Uli Hoeneß ist ein wuchtiger Mensch, und wuchtige Sätze werden über ihn geschrieben. „Hoeneß erscheint gerade wie der mustergültige Deutsche, wie ein Vorbild für das ganze Land“, säuselte der „Spiegel“ unlängst und porträtierte ihn wohlwollend als „Patron“. Der Präsident des FC Bayern schwebte als guter Mensch durch die Gegend. Oder als Gutmensch, wie man nun wohl sagen muss. Denn jetzt wurde bekannt, dass er ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz hat.
Er habe „im Januar 2013 über meinen Steuerberater beim Finanzamt eine Selbstanzeige eingereicht“, sagte Hoeneß dem „Focus“, dessen Herausgeber Helmut Markwort im Verwaltungsbeirat des FC Bayern sitzt. Die Anzeige hänge „mit einem Konto von mir in der Schweiz“ zusammen. Derzeit werden die Wirksamkeit der Selbstanzeige und die steuerlichen Folgen geprüft. Im März soll die Staatsanwaltschaft Hoeneß’ Haus im Tegernseer Tal durchsucht haben.
Wie viel Geld der 61-Jährige dort vor der deutschen Steuer versteckt hat, ist nicht bekannt. Laut der „AZ“ soll es sich um „mehrere Hundert Millionen Euro“ auf einem oder sogar mehreren Konten handeln. Hoeneß soll zeitgleich mit der Selbstanzeige bereits einige Millionen an den Fiskus gezahlt haben, kolportiert wird eine Summe von „über fünf Millionen“. Wenn die Summen korrekt sind und die Staatsanwaltschaft die Selbstanzeige nicht akzeptiert, droht Hoeneß sogar eine Haftstrafe.
Grundsatz „Ganz oder gar nicht“
Für den Fall, dass zu dem Zeitpunkt der Selbstanzeige bereits gegen ihn ermittelt wurde und er dies wusste, ist die Aussicht auf Straffreiheit dahin. Zudem ist Hoeneß zu wünschen, dass er alle Karten auf den Tisch gelegt hat. Denn beim Instrument der Selbstanzeige gilt der Grundsatz „Ganz oder gar nicht“: Wer nicht alle Schwarzgeldverstecke anzeigt oder erst in Salamitaktik mit den Informationen herausrückt, dessen Selbstanzeige verliert ihre Wirkung.
Auch der Zeitpunkt der Selbstanzeige ist pikant. Am 16. Januar 2013 berichtete der „Stern“ von „einem Spitzenvertreter der deutschen Fußball-Bundesliga“, der ein Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe auf einem Schweizer Nummernkonto der Privatbank Vontobel deponiert haben soll. Von „bis zu 650 Millionen Euro“ ist die Rede. Ob es sich dabei um Hoeneß handelt, der neben seiner Tätigkeit als Vereinsfunktionär noch eine Wurstfabrik betreibt, ist nicht bekannt.
Selbstverständlich würde er mit seinen Anwälten und Beratern „in vollem Umfang“ bei den Prüfungen seiner Finanzen helfen, sagte Hoeneß: „Ich vertraue voll und ganz auf die Arbeit der mit dem Fall befassten Behörden und bitte, mit Respekt darauf von weiteren Anfragen abzusehen.“ Ob er weiter sein Amt als Bayern-Präsident ausüben wird, ließ er offen.
Die Nachricht, die am Sonnabendmorgen durch die Republik rauschte, erstaunt. Nicht so sehr, weil ein reicher Mensch sein Geld am Fiskus vorbeimanövriert hat. Sondern weil es Uli Hoeneß ist.
Er ist der gehobene Zeigefinger
Der Bayern-Präsident hat es in den vergangenen Jahren wie kein Zweiter verstanden, sich zum Moralapostel aufzuschwingen. Er ist der gehobene Zeigefinger, das schlechte Gewissen der Politiker. Und er wird gehört.
Wo Hoeneß auftritt, hängen die Menschen an seinen Lippen. Bis hin zu Angela Merkel, die ihn wiederholt ins Kanzleramt einlud, um sich mit ihm auszutauschen. Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer soll sich vor schwierigen Entscheidungen Rat bei Hoeneß holen. „Brauchen wir mehr Hoeneß in der Politik?“, fragte die „Bild“ im September 2012. 88 Prozent der Leser beantworteten die Frage mit „Ja“. Hoeneß nicht: „Ich habe nie Ambitionen gehabt, in die Politik zu gehen. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, was ich nicht kann.“
In Talkshows gibt Hoeneß gern den Anwalt des Mittelstandes. Es bringe nichts, immer nur gegen die Reichen zu sein, denn „wenn die Unternehmer alle in die Schweiz gehen, ist auch keinem geholfen. Mit einer Reichensteuer geht es dem kleinen Mann kein Stück besser“, wetterte Hoeneß 2009 bei Maybrit Illner. Drei Jahre später resümierte er bei Günther Jauch: „Deutschland im Großen und Ganzen ist ein Paradies, und die Leute wollen es nicht begreifen.“
Doch offenbar waren Hoeneß die Steuern im Paradies dann doch zu hoch. Dass ausgerechnet er nun zugeben muss, ein Schwarzgeldkonto zu unterhalten, ist schon ein starkes Stück. Es wird ihn eine Menge Reputation kosten, das dürfte sicher sein. Auch, wenn er seine Selbstanzeige damit erklärt, ursprünglich die Angelegenheit über das Deutsch-Schweizer Steuerabkommen regeln zu wollen, das „dann bekanntlich Mitte Dezember 2012 nicht zustande gekommen“ sei.
