Berlin. Eine Sabotage an Kabeln hat den Bahnverkehr temporär lahmgelegt. Hat Russland etwas damit zu tun? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
- Die Sabotage bei der Deutschen Bahn sorgte am Samstag für Zugausfälle und massive Verspätungen
- Die Sabotage wurde offenbar von Profis durchgeführt: Die Täter müssen nach Einschätzung von Experten umfassend Kenntnis von dem Funknetz der Bahn gehabt haben
- Wer steckt hinter der Bahn-Sabotage?
Dichtes Gedränge an den Bahnsteigen und lange Schlangen vor den Reisecentern: Am Samstag standen in großen Teilen Deutschlands die Züge still. Doch dieses Mal war kein Unwetter, kein Streik oder ein technischer Fehler für das Chaos verantwortlich. Stattdessen wurden an zwei unterschiedlichen Stellen wichtige Kabel durchtrennt – die Bahn und auch die Bundesregierung sind sich sicher: Es war Sabotage. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) schließt die Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesbehörden nicht aus - das wäre etwa bei Verdacht auf Terrorismus oder Tätern von ausländischen Geheimdiensten der Fall. Es könne sein, dass auch das BKA und der Generalbundesanwalt sich damit beschäftigen, sagte Spranger am Montag im Ausschuss für Verfassungsschutz. Das könne Berlin aber nicht steuern, es werde allerdings in Zusammenarbeit mit dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) entschieden. Unterdessen fordern Sicherheitsexperten eine bessere Absicherung der kritischen Infrastruktur in Deutschland. So warnt Terrorismusexperte Peter Neumann vor Sicherheitslücken. Es sei vor allem ein Problem, dass 80 Prozent der kritischen Infrastruktur in Deutschland nicht in staatlichen, sondern in privaten Händen lägen, sagte Neumann der „Augsburger Allgemeinen“
Deutsche Bahn: Sabotage - Was ist passiert?
Was war geschehen? Am Samstagmorgen war der digitale Zugfunk, mit dem die Leitstellen mit den Zügen kommunizieren können, plötzlich ausgefallen. Fast drei Stunden lang standen im norddeutschen Raum die Züge still. Ausgelöst wurde die Störung offenbar durch Sabotage: „Es wurden Kabel mutwillig und vorsätzlich durchtrennt, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Sowohl am Karower Kreuz in Berlin als auch in Herne in Nordrhein-Westfalen seien sogenannte Lichtwellenleiterkabel beschädigt worden. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach auf Twitter davon, dass man von „vorsätzlichen Taten ausgehen“ müsse.
Bahn-Sabotage: Was sind die Folgen für den Zugverkehr?
Im gesamten norddeutschen Raum sowie auf der Achse von Berlin nach Nordrhein-Westfalen wurde am Samstag der Zugverkehr zeitweise eingestellt – betroffen waren neben der Deutschen Bahn unter anderem auch Züge von Metronom oder der Nordwestbahn. Neben deutschen Verbindungen von ICE-, IC- und EC-Zügen waren auch internationale Verbindungen betroffen. In Teilen stand auch der Regionalverkehr zeitweise still. Am Sonntag lief der Zugverkehr bundesweit wieder regulär, es habe „keine betrieblichen Auswirkungen“ mehr aufgrund der Störung gegeben, teilte ein Bahn-Sprecher unserer Redaktion auf Anfrage mit.
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Deutsche Bahn: Wer steckt hinter der Sabotage?

Das ist bisher völlig unklar. Die Aufklärung der Sabotage an Bahnanlagen vom vergangenen Samstag hat der Staatsschutz übernommen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen sei von einer politisch motivierten Tat auszugehen. Konkrete Spuren zu einer Tätergruppe hat die Polizei anscheinend noch nicht. Zumindest äußert sich sie nicht dazu.
Auch die Bahn selbst hüllt sich mit dem Hinweis auf laufende Ermittlungen in Schweigen. Der für den Personenverkehr zuständige Vorstand, Michael Peterson, zeigt sich aber mit der schnelle Reaktion auf den Ausfall der Kommunikationssysteme zufrieden. „Das Notfallkonzept hat optimal gegriffen“, sagt der Vorstand. Nach nur drei Stunden sei der Verkehr wieder aufgenommen worden.
