sprechen von einer "Apokalypse"
Tische, Stühle, Kommoden liegen im Wohnzimmer auf dem Boden. Der Kühlschrank in der Küche ist umgekippt. Alles ist voller Schlamm. Beltrame kommen die Tränen. Nach den Unwettern und schweren Überschwemmungen – die die Region Emilia-Romagna in Norditalien zu Wochenbeginn heimgesucht hatten – beginnen am Donnerstag viele mit den Aufräumarbeiten. Es überwiegt Fassungslosigkeit. Innerhalb von knapp zwei Tagen ist an manchen Stellen so viel Regen wie normalerweise in einem halben Jahr gefallen.
Inzwischen ist die Zahl der Toten auf 14 (Stand: Freitagabend) angestiegen. Am Donnerstag wurden die Leichen einer Frau und eines Mannes in dem Ort Russi in der Provinz Ravenna gefunden wurden. Zunächst hatten die Nachrichtenagenturen "Ansa" und "Adnkronos" berichtet. Manche Politiker sprechen von einer "Apokalypse". in den Mund. Giuseppe Beltrame hatte gehofft, im ersten Stock des Reihenhäuschens ausharren zu können. Am Dienstagmorgen gegen drei Uhr – als das Erdgeschoss bereits unter Wasser gestanden hatte – holte der Zivilschutz aber auch ihn ab.
Hochwasser-Schäden in Italien gewaltig: Menschen stehen vor ihren völlig zerstörten Häusern
Beltrame: "Drei Familien in dieser Straße mussten vom Helikopter weggeflogen werden", erzählt er am Donnerstag und zeigt die Via Don Giovanni Verità hinunter. Dort steht nun Federica Pizzuto und weint. Auch sie sieht erstmals, was das Wasser mit ihrem gerade frisch renovierten Haus angestellt hat. "Wir wollten Ende Mai einziehen. Die neuen Möbel sind schon drin – eine neue Küche ebenfalls", erzählt sie und versteckt ihre Tränen hinter einer großen Sonnenbrille.
Faenza in der Provinz Ravenna ist eine der am stärksten betroffenen Gemeinden. 23 Flüsse traten nach Behördenangaben in der ganzen Region über die Ufer. Der Lamone fließt durch Faenza – bei den vorigen Unwettern Anfang Mai hatten die Dämme noch gehalten. "Keinen Tropfen" bekam damals Giuseppe Beltrame ab, wie er sich erinnert. Nach den dramatischen Überschwemmungen mussten zudem Tausende Menschen in den betroffenen Gebieten evakuiert werden. Auch am Donnerstag galt in vielen Landesteilen Alarmstufe rot – Evakuierungen werden fortgesetzt.
Angesichts des Extremwetters hatte das Auswärtige Amt deutsche Reisende oder in Italien lebende Deutsche auf die Gefahren durch Überschwemmungen und Erdrutsche hingewiesen. Man solle die aktuelle Lage in den lokalen und sozialen Medien verfolgen sowie Anweisungen der lokalen Behörden unbedingt Folge leisten. Wegen der Überschwemmungen ist in vielen betroffenen Gebieten in Teilen das Strom- und Mobilfunknetz zusammengebrochen. Auch viele Trinkwasserleitungen wurden in Mitleidenschaft gezogen.
Hochwasser in Italien: Anteilnahme ist groß – Ministerpräsidentin Meloni sichert Hilfe zu
Die Anteilnahme in Italien ist groß. Viele Regionen schickten Helfer, Experten und Gerätschaften in die Emilia-Romagna und in die Marken, wo es ebenfalls zu Überschwemmungen gekommen war. Regionalpräsident Bonaccini bezifferte die Schäden auf einige Milliarden Euro – von der Regierung fordert er schnell Hilfe. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sicherte diese zu – aktuell nimmt sie am G7-Gipfel in Japan teil. Eine Entspannung der Lage ist derweil nicht in Sicht. Für die kommenden Tage kündigt sich neuer Regen an.
Davon betroffen sind vor allem Städte wie Faenza, Ravenna, Forlì und Cesena. Giuseppe Beltrame steht in seinem Wohnzimmer im Schlamm, schüttelt den Kopf und nimmt dann einen Topf mit Blumen in die Hand, der einigermaßen unversehrt geblieben ist. "Vielleicht ein Zeichen des Neubeginns", meint er. Dabei hat er Tränen in den Augen.
Hochwasser in Italien: Autos und Lastwagen von Wassermassen mitgerissen
Rund 60 Gemeinden sind von Überschwemmungen und Erdrutschen betroffen. Ganze Ortschaften stehen unter Wasser, die Straßen sind voller Schlamm. Auf Handyvideos lässt sich die ganze Naturgewalt erahnen. Autos und Lastwagen wurden mitgerissen, Plätze und Geschäfte sind unter den teils meterhohen Wassermassen verschwunden. "Es ist alles zerstört", seufzt ein Pensionist in Faenza, einer der am stärksten verwüsteten Städte und schüttelt den Kopf.
