Berlin. Da geht noch was! Laut Umfragen erfreuen sich über 60-Jährige eines bemerkenswerten Liebeslebens. Nicht alle gönnen ihnen den Spaß.
„Silberfüchsin“, so bezeichnet sich Schauspielerin Andie MacDowell („Und täglich grüßt das Murmeltier“), seit sie vor gut anderthalb Jahren aufhörte, sich die Haare zu färben. Jetzt verriet der geschiedene Hollywoodstar der „London Times“, dass ihr Liebesleben seitdem so gut ist wie noch nie. „Die Männer sagen mir: ‚Du siehst wunderschön aus.‘“

Eine neue Liebe suche sie nicht – die 64-Jährige ist mit ihren Dates vollkommen zufrieden. Das frühere Model steht damit für die „Generation Silver Sex“ – so nennen Forscher die derzeitige Generation der über 60-Jährigen. Denn die hat so viel Sex wie historisch noch nie Menschen dieser Alters-Liga.
Senioren wechseln Partner, Vorlieben und sogar Geschlecht
Mit 60 Jahren, da fängt der Sex erst an – diesen Eindruck vermitteln zumindest aktuelle Umfragen, die sich mit dem Liebesleben der Seniorinnen und Senioren in westlichen Ländern befassen.
Statt Bingo zu spielen oder im Blumenbeet zu buddeln, wühlen sie lieber im Bett – und das bei Weitem nicht nur mit dem Ehemann oder der Ehefrau. Die „Swinging Sixties“ denken gar nicht daran, in Sex-Rente zu gehen. Stattdessen wechseln sie den Partner, die sexuelle Orientierung oder sogar das Geschlecht.
Seniorinnen zufrieden mit Sexleben
Die Studie „Natsal“, an der sich Wissenschaftler verschiedener britischer Universitäten beteiligen und die sich rühmt, eine der größten Erhebungen weltweit über sexuelles Verhalten zu sein, fand heraus: 39 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen zwischen 65 und 74 Jahren hatten innerhalb der letzten vier Wochen vor der Befragung Sex.
Auf eine ähnliche Zahl kommt eine Studie der Universität im belgischen Lüttich: 31 Prozent der 70- 99-Jährigen sind demnach sexuell aktiv, davon sind 74 Prozent mit ihrem Sexleben zufrieden. Die Hälfte derjenigen, die keinen Sex haben, genießt alternative Arten der körperlichen Intimität, etwa Küssen und Kuscheln.
Sex beliebter als Gartenarbeit
Bei einer Umfrage der Partnerschaftsberatung Relate nannten 44 Prozent der Senioren den Koitus als liebste Freizeitbeschäftigung an, noch vor Gartenarbeit (32 Prozent). Die Kehrseite: Die Generation „Silver Sex“ steckt sich doppelt so oft mit sexuell übertragbaren Krankheiten an als noch Seniorinnen und Senioren vor zehn Jahren.
Wie so oft haben auch hier Prominente die gesellschaftliche Entwicklung vorweggenommen. Sie haben dazu beigetragen, dass sich über eine späte Scheidung oder eine späte Hochzeit heute niemanden mehr aufregt. Moderatorin Birgit Schrowange (64) fand ihr „großes Glück“ mit 59. „Wir passen einfach zusammen, machen uns das Leben zwischen Mallorca, Köln und der Schweiz so schön wie möglich“, sagte sie über ihren rund neun Jahre jüngeren Verlobten Frank Spothelfer. Sie wolle noch auf jeden Fall heiraten. Es wäre ihre erste Ehe.
Lesen Sie auch: Birgit Schrowange – „Mache Schönheitswahn nicht mit“
Frisch verliebt mit Ü-60