Allerdings waren wohl keine Amateure, sondern Profis am Werk. Dafür spricht zum einen die nahezu gleichzeitige Beschädigung an den rund 450 Kilometer Luftlinie entfernten Tatorten, zum anderen die Art der Sabotage:
- Die Täter hatten ausreichend Wissen über die Trassenführung und das Zugfunk-System GSM-R, um mit der Sabotage nicht nur den Zugfunk, sondern auch das Backup-System ausfallen zu lassen.
- „Dies lässt auf jeden Fall auf ein hohes Maß an krimineller Energie und umfangreiche Vorbereitung schließen“, sagte Michael Wiesner, Sprecher der Unabhängigen Arbeitsgruppe KRITIS (AG KRITIS), ein Expertengremium, das sich für die Resilienz der kritischen Infrastruktur einsetzt, unserer Redaktion.
- Auch das Bundeskriminalamt (BKA) geht von professionellen Tätern aus. Das Vorgehen setze das „Abfließen sensibler Informationen über das Streckennetz der Deutschen Bahn AG“ voraus, zitierte die „Bild“-Zeitung am Sonntag aus einem Schreiben des BKA.
In der Vergangenheit war das Bahnnetz immer wieder ins Visier von Linksextremisten geraten, unter anderem aufgrund fossiler Energietransporte. Allerdings hatten diese meist Bekennerschreiben veröffentlicht – ein solches fehlte dieses Mal. Aufgrund der zeitlichen Nähe zu den vier Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 sei auch eine staatlich gesteuerte Sabotage „zumindest denkbar“, zitiert die „Bild“ aus dem BKA-Bericht weiter.
Unternehmen | Deutsche Bahn AG |
Gründung | 1. Januar 1994 |
Gründungsstadt | Berlin |
Eigentümer | Bundesrepublik Deutschland |
Noch deutlicher wird Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag und Bahnexperte bei den Grünen: „Es stellt sich die Frage, ob wir es mit Sabotage von ausländischen Mächten zu tun haben“, sagte Hofreiter unserer Redaktion. Bei den Nord Stream-Gaspipelines sei es mittlerweile die plausibelste Hypothese, dass schon beim Bau des letzten Streckenabschnitts von Nord Stream 2 Sprengkörper eingesetzt worden seien, so Hofreiter. „Die Spur führt in den Kreml. Und wir können nicht ausschließen, dass Russland auch hinter dem Angriff auf die Bahn steckt. Vielleicht waren beides Warnschüsse, weil wir die Ukraine unterstützen“, mutmaßt der Grünen-Politiker.
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Alleine ist Hofreiter mit dieser These nicht. „Russland hat schon ein Interesse daran, in Europa Panik zu verursachen und zu signalisieren, dass es ganz heftig das Leben lahmlegen kann“, sagte Sicherheitsexperte Peter Neumann, International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR), dem Sender „RTL“.
Warum erfolgte die Sabotage ausgerechnet an einem Samstag?
Einen noch größeren Schaden hätten die Täter vermutlich verursacht, wenn sie unter der Woche zugeschlagen und den Berufsverkehr getroffen hätten. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass der Zeitpunkt bewusst gewählt gewesen sein könnte – womöglich gleich aus mehreren Gründen, wie AG KRITIS-Sprecher Wiesner mutmaßt: So sei denkbar, dass es einen zeitlichen Zusammenhang zu Großveranstaltungen geben könnte. In Berlin demonstrierten nach Polizeiangaben mehr als 10.000 AfD-Anhänger am Samstagmorgen gegen die Energiepolitik der Bundesregierung.

Zudem war es die Reisezeit für zahlreiche Fußballfans, die die Spiele der Bundesliga verfolgen wollten. Womöglich könnte es aber auch einen Bezug zur zeitlichen Nähe zu anderen Ereignissen, etwa der Zerstörung der Krim-Brücke geben, zählt Wiesner auf. Ebenfalls denkbar laut des Sprechers der Expertengruppe: „Es könnte nur ein Testdurchlauf gewesen sein, um die Auswirkungen einer solchen Sabotage zu sehen.“
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Wie wichtig ist die Bahn für die Wirtschaft?
Insgesamt zehn Bereiche zählen nach Definition des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zur kritischen Infrastruktur – darunter auch der Verkehr und mit ihr das Bahnnetz.
