Tödliche Schüsse in Toulouse

Frankreich fahndet nach Terrorist auf Motorroller

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Ein Unbekannter hat in der südfranzöschen Stadt Toulouse vor einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Mann erschossen. Weil es Parallelen zu Morden an Soldaten gibt, ermittelt die Justiz nun wegen des Verdachts auf Terrorismus.

Bei einer Schießerei vor einer jüdischen Schule in der südfranzösischen Stadt Toulouse sind am Montag mindestens vier Menschen getötet worden. Darunter sind ein Hebräischlehrer und seine beiden Kinder im Alter von drei und sechs Jahren, teilte der zuständige Staatsanwalt Michel Valet mit. Das vierte Todesopfer sei zehn Jahre alt gewesen. Es gebe zudem mindestens einen Schwerverletzten, ein 17-Jähriger. Die für Terrorismus zuständige Staatsanwaltschaft in Paris nahm Ermittlungen in den drei Fällen auf, wie Staatsanwalt François Molins mitteilte. Es gehe um „Mord und versuchten Mord im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung". Das Innenministerium ordnete darüber hinaus eine verschärfte Überwachung jüdischer Einrichtungen in Frankreich an.

Täter mit zwei Waffen

Am Morgen gegen 8.15 Uhr hatte ein Unbekannter mit einer Neun-Millimeter-Waffe vor dem jüdischen Gymnasium Ozar Hatorah das Feuer eröffnet. Staatsanwalt Michel Valet sagte, der Täter habe auf alle Personen in seiner Nähe geschossen. Kinder seien von ihm in die Schule gejagt worden. Er schoss auf eine Gruppe von Menschen an einer Schulbus-Haltestelle. Laut Berichten französischer Medien betrat der Täter anschließend das Schulgelände und feuerte mit einer zweiten Waffe (Kaliber 11,43 Millimeter). Dann ergriff der Täter mit seinem Motorroller die Flucht und ließ vier Tote hinter sich.

Den Ermittlungen zufolge benutzte der Angreifer ein großkalibriges Gewehr und eine weitere Waffe. Es war zunächst unklar, ob diese Waffen auch bei den beiden Angriffen in diesem Monat verwendet wurden, bei denen insgesamt drei Soldaten in Toulouse und im 50 Kilometer entfernten Montauban getötet worden waren. Zeugen hatten in diesen Fällen ausgesagt, der Täter sei auf einem Motorrad geflohen. Der Sprecher des Innenministeriums sprach von „Ähnlichkeiten“ bei der kaltblütig ausgeführten Tat, warnte aber vor vorzeitigen Rückschlüssen.

"Nationale Tragödie"

Am 15. März hatte ein Angreifer auf einem Motorrad in Montauban in Südfrankreich auf drei Soldaten geschossen. Die drei Uniformierten im Alter zwischen 24 und 28 Jahren wollten in der Nähe ihrer Fallschirmjägerkaserne Geld abheben, als auf sie geschossen wurde. Zwei wurden getötet, der dritte schwer verletzt. Am Wochenende davor war ein 30-jähriger Soldat in Toulouse von einem ann auf einem Motorrad erschossen worden. In beiden Fällen wurde nach Angaben der Ermittler dieselbe Waffe benutzt, Kaliber 11,43 Millimeter. Nach Sarkozys Worten waren einer der getöteten Männer karibischer Herkunft und die beiden anderen Muslime.

Die Hintergründe der Bluttat sind noch völlig unklar. Wegen der Mordanschläge auf Soldaten wurde eine Sonderkommission eingerichtet. Die drei Getöteten sollen nordafrikanischer Abstammung sein; das noch in Lebensgefahr schwebende vierte Opfer ist ein Franzose schwarzer Hautfarbe von der Karibikinsel Guadeloupe.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy begab sich am Morgen in Begleitung von Bildungsminister Luc Chatel an den Tatort. Sarkozy ordnete für diesen Dienstag eine Schweigeminute in allen Schulen des Landes an. Der konservative Politiker, der gerade um seine Wiederwahl kämpft, sagte, es gebe zwischen den Anschlägen auf die Soldaten und den Anschlag auf die jüdische Schule auffällige Parallelen. Man benötige aber noch mehr Einzelheiten von den Ermittlern, um diese These zu bestätigen. Am Tatort sprach das Staatsoberhaupt von einer „nationalen Tragödie“. Auch sein sozialistischer Herausforderer François Hollande unterbrach den Wahlkampf, um an den Tatort zu reisen. Hollande sprach von einer antisemitischen Tat.

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat den tödlichen Angriff auf Juden in Frankreich verurteilt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem „verabscheuungswürdigen Mord an Juden, darunter kleine Kinder“ um einen Akt „gewaltsamen und mörderischen Antisemitismus'“ handele, sagte Netanjahu während einer Sitzung seiner Likud-Partei in Jerusalem. Es sei noch zu früh, um Genaues über die Hintergründe der Tat zu sagen, doch könne Antisemitismus nicht ausgeschlossen werden.

Außenminister Avigdor Lieberman äußerte sich in einer Erklärung „tief geschockt“. Außenministeriumssprecher Jigal Palmor sagte, Israel vertraue auf die französischen Ermittlungsbehörden, dass „alles ans Licht kommt“. Der israelische Rundfunk berichtete in Sondersendungen über die Bluttat. Israels Botschafter in Frankreich, Yossi Gal, traf sich in Toulouse mit Führern der jüdischen Gemeinde der Stadt und den Familien der Opfer, sagte Yaron Gamburg, der Pressesprecher des Botschafters.

Die Tat gilt als einer der mörderischsten Anschläge auf eine jüdische Einrichtung seit drei Jahrzehnten, als ein Überfallkommando im jüdischen Viertel in Paris in der Rue des Rosiers in einem Restaurant sechs Menschen tötete.

Gemeinde unter Schock

Die kleine Schule, an der etwa 200 Schüler eingeschrieben sind, steht in einem wohlhabenden Viertel der Stadt Toulouse, die international als wichtiger Standort des Flugzeugbauers Airbus bekannt ist. Weinende Eltern suchten am Morgen vor der Schule nach ihren Kindern. „Ich habe zwei Tote vor der Schule gesehen, ein Erwachsener und ein Kind“, sagte ein Vater dem Hörfunksender RTL. In dem Gebäude hätten die Körper von zwei Kindern gelegen. „Es war ein Bild des Grauens.“

Seine Gemeinde stehe unter Schock, berichtete der Vize-Präsident der liberalen jüdischen Gemeinde, Boaz Gatz. Zahlreiche andere ranghohe Vertreter der jüdischen Gemeinden in Frankreich äußerten sich ähnlich. Das israelische Außenministerium sprach von „Entsetzen“, mit dem Israel die Nachricht aufgenommen habe. „Das ist ein antisemitischer Akt“, erklärte der Präsident der jüdischen Studenten Frankreichs, Jonathan Hayon, dem TV-Sender BFM.

Bundesdaußenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte am Montag in Berlin, er hoffe, dass die Täter schnell gefunden und zur Rechenschaft gezogen werden. Antisemitismus und Gewalt gegen jüdische Einrichtungen oder Menschen jüdischen Glaubens hätten in Europa keinen Platz und müssten konsequent geahndet werden, mahnte der FDP-Politiker. Den Eltern, Freunden und Angehörigen der Opfer sprach Westerwelle das tiefe Mitgefühl und die Anteilnahme der Bundesregierung aus.

( AFP/dpa/Reuters/dino/tj )