Paris. Charles Aznavour wollte sich vom Alter nicht in die Knie zwingen lassen. 94 Jahre ist er. Kein Grund, kürzer zu treten, dachte er und plante seine Europatournee. Doch dann kam der Sturz, bei dem er sich einen Armbruch zuzog. Der Meister musste pausieren. Kurz pausieren, wie er immer wieder betont hatte. War er doch überzeugt, dass er die Tour schon bald fortsetzen konnte. Doch das war ein Trugschluss. Jetzt ist der Sänger im Alter von 94 Jahren gestorben.
Der Chanson-Altmeister hat zwei Konzerte seiner Tournee in Deutschland abgesagt, teilte das Management am Montag mit: Der für den 21. Juli geplante Auftritt in Regensburg sowie ein Konzert am 4. August in Köln fallen aus. Auch Auftritte in London und Marbella sowie in Pula in Kroatien entfallen. Erst im September habe Aznavour wieder Konzerte geplant, hieß es. Die Sorge, ob er überhaupt wieder die Bühne betreten wird, ist bei den Fans groß.
„Aufhören ist wie Sterben, dafür bin ich noch nicht bereit“, sagte er noch im Dezember, beim Auftakt zu seiner Europa-Tournee in Wien. Spätestens am 30. Juni wollte Aznavour in der Londoner Royal Albert Hall wieder auf der Bühne stehen, „wenn nötig eben mit Armbinde“, sagte er.
Aznavour hat immer noch vollen Terminkalender
Der Mann mit der unverwechselbaren Stimme ist längst eine lebende Legende. Überlebt hat er sich keineswegs. Davon zeugt nicht nur sein vollgepackter Terminkalender. Seine Konzerte des von Aretha Franklin als „einziger europäischer Soulsänger“ geadelten Ausnahmekünstlers fanden stets vor vollem Haus statt.
Egal wo, denn Aznavour bleibt neben Maurice Chevalier, Edith Piaf und Charles Trenet einer der ganz wenigen französischen Chansonniers, die ein internationales Publikum gewinnen konnten. In Großbritannien, Japan, Deutschland oder den USA wird er genauso bejubelt wie daheim.
Aznavour wurde von Kritikern lange verrissen
Schon als kleiner Junge suchte er den Applaus: Als Shanour Varenagh Aznavourian erblickte der Sohn armenischer Flüchtlinge 1924 in Paris das Licht der Welt und trat im Restaurant seiner Eltern als Sänger und Tänzer auf. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Edith Piaf auf ihn aufmerksam. Er schrieb Chansons für seine große Mentorin, bevor er mit ihrer tatkräftigen Unterstützung selbst ins Rampenlicht trat.
Trotzdem wurde Aznavour von der Kritik lange Zeit gnadenlos verrissen, ja, als „der Zwerg mit der Krächzstimme“ regelgerecht niedergeschrieben, bis er in den 60er-Jahren mit Megahits wie „For me formidable“, „Mourir d´aimer“ oder „La Bohème“ den Durchbruch schaffte.
Entertainer fühlte sich aus Frankreich vergrault
„Wenn man nicht hart im Nehmen ist, sollte man sich nicht als Künstler versuchen“, meint Aznavour, dessen „Herzensliebe“ zu Frankreich ihm oft schwer gemacht wurde. Anfang der 70er-Jahre, als der auch als Schauspieler international gefeierte „Entertainer des Jahrhunderts“ Scherereien mit dem Fiskus bekam, fühlte er sich aus seiner Heimat „vergrault“.
Deshalb ließ er sich vorübergehend in der Schweiz nieder. 2008 erhielt er, der sich vor allem seit dem verheerenden Erdbeben 1988 immer wieder für die Heimat seiner Eltern eingesetzt hatte, die armenische Staatsbürgerschaft verliehen. Seither vertritt der Vater von fünf Kindern aus drei Ehen Armenien als Botschafter in der Schweiz und an der Genfer Niederlassung der Vereinten Nationen.
Aznavour schrieb über 1300 eigene Chansons
Was aber ist das Erfolgsgeheimnis des Unermüdlichen? Folgt man dem Schriftsteller Jean Cocteau, beruht es vor allem auf Aznavours melancholischen Liedern, mit denen er die Verzweiflung populär gemacht habe. Wobei der Verfasser von bis heute über 1300 eigenen Chansons, die auf beinahe 200 Millionen Tonträgern den Erdball eroberten, gern zugibt, alles andere als ein unglücklicher Mensch zu sein. „Autobiografisch sind meine Texte nie gewesen“, sagt Aznavour mit einem feinen Lächeln.