Entertainer Dieter Hallervorden sagte sogar mit 86 noch einmal Ja – zu der ehemaligen Stuntfrau Christiane Zander (56). Thomas Gottschalk (72) und Freundin Karina Mroß (60) wirkten kürzlich bei den Bayreuther Festspielen verliebt wie Teenager und glamourös wie Hollywoodstars. Auch Sky du Mont (74) hat sich gerade frisch verliebt – nicht zum ersten Mal seit seiner Scheidung vor sechs Jahren.
Männer genossen schließlich immer schon das Vorrecht auf Sex im Alter. Stars wie Richard Gere (72), Jeff Goldblum (69) oder Robert de Niro (78) wurden sehr spät noch einmal Vater.
Schauspielerinnen dagegen durften früher ab einem gewissen Alter nur noch sexuell neutrale Mütter spielen. In der 80er-Jahre-Soap „Dallas“ ist Barbara Bel Geddes als Ehefrau eines Ölbarons nur nahezu ungeschminkt und in kittelartiger Garderobe zu sehen. Beim Serienstart war sie 56; Larry Hagman, der ihren sexuell überaus aktiven Filmsohn J.R. spielte, war nur elf Jahre jünger.
Heutzutage betonen Helen Mirren (77), Iris Berben (71) oder Sharon Stone (64) ganz selbstverständlich ihre Attraktivität und Weiblichkeit und dürfen ein Liebesleben haben – auf der Leinwand und in Wirklichkeit. Serien wie der Netflix-Hit „Grace und Frankie“ mit Jane Fonda, in dem sich zwei Ehemänner im Alter ineinander verlieben, befassen sich mit den turbulenten Beziehungen der Ü-60er.
Viagra un Co. nehmen Männer-Ängste
In dem Film „Meine Stunden mit Leo“ heuert Emma Thompson (64) einen Callboy an, um zum ersten Mal einen Orgasmus zu erleben – und dreht die erste Nacktszene ihrer Karriere. Gestärkte Frauenrechte und eine positivere Wahrnehmung von Sexualität führen laut Experten dazu, dass das Liebesleben der Generation 60plus aufregender ist denn je – abgesehen davon, dass die Menschen länger fit bleiben und länger leben.

Mittel wie Viagra nehmen Männer-Ängste und lassen physische Hürden überwinden. Hinzu kommen neue Möglichkeiten wie Online-Dating. Eine Scheidung gilt nicht mehr als bitteres Ende, sondern als belebender Neustart – in den USA etwa hat sich die Zahl der Scheidungen ab 50 in den letzten 30 Jahren verdoppelt.
Weniger Angst vor Ablehnung, mehr Lust
Sex ab 60 kann mehr Spaß machen als in jüngeren Jahren, ist die Sexualtherapeutin Julia Henchen („Buch: „Lustfaktor“) überzeugt: „Wir vergleichen uns weniger, haben weniger Angst vor Ablehnung, kennen unseren Körper besser und haben mehr Lust auf die eigene Lust.“ Während man sich früher aufgerieben hat für Job, Partner, Kinder, soll es endlich um einen selbst gehen. „Man könnte sagen, der Sex wird egoistischer.“

Egoismus und ein Hang zum Hedonismus – das ist es auch, was viele Jüngere den fidelen Seniorinnen und Senioren vorwerfen. Als Kris Jenner (66) in der Reality-Soap „Keeping Up With The Kardashians“ aus dem Büro schmeißt, um dort Sex mit ihrem Freund Corey Gamble (41) zu haben, sind ihre Kinder peinlich berührt, mehr noch, sie fürchten, ihre Mutter könne den Verstand verloren haben.
Der Philosoph Richard David Precht (57) will die Senioren gleich zu einem sozialen Jahr verpflichten, in dem sie sich gemeinnützigen Aufgaben widmen. Die „London Times“-Kolumnistin Carol Midgley ätzt: „Müssen wir annehmen, dass die über 65-Jährige nicht nur die besten Häuser besitzen und nette Pensionen kassieren, haben sie jetzt auch den ganzen Sex? Ich fürchte: ja.“ Denn Jüngere seien inzwischen vom Überlebenskampf zu ausgelaugt dafür.

Nicht so die Alten: „Was kommt heraus, wenn man Jahrzehnte an sexueller Erfahrung mit endloser Zeit kombiniert? Der beste Sex deines Lebens“, stellt Autorin Emine Saner im „Guardian“ fest“. Den erlebt gerade Giesela P. (64), die sich vor zwei Jahren nach 37 Jahren Ehe von ihrem Mann trennte. „Ich wollte noch etwas erleben, bin viel gereist“, sagt die Volkshochschullehrerin bei einem Kochkurs in einem Gourmetgeschäft in Berlin-Charlottenburg, den sie mit ihrem neuen Partner Enrico besucht. „Enrico und ich haben uns vor einem Jahr bei Tinder kennengelernt.
Er ist Lkw-Fahrer, es wäre mir früher nie in den Sinn gekommen, etwas mit einem Lkw-Fahrer anzufangen“, sagt sie. „Und mir wäre es nie in den Sinn gekommen, einen Kochkurs zu besuchen“, sagt er beim Essen. „Giesela zeigt mir neue Welten.“ Den Nachtisch, da sind sie sich einig, gibt es zu Hause.