Neben rund sieben Millionen Reisenden, die täglich die Bahn nutzen, ist die Schiene ein wichtiger Faktor: 4,7 Milliarden Tonnen Güter wurden im Jahr 2019 in Deutschland per Zug transportiert. An der Bahn hängen damit wiederum viele Lieferketten – und somit auch andere Bereiche der kritischen Infrastruktur.
Ein Beispiel: Für Energietransporte ist die Schiene unerlässlich. Werden nun wieder mehr Kohlekraftwerke aktiviert, um der Energiekrise entgegenzutreten, nimmt auch der Kohletransport auf der Schiene zu. Sobald die Terminals für Flüssiggas fertiggebaut sind, kann auch LNG unter anderem per Kesselwagen transportiert werden. Die Bundesregierung hat im Sommer per Verordnung Energietransporten für ein halbes Jahr Vorrang eingeräumt: Im Zweifel müssen Personenzüge warten, um Energietransporte vorzulassen.
Wie sicher ist die kritische Infrastruktur?
Diese Frage wird seit Beginn des Ukraine-Krieges intensiv und immer wieder diskutiert. Kurz nach Ausbruch des Krieges warnte die Cybersicherheitsbehörde des Bundes, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), vor Angriffen auf sogenannte „Hochwertziele“ – also beispielsweise Krankenhäuser oder die Strom- und Wasserversorgung. Im Februar legten Hacker deutsche Windkraftanlagen lahm. Eine neue Dimension aber hat die Frage durch die Lecks in den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 erhalten: Im Meer verlaufen neben Pipelines und Stromkabeln unter anderem auch Datenkabel für Internet- und Kommunikationsanwendungen.
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„Wir müssen angesichts der Lage davon ausgehen, dass unsere kritische Infrastruktur, wozu auch Schienenwege sowie deren digitale Leit- und Steuerungstechnik gehört, Ziel von Sabotageangriffen werden kann“, sagte Carina Konrad, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, unserer Redaktion. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste im Bundestag, Konstantin von Notz (Grüne), warnte, dass es beim Schutz dieser Systeme „erhebliche Probleme“ gebe. Bundeswehr-General Carsten Breuer, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, sagte der „Bild am Sonntag“: „Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline kann attackiert werden, kann ein mögliches Ziel sein.“
Terrorismus-Experte Peter Neumann findet: Schutzmaßnahmen seien dabei oft wirtschaftlich nicht lukrativ genug. „Für eine sicherere Infrastruktur braucht es daher eine bessere Partnerschaft zwischen Staat und privaten Akteuren“, sagte er.
„Knotenpunkte, an denen alles zusammenläuft und an denen man mit relativ wenig Aufwand sehr viel lahmlegen kann, müssen geschützt werden“, betonte Neumann. Hier hinke der Schutz der physischen Infrastruktur inzwischen dem Cyberbereich hinterher, weil es dort in der Vergangenheit mehr Angriffe gegeben habe. Die Bahnsabotage sei erst dadurch möglich geworden, dass etwa in den Bereichen Verkehr und Energie hierzulande zu lange keine Sicherheitsvorkehrungen gegen Sabotage-Angriffe getroffen worden seien, sagte Neumann.
Wer schützt die Bahn?
„Zentral für die Sicherheit sind die 4.300 Sicherheitskräfte der Deutschen Bahn, die Hand in Hand mit 5.500 Beamten der Bundespolizei zusammenarbeiten“, sagte der Bahnsprecher unserer Redaktion. Allerding habe die Bahn ein Streckennetz von rund 34.000 Kilometern. „eine lückenlose Überwachung ist damit nicht umsetzbar“, sagte der Sprecher der Bahn.
Bahn-Sabotage: Wie geht es jetzt weiter?
Die Sicherheitsbehörden nehmen den Angriff auf die Bahn-Infrastruktur sehr ernst. Das liegt vor allem an der Professionalität der Täter. Noch am Samstagabend informierte das Bundesinnenministerium den Innenausschuss und die Fraktionsspitzen im Bundestag. Mittlerweile ermittelt der Berliner Staatsschutz – der Generalbundesanwalt beobachtet, wie sich der Fall entwickelt. Er ist für Terror-Verfahren zuständig. Dafür aber fehlen offenbar noch ausreichend Hinweise.
Für Bahnreisende, die am Wochenende ihre Reise aufgrund der Sabotage nicht weiterfahren konnten, bietet die Deutsche Bahn eine flexible Nutzung des gebuchten Tickets bis zum kommenden Wochenende an. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden, teilte die Bahn mit.