Turin. Menschen in Wolfsmasken, muskulöse Tänzer, Feuerfontänen? Klingt nach einer heidnischen Orgie, ist aber das Vorprogramm zum Eurovision Song Contest. In Turin galt es in der Nacht zu Mittwoch die erste große Hürde zu nehmen: Musikerinnen und Sänger aus 17 Ländern traten im ersten Halbfinale an – aber nur zehn dürfen bleiben.
Weitere zehn werden am Donnerstag ausgesiebt. Fünf Teilnehmer aus besonders zahlungskräftigen Ländern sind für das Finale am Samstag gesetzt – darunter der deutsche Beitrag des Sängers Malik Harris.
Politik ist tabu beim ESC – vorgeblich. Doch natürlich lässt sich kein bisschen Frieden vor der Haustür nicht ausblenden im bunten Spektakel der ehemaligen Eissporthalle Pala Olimpico. Und so war es ein großer Moment, als klar war: Die Ukraine ist weiter. Es war aber kein Durchwinken aus Gründen der Solidarität. Das Männer-Trio Kalush Orchestra zog mit seinem Lied „Stefania“ alle ESC–Register.
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ESC 2022: Kalush Orchstra durfte Ukraine verlassen
Folklore und Flöten, Rap und Breakdance vor psychedelischen Lichtspielen – das war schräg, schön und sorgte für Stimmung, aber auch für großes Gefühl. Die besungene Stefania ist die Mutter von Rapper Oleh Psjuk. „Ich werde immer zu dir kommen, auch wenn die Straße zerstört ist“, heißt es im Text.
Die Band aus der Stadt Kalush war selbst gerade noch im Krisengebiet. Eigentlich dürfen wehrfähige Männer das Land nicht verlassen. Die drei sollten daher per Video eingespielt werden. Doch im April kam die Befreiung vom Militärdienst.
„Wir sind sehr glücklich, dass wir uns qualifiziert haben“, sagte Psjuk. „Wir wollen allen danken, die die Ukraine unterstützen.“ Die Gruppe sieht eine besondere Verantwortung, für ihre Landsleute möglichst als Sieger nach Hause zu kommen. Die Chancen stehen gut. Auch nach den Auftritten der Konkurrenz liegt Kalush Orchestra in den Wettbüros vorn.
Ansonsten stachen besonders die Fans aus Norwegen hervor, ausgerüstet mit XXL-Bananen und Wolfsmasken. Dazu Wolfsgeheul aus allen Ecken der Halle. Kein Wunder, dass es „Give That Wolf A Banana“, ein Spaßtitel über außerirdische, nicht binäre Wölfe und performt im Stil der „Masked Singer“-Shows, ins Finale schaffte.
Malik Harris wirkt bei ESC-Proben souverän
Auch der moldawische Beitrag „Trenuletul“, ein folkloristisch-rockiger Gassenhauer, zeigt politisch Flagge: Auf einer Bahnfahrt von der Hauptstadt Chisinau nach Bukarest, Hauptstadt des Bruderlands Rumänien, träumt das sich ebenfalls in Bedrängnis befindende Moldau von einer Westanbindung – damit ernteten Zdob si Zdub & Advahov Brothers die zweitgrößte Begeisterung beim Live-Publikum.
Österreich dagegen erlitt eine Schlappe: Das DJ-Sängerin-Duo LUM!X feat. Pia Maria hat es nicht geschafft, wohl aber die Schweiz mit Marius Bear und seiner Ballade „Boys Do Cry“. Auch Armenien, Island, Litauen, Portugal, Griechenland und die Niederlande ziehen ins Finale. Dort gelten Italien mit Mahmood & Blanco („Brividi“) sowie Großbritannien mit Sam Ryder („Space Man“) als größte Konkurrenten der Ukraine.
Und das ESC-Entwicklungsland Deutschland? In den Wettbüros glaubt man nicht an Malik Harris und seinen Rap-Rock-Song „Rockstars“. Doch bei den Einzelproben und einem Konzert am Montagabend vor etlichen Tausend Zuschauern im Eurovision-Village wirkte der 24-Jährige souverän und professionell. Seinen im Lockdown entstandenen Titel präsentiert er in einem Bühnenbild, das einem heimischen Kellerstudio ähnelt.
Der Bayer mit US-Wurzeln ist dort allein, umgeben nur von seinen Instrumenten, mit denen er nach und nach seinen Song „einspielt“. „Rockstars“ ist ein Lied über Kindheits- und Jugendträume. Hoffentlich wird ein Traum wahr: dass Deutschland endlich wieder passabel abschneidet. Schlechter geht es ja zum Glück nicht mehr.
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