Berlin. Anna Blässe und Lara Dickenmann vom VfL Wolfsburg sind Kameradinnen – und Ehefrauen. Unter #Kickout kämpfen sie gegen Diskriminierung.

Die beiden Spielerinnen lieben sich, aber das lassen sie sich nicht anmerken. Im Stadion und auf dem Trainingsplatz bleiben die Gefühle in der Kabine. „Wir knutschen uns nicht ab“, sagt Anna Blässe. „Lara und ich gehen professionell mit der Situation um.“

Blässe (34) und Lara Dickenmann (35) sind verheiratet – und spielen zusammen beim VfL Wolfsburg, dem langjährigen Serienmeister der Fußball-Bundesliga der Frauen. Am Sonntag erst feierten sie nach einem 1:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt zum siebten Mal in Folge den Gewinn des DFB-Pokals.

Tagsüber Teamkolleginnen, abends Ehefrauen: Für die beiden eine ziemlich normale Sache. Ihr Leben sei „fast schon langweilig“, findet Blässe: „Abends liegen wir auf der Couch und gucken Netflix.“ Auch interessant: Homophobie-Vorwurf – 1Live eckt mit Streit-Gespräch an

Wolfsburger Ehefrauen machen Mut

Sie wollen sich nicht verstecken, sondern die Gesellschaft verändern. Aus diesem Grund haben sie sich öffentlich geoutet, zusammen mit mehr als 100 weiteren queeren Aktiven aus dem Fußball – von der Kreisklasse bis zur Champions League. Unter dem Hashtag #Kickout kämpfen sie in sozialen Netzwerken gegen Diskriminierung und machen Lesben, Schwulen und Transmenschen im Fußball Mut.

Wenn Anna Blässe ihr Instagram-Profil aufruft, fühlt sie sich mitunter wie eine Hobbypsychologin. „Ich bekomme viele Nachrichten von jungen Menschen, die mich zurate ziehen. Die fragen mich dann, wie sie sich outen sollen, weil sie Angst haben, dass ihre Familie abweisend reagieren könnte“, erzählt die gebürtige Thüringerin im Gespräch mit unserer Redaktion.

Gemeinsam erfolgreich und glücklich: Anna Blässe (l.) und Lara Dickenmann, gerade Pokalsiegerinnen geworden, sind ein Paar.
Gemeinsam erfolgreich und glücklich: Anna Blässe (l.) und Lara Dickenmann, gerade Pokalsiegerinnen geworden, sind ein Paar. © imago images

Die Abwehrspielerin aus Weimar, die seit 14 Jahren das grün-weiße Wolfsburger Trikot trägt, berichtet Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereitwillig von ihren eigenen Erfahrungen, auch wenn sie darauf hinweist, dass sie als Fußballerin „keine qualifizierten Tipps“ geben könne.

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Schwule Bundesligaspieler sind ein Tabuthema

Eine der #Kickout-Initiatorinnen ist die Berliner Aktivistin und Amateurspielerin Pia Mann (39). Sie sagt: „Fußball ist politisch, es geht nicht nur ums Gewinnen oder Verlieren.“ Sie und ihre Mitstreiterinnen Sofie Goetze (30) und Alice Drouin (33) orientieren sich an der Aktion #Actout, bei der Anfang des Jahres mehr als 100 queere Schauspielerinnen und Schauspieler Gesicht gezeigt haben.

„Wir wollen das klassische Fußballpublikum erreichen“, so Mann, die deshalb froh ist, dass das Sportmagazin „Kicker“ die Initiative begleitet. „Es gibt Menschen, die in Pusemuckel auf dem Dorf kicken und nicht wissen, wie sie gegenüber ihren Mitspielern ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität outen sollen.“

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Was allerdings auffällt: Während sich an der Schauspieleraktion einige prominente Branchenvertreter wie Ulrich Matthes (62). „Der Untergang“) oder Gustav Peter Wöhler (64, „Sieben Zwerge – Der Wald ist nicht genug“) beteiligten, ist bei #Kickout kein Spieler aus der Herren-Bundesliga dabei, kein echter Star also.

„Im Männerfußball ist es schwieriger“, glaubt Anna Blässe. „Klar gab es einen Thomas Hitzlsperger. Aber man sollte nicht erwarten, dass sofort 20 Profis nachziehen, sollte sich noch mal ein Spieler outen. Ich finde, man darf niemanden zu einem Outing drängen.“ Hitzlsperger (39), ehemaliger Nationalspieler und heute Vorstandsvorsitzender beim VfB Stuttgart, bekannte sich nach Ende seiner Sportlerkarriere zu seiner Homosexualität.

Homophobie im Fußball ist an der Tagesordnung

Knapp 2,3 Millionen Menschen spielen in rund 25.000 deutschen Vereinen Fußball. Abfällige Kommentare wie „Was für ein schwuler Pass“ oder „Ihr Kampflesben“ seien auf Bolzplätzen an der Tagesordnung, berichten die Initiatorinnen.

Als ein fulminanter Distanzschuss von Anna Blässe im Juli 2020 zum Tor des Monats gewählt wurde, überschüttete man sie im Internet mit Hasskommentaren. „Lesben werden total sexualisiert“, weiß sie. Wobei sie keine Frau ist, die sich einschüchtern lässt: „Ich kann offen über Sex reden und weiß mich zu wehren, wenn mir einer blöd kommt.“

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Es brauche mehr Vorbilder, finden die Initiatorinnen. Anna Blässe ist bereit, diese Rolle anzunehmen: „Das Schönste für mich ist, wenn junge Menschen mir schreiben: ,Danke für deine Offenheit, ich habe mich heute am Frühstückstisch mit meinem Papa über dich unterhalten. Das hat mir geholfen, mich zu outen.‘“