Geiselnahme

Zwangsräumung in Karlsruhe endet in einer Katastrophe

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Hannelore Crolly

Ein 53-Jähriger erschießt in Karlsruhe einen Gerichtsvollzieher, drei weitere Menschen und dann sich selbst. Die Polizei kommt zu spät.

200 Polizisten, 40 von ihnen Mitglieder von Sondereinsatzkommandos, Polizeihubschrauber, Scharfschützen, Psychologen, dieses ganze Großaufgebot hat nichts geholfen: Am Ende einer Geiselnahme in der Karlsruher Nordstadt waren fünf Menschen tot.

Dort, wo vor dem Abzug des US-Militärs Soldaten wohnten, hat ein 53-Jähriger vier Menschen und sich selbst erschossen – weil er eine Wohnung verlassen sollte, die geräumt wurde. „Es gab nichts zu verhindern und nichts zu retten“, sagte Oberstaatsanwalt Spitz.

Der Mann, der offenbar auch im Elsass lebte und arbeitslos war, hat den 47 Jahre alten Gerichtsvollzieher, einen 33-jährigen Schlüsseldienstmitarbeiter, den neuen Eigentümer der Wohnung (49) und deren bisherige Eigentümerin ermordet. Die Polizei glaubt, dass die 55-Jährige die Partnerin des Täters war. Er selbst war in dem Block in der ehemaligen Kaserne, die zu günstigen Wohnungen umgebaut wurde, nicht gemeldet.

Kopfschuss mit Schrotgewehr

Der Geiselnehmer hat sich mit einem Kopfschuss durch ein Schrotgewehr selbst getötet. Zuvor hatte er zwei seiner Geiseln ebenfalls in den Kopf geschossen, seine Lebensgefährtin starb durch einen Bauchschuss.

Gefunden wurden ein Schrotgewehr, ein Gewehr mit langem Magazin, zwei Pistolen und eine Übungshandgranate. Zudem habe der Täter über reichlich Munition verfügt. Damit hätte er sich eine lange Schießerei mit dem Spezialeinsatzkommando liefern können, sagte ein Sprecher.

Er habe seine Opfer „regelrecht hingerichtet“, so die Staatsanwaltschaft. Sie gehe von vierfachem Mord und einer geplanten Tat aus. Nur ein Sozialarbeiter konnte entkommen. Der Täter hatte ihn fortgeschickt mit der Bemerkung, er solle sich ihn in seiner vollen Bewaffnung noch einmal ansehen.

Zwangsräumung endet in einer Katastrophe

Was an diesem Morgen im Kanalweg 115 genau geschah, ist nicht gänzlich geklärt. Bis ins letzte Detail klar ist, warum eine gewöhnliche Zwangsräumung in einer Katastrophe endete, wird Zeit vergehen. Unbestätigt ist, dass der Mann Jäger gewesen sein soll und deshalb die Waffen griffbereit gehabt habe.

Das SEK stürmte das Apartment im rosafarben gestrichenen Dachgeschoss vor allem deshalb gegen Mittag, weil Rauch aus Türen und Fenstern drang. Einige Beamte erlitten eine Rauchvergiftung, so dicht war der Qualm in der Wohnung. „Man konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen“, sagte Polizeisprecher Fritz Bachholz wenig später. Laut Experten setzte der Mann den Teppich in Brand.

Die Polizei war am Morgen kurz nach neun Uhr alarmiert worden, als Nachbarn im Kanalweg Schüsse hörten. Ob der Mann die unerwünschten Gäste freiwillig einließ oder ob sich der Schlosser auf Geheiß des Gerichtsvollziehers an der Tür zu schaffen machte, war zunächst unklar. Später ermittelte die Polizei aber, dass der Geiselnehmer den Gerichtsvollzieher offenbar erst zweimal in die Oberschenkel schoss.

Dann musste der Schlüsseldienstschlosser, der wie der Gerichtsvollzieher Frau und Kinder hinterlässt, die anderen Opfer fesseln. Als er selbst gefesselt werden sollte, versuchte der Schlosser dem Täter die Waffe zu entreißen. Das misslang, er bekam mehrere Schüsse ab und stürzte zu Boden.

Polizei kann Geiselnehmer nicht erreichen

Über Stunden versuchte die eilig angerückte Polizei vergeblich, mit dem Mann per Handy oder über Festnetz in Kontakt zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, wie schlimm die Geiselnahme ausgehen würde. Man rechne mit drei bis vier Verletzten, womöglich einem Toten, hieß es stundenlang bei der Polizei. Doch dann fand das SEK bei seinem „Notzugriff“ nur noch die fünf Leichen.

Die Tragödie wirft ein Licht auf die immer schwieriger werdenden Arbeitsbedingungen für Gerichtsvollzieher und Zwangsvollstrecker. Der Deutsche Gerichtsvollzieherbund (DGVB) hat eine stärkere Unterstützung der Beamten angemahnt. Zwar könne bei Zwangsräumungen nicht ständig Polizeischutz gestellt werden, sagte der DGVB-Bundesvorsitzende Walter Gietmann.

Doch gerade bei solchen Vollstreckungen entwickelten sich immer wieder gefährliche Situationen. „Man trifft auf gewisse Aggressionen bei den Schuldnern“, und diese hätten in den vergangenen Jahren zugenommen. Es müsse nach Wegen für einen besseren Schutz der oftmals als „Alleinkämpfer“ ausziehenden Gerichtsvollzieher gesucht werden. Bei Räumungen sind auch zuvor schon Menschen gestorben. In Rastatt etwa, nur eine halbe Stunde von Karlsruhe entfernt, erschoss ein 68-Jähriger Ende 2011 seinen Vermieter, als dieser mit einer Gerichtsvollzieherin erschien. Der Mann ergab sich der Polizei.

Dennoch hält es Theo Geishecker vom rheinland-pfälzischen Landesverband der Gerichtsvollzieher nicht für sinnvoll, Gerichtsvollzieher zu bewaffnen. Er riet, besser die Polizei mitzunehmen. Der Kanalweg im ehemaligen Paul Revere Village der US-Armee gilt nicht als sozial auffällig, sondern als ruhiges Wohngebiet.