Mit einem Schlauchboot suchen die Feuerwehrleute die Stadt nach Menschen in Not ab. Die Evakuierungen von Häusern und Betrieben geht pausenlos weiter. 23 Flüsse sind in der Region über die Ufer getreten. Die Behörden registrierten zudem 280 Erdrutsche und 400 blockierte Straßen. Die Stadtverwaltung von Ravenna forderte mit Unterstützung der örtlichen Polizei in der Nähe von Flüssen wohnende Bürger auf, sich in die oberen Stockwerke zu begeben. Familien werden Unterkünfte in Sporthallen angeboten. In der Kleinstadt Castel Bolognese, in der es Probleme mit der Trinkwasserversorgung gab, wurden mehrere Bürger aus ihren Wohnungen evakuiert. Trinkwasser wurde mit einem Tankwagen verteilt.
Hochwasser-Katastrophe in Italien: Landwirtschaft massiv betroffen
Die schweren Unwetter haben auch der Landwirtschaft und der Viehzucht, einem wichtigen Wirtschaftssektor der Gegend, schwere Schäden zugefügt. Allein im Raum zwischen Forlì und Rimini beträgt der Schaden an den Feldern 1,5 Milliarden Euro, berichtete der Landwirtschaftsverband Coldiretti.
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Das Szenario ist düster. Ganze Felder stehen unter Wasser, mehrere Hektar Obstplantagen sind überschwemmt und Ställe ohne Strom, Lagerhäuser wurden überflutet. Außerdem gingen ganze Getreideernten verloren. 5000 Landwirtschaftsbetriebe haben Schäden zu beklagen, berichtete Coldiretti. Probleme gab es auch bei der Lieferung verderblicher Lebensmittel, die durch die Schließung der Autobahn A14 zum Erliegen kam. Das führte zu weiteren Verlusten für die Landwirtschaftsunternehmen.
Hochwasser in Italien: Binnen 36 Stunden 200 Liter Regen pro Quadratmeter
Der Zivilschutz berichtete von etwa 50.000 Menschen ohne Strom und 100.000 Leuten ohne Mobilfunknetz. Der regionale Bahnverkehr in der Emilia-Romagna wurde komplett eingestellt. Unzählige Straßen sind überflutet, viele von ihnen wurden heftig beschädigt.
In 36 Stunden habe es pro Quadratmeter durchschnittlich 200 Liter Wasser geregnet, in manchen Gegenden sogar 500 Liter. Der Zivilschutz-Minister Nello Musumeci erklärte, dass es normalerweise in jenen Regionen 1000 Liter Wasser in einem ganzen Jahr regnet.
Seit Dienstagmorgen war die italienische Feuerwehr in der Emilia-Romagna nach eigenen Angaben zu hunderten Einsätzen ausgerückt. Hunderte Feuerwehrleute waren demnach vor Ort, um Menschen aus ihren Häusern oder Autos zu retten. In der Stadt Cesena ist der Fluss Savio über die Ufer getreten und vielen Bürgern blieb nichts anders übrig, als in die oberen Etagen ihrer Häuser zu flüchten. Auch Einsatzkräfte der italienischen Bergrettung sind in den betroffenen Gebieten vor Ort, um Menschen zu helfen.
Bei Cesenatico: Deutsche Urlauberin tot am Strand gefunden
Ein 70-jähriger Mann wurde von der Feuerwehr tot geborgen, nachdem in der Ortschaft Ronta di Cesena ein Fluss über die Ufer trat. Seine Frau wird vermisst. Ein weiterer Rentner ertrank in der Stadt Forli, nachdem Wasser in das Erdgeschoss seines Hauses eingedrungen war. Seine Frau konnte gerettet werden. Die Leiche einer deutschen Frau wurde an einem Strand nahe Cesenatico aufgefunden. Noch unklar ist, wie sie ums Leben gekommen ist, Ermittlungen sind im Gange.
Wochenlang litten weite Teile Südeuropas unter einer Dürre-Periode – nun erleben die Menschen das andere Extrem, heftigste Niederschläge. Die Regenfälle haben teils verheerende Folgen:
- steigende Pegelstände,
- überflutete Straßen,
- unterbrochene Bahnverbindungen,
- umgestürzte Bäume und Erdrutsche.
An einigen Orten fielen mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter. Ein Tiefdruckgebiet, das sich über Italien bildete, führte zum Unwetter auch in Kroatien. In Österreich drohen ebenfalls schwere Schauer. Bis in die kommende Woche sei mit unbeständigem Wetter zu rechnen, prophezeiten Meteorologen.
Auf der Mittelmeerinsel Sizilien kam es in der Nacht zu Dienstag zu starkem Regen. In der Hauptstadt Palermo standen Straßen und einige Keller unter Wasser. Auch für Sizilien rief der Zivilschutz die (höchste) Warnstufe rot aus.
Angesichts der Lage vor Ort sprach auch Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Menschen in den betroffenen Regionen ihre „volle Solidarität“ aus. „Die Regierung verfolgt die Entwicklung der Ereignisse aufmerksam und ist bereit, die notwendigen Hilfsmaßnahmen zu ergreifen“, schrieb sie bei Twitter. (mit fmg/dpa/afp)
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