Krimireihe

„Tatort“: Hat Minister Lütgendorf wirklich Suizid begangen?

| Lesedauer: 4 Minuten
Tobias Kisling
Ermitteln im Politkrimi: Die beiden Wiener Sonderermittler Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) untersuchen einen Mordfall am Wolfgangsee. Die Spur führt sie in die reale österreichische Vergangenheit.

Ermitteln im Politkrimi: Die beiden Wiener Sonderermittler Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) untersuchen einen Mordfall am Wolfgangsee. Die Spur führt sie in die reale österreichische Vergangenheit.

Foto: ARD Degeto/ORF/Cult Film/Petro Domenigg / ARD Degeto/ORF/Cult Film/Petro D

Im neuen „Tatort“ geht es um den Tod des früheren österreichischen Verteidigungsministers Karl Lütgendorf. Brachte er sich um?

Berlin.  Am Ende des neuen Austro-„Tatort: Wahre Lügen“ lässt Regisseur Thomas Roth seine Zuschauer ratlos zurück. Der eigentliche Mordfall, den die Wiener Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) in ihrem 20. gemeinsamen „Tatort“-Einsatz gelöst haben, war eine Beziehungstat. So weit, so normal.

Doch der Mord an der Journalistin Sylvie Wolter (Susanne Gschwendtner) durch ihre Lebensgefährtin Sybille Wildering (Emily Cox) rückt über die 90 Minuten in den Hintergrund. Denn Thomas Roth hat einen Polit-Thriller geschaffen, der einen historischen Fall aufrollt: Hat sich der ehemalige österreichische Verteidigungsminister Karl Lütgendorf wirklich selbst umgebracht?

Spekulationen um möglichen Mord

Am 9. Oktober 1981 wurde Karl Lütgendorf von seiner Frau tot in seinem Auto aufgefunden – in einem Jagdrevier. In der linken Hand hielt er einen Revolver. Eine Kugel war durch den geschlossenen Mund in den Kopf des damals 67-Jährigen eingedrungen und hatte ihn getötet. Die Sicherheitsdirektion Niederösterreich stellte einen „Selbstmord“ fest. Soweit die Fakten.

Die Spekulationen um den Tod des früheren Verteidigungsministers reichen allerdings weit. Immer wieder wird ein möglicher Mord ins Spiel gebracht. Bei Lütgendorfs Biographie überraschen diese Spekulationen nicht. Denn Lütgendorf war nicht nur Verteidigungsminister. Der aus einer altadeligen Familie stammende Brünner war auch Geheimdienstler und Waffenlobbyist.

Seine Expertise und seine Kontakte innerhalb des Bundesheeres, aber auch ins Ausland, machte sich SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky zu Eigen und holte Lütgendorf 1971 als Parteilosen in sein Kabinett. 1977 beendete Lütgendorf seine politische Laufbahn aufgrund des Verdachts, in illegale Waffengeschäfte verwickelt zu sein.

Abgezweigte Waffenlieferungen

„Dieselben Leute, die den Karli umgebracht haben, verschieben heute noch immer Waffen und stopfen sich die Taschen voll. Und das geht nicht ohne Politiker, die das decken“, sagt der ehemalige Polizist Hans-Werner Kirchweger (Peter Matic) im aktuellen „Tatort“. Auch hier nutzt Regisseur Thomas Roth reale Vorwürfe: Denn Lütgendorf soll ebenfalls Waffen verschoben haben.

So soll Lütgendorf mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff an den Unternehmer Udo Proksch abgezweigt haben. Proksch soll diesen Sprengstoff genutzt haben, um 1977 das Frachtschiff „Lucona“ zu versenken. Das Ziel der Sprengung, bei der zwölf Besatzungsmitglieder starben, war Versicherungsbetrug.

Der Vorwurf, weswegen Lütgendorf seinen Hut als Minister nehmen musste, beinhaltete eine Lieferung des ehemaligen Bordellbesitzers Alois Weichselbaumers von 600 Gewehren und knapp 400.000 Schuss Munition, die nach Syrien hätten gehen sollen. Weichselbaumer gab an, dass er die Munition vom Bundesheer auf Leihbasis erhalten habe. Lütgendorf bestritt eine Beteiligung an der illegalen Waffenlieferung, trat aber dennoch zurück.

Dem Waffengeschäft blieb er auch nach seinem Rücktritt erhalten und war unter anderem als Lobbyist im Nahen Osten tätig. Nach seinem Tod wurde bekannt, dass Lütgendorf ein Konto in der Schweiz besaß, auf dem über vier Millionen Schilling lagen. Zum Ende des Schillings 1999 lag der Wechselkurs zum Euro ungefähr 1 zu 0,07. Vier Millionen Schilling entsprachen zu diesem Zeitpunkt also ca. 290.000 Euro.

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Zweifel am Selbstmord

Laut „Der Standard“ soll Lütgendorf zu seinem Sohn Philipp 1981 nach der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat durch Armeeangehörige gesagt haben: „Ich bin der Nächste“. 13 Tage später war Lütgendorf tot.

Nicht nur Sohn Philipp Lütgendorf äußerte anschließend Zweifel am Selbstmord seines Vaters, auch österreichische Politiker zeigten sich kritisch. Viele Details schienen nicht zusammenzupassen. Warum gab es keine Fingerabdrücke an der Waffe? Wieso sollte sich Rechtshänder Lütgendorf mit links erschießen? Warum war der Mund geschlossen?

Skepsis auch im „Tatort“

Thomas Roth gibt den Zweiflern im „Tatort“ verschiedene Gesichter. „Der Karli war ein Offizier. Der hätte sich niemals durch den geschlossenen Mund geschossen. Von allen anderen Ungereimtheiten einmal abgesehen“, sagt Hans-Werner Kirchweger, der später erschossen in seinem Auto aufgefunden wird. Die Ermittlungen ergeben: Mord.

„Also wenn das Mord war, was war dann das mit dem Minister Lütgendorf im 81er Jahr? Auch Mord?“, fragt daher Oberst Ernst Rauter (Hubert Kramar) in der Schlussszene. Es ist eine Frage, die sich viele Österreicher noch heute stellen.