Goldene Brücke in die Steuerehrlichkeit
Eigentlich war besagtes Abkommen bereits fertig ausgehandelt gewesen, scheiterte aber kurz vor Weihnachten Jahr 2012 im Bundesrat am Widerstand von SPD und Grünen. Über das umstrittene Vertragswerk hätten Steuersünder, die ihr Geld am deutschen Fiskus vorbei in der Schweiz in Sicherheit gebracht haben, dies mit einer anonymen pauschalen Einmalzahlung legalisieren können.
Nachdem dieser Weg für Hoeneß verschlossen war, blieb ihm bei dem Versuch, seine Weste reinzuwaschen, nur die Selbstanzeige – eine nach politischem Willen goldene Brücke in die Steuerehrlichkeit, womit Bürger, die Steuern hinterzogen haben, ihr Strafmaß und die Nachzahlungen im Nachhinein zumindest reduzieren können.
Die Reaktionen über die Nachricht sind gemischt. „Es haut mich um, wenn sich die Speerspitze der Moralapostel so ein Ding leistet“, sagte ein Aufsichtsratsvorsitzender eines Bundesligavereins, der anonym bleiben möchte. Andere Ligagrößen wie Dortmund-Präsident Reinhard Rauball, Frankfurts Vorstandsvorsitzender Heribert Bruchhagen und Schalke-Chef Clemens Tönnies wollten sich zu der Angelegenheit nicht äußern. Die Liga diskutiert den Fall ihres Lautsprechers lieber hinter vorgehaltener Hand.
Zuletzt gefiel sich Hoeneß in der Rolle des Fifa-Kritikers. Der Weltverband wird von Bestechungsvorwürfen erschüttert, und Präsident Sepp Blatter bekam von Hoeneß so manche Breitseite. „Er muss in den nächsten zwölf Monaten ganz klar erklären, wie er diesen Sumpf austrocknen will, und wenn er das nicht schafft, muss man Möglichkeiten schaffen, ihn abzusetzen“, wetterte Hoeneß. Andererseits hat Hoeneß eine ausgeprägte soziale Ader. Als der Bayern-Spieler Lars Lunde einen schweren Unfall hatte, kümmerte Hoeneß sich rührend um den Dänen, der seine Karriere beenden musste und trotzdem noch jahrelang Gehalt bekam. Auch seinen Mitspieler Gerd Müller unterstützte er nach Kräften im Kampf gegen die Alkoholsucht. Und als dem FC St. Pauli die Insolvenz drohte, rückte Hoeneß mit dem FC Bayern zum Benefizspiel an.
Fälle, in denen sich Prominente selbst anzeigten, bislang kaum bekannt
Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sagte zur Morgenpost: „Ganz allgemein gesprochen muss ich sagen, dass ich es seit Jahren nicht verstehe, warum die CSU so viele Sympathien für Steuerhinterzieher hegt, obwohl sie sonst so für Law and Order auftritt. Dass Hoeneß so heftige Sympathien für die CSU hegt, findet in den kommenden Wochen vielleicht eine zusätzliche Erklärung.“
Seehofer sagte der „Abendzeitung“, dass er schon seit Längerem wisse, dass ein Verfahren läuft. Er sei schon „vor einer geraumen Zeit“ darüber informiert worden. Und Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: „Die Selbstanzeige von Hoeneß zeigt, wie weit verbreitet Steuerhinterziehung ist. Der Verfolgungsdruck und der Ankauf immer neuer Steuer-CDs durch die SPD-Länder wirkt.“ Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte auf Anfrage der Morgenpost: „Ich habe das gelesen. Aber was soll ich dazu sagen. Jeder Kommentar meinerseits wäre da falsch“, sagte Schäuble auf die Frage nach der mutmaßlichen Steuerhinterziehung.
Dem Wirtschaftsethiker Christoph Lütge zufolge beweist allein die Tatsache, dass mit Hoeneß ein prominenter Steuerflüchtling den Weg in die Öffentlichkeit gesucht hat, dass das Instrument der Selbstanzeige grundsätzlich richtig ist: „Schöner wäre natürlich gewesen, er hätte sich gar nicht erst schuldig gemacht", sagt der Chef des Peter-Löscher-Stiftungslehrstuhls für Wirtschaftsethik in München, „aber wenn es nun mal so war, ist es allemal besser, von sich aus aktiv zu werden.“ Wenn es so gelänge, Steuersünder zu bekehren und obendrein noch einen Teil der entgangenen Steuern wieder hereinzuholen, wäre schon viel gewonnen.
Fälle, in denen sich Prominente selbst anzeigten, sind bislang kaum bekannt. Allerdings machten in den vergangenen Jahren vermehrt Steuersünder von diesem Instrument Gebrauch. 2010 etwa suchten bundesweit mehr als 23.500 Steuerflüchtlinge selbst den Weg zu den Finanzbehörden, um ihre Steuersünden publik zu machen.
Für den Fiskus bedeutet die Offenlegung der mit Schwarzgeld gefüllten Konten im Ausland jedes Mal einen Geldsegen: Für 2010 konnten sich Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr über Nachzahlungen von 1,8 Milliarden Euro freuen, wie aus Berechnungen der Steuerschätzer hervorgeht.
Beim Münchner Auswärtsspiel in Hannover (6:1) fehlte Hoeneß. Ein Vereinssprecher gab bekannt, dass es keine Äußerungen des Vereins zu dem Fall geben wird. Was allerdings nicht bedeutet, dass in der Angelegenheit der letzte Satz bereits gesprochen ist.