Late Night "Markus Lanz"

Späte Versöhnung Walter Kohls mit seinem Vater

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Ralf Dargent

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"Hallo Papa, hier ist Walter": Nach zwei Jahren Funkstille hat Helmut Kohls ältester Sohn mit seinem Vater Kontakt aufgenommen. Markus Lanz erzählte er, warum.

Zehn Jahre sind seit dem Suizid von Hannelore Kohl inzwischen vergangen. Doch so präsent wie in den vergangenen Wochen war die am 5. Juli 2001 aus dem Leben geschiedene Kanzler-Gattin seit ihrem Freitod nicht mehr. Seit Wochen steht das Buch "Leben oder gelebt werden" von ihrem ältesten Sohn Walter in den Bestsellerlisten. Davor platziert hat sich jüngst Heribert Schwan mit seinem Porträt-Buch "Die Frau an seiner Seite". Der 47-jährige Walter Kohl, ähnlich groß und ähnlich stämmig wie sein Vater, ist zu Markus Lanz gegangen, um Schwan Unlauterkeit vorzuwerfen.

Dem ehemaligen Haus-und-Hofberichterstatter der Familie hielt Walter Kohl in der Sendung viele Verfehlungen bei seinem Bestseller vor: Vieles habe Schwan schlicht von einem zusammen mit der Autorin Dana Kajacinski vor Jahren veröffentlichten Buch der Kohl-Söhne Walter und Peter abgekupfert.

Schlimmer noch als der Plagiatvorwurf - Schwans Unterstellung eines ersten Suizidversuchs der Hannelore Kohl im Jahr 1993 sei "schlicht aus der Luft gegriffen". Richtig in Rage geriet der Automobil-Manager über Schwans Schilderung, wie Hannelore Kohl auf der Flucht Ende des Zweiten Weltkriegs vergewaltigt wurde.

"Ich weiß, dass meine Mutter sich heute im Grabe rumdrehen würde, wenn sie das wüsste", klagte Walter Kohl über die Verbreitung intimster Details ausgerechnet durch den Mann, der bei der Familie ein- und ausging.

Diese Schilderungen der Kriegsverbrechen scheinen zwar zu stimmen - auch mit ihren Söhnen habe Hannelore Kohl detailliert über die Kriegserlebnisse gesprochen, sagte der 47-Jährige. Aber was Hannelore Kohl erzählt hat, will er anders als Schwan nicht verraten: "Ich finde, dass man zehn Jahre nach dem Tod eines Menschen nicht mit solchen Dingen hausieren gehen darf." Oder wie es der Lanz-Gast, ehemalige Fernsehjournalist und Buchautor Sven Kuntze über Schwan sagte: "Er hätte das Maul halten müssen, das muss man mal ehrlich sagen."

Walter Kohl sagte nun, er sehe es als seine Verantwortung als Sohn, die Darstellungen richtig zu stellen. Und insgeheim scheint er seinen Vater an seiner Seite zu fühlen. Denn in das schwierige Verhältnis von Helmut und Walter Kohl ist wieder Bewegung gekommen. Vor zwei Wochen hätten sie nach langer Funkstille wieder miteinander telefoniert.

Er habe an einem Sonntag noch im Büro gesessen und Papierkram erledigt, so der bei seinen Erzählungen über das Vater-Sohn-Verhältnis immer wieder sichtlich bewegte Walter. Dann habe er einfach ganz spontan zum Hörer gegriffen. "Ich habe ihn angerufen, er war alleine zu Hause, wir haben uns sehr nett unterhalten." Was sagt man nach über zwei Jahren totaler Funkstille ? "Hallo Papa, hier ist Walter", schlug Lanz vor - genau so sei es gewesen.

Der Vater habe sich gefreut, die Stimme des Sohnes zu hören. Fast eine Stunde hätten sie miteinander telefoniert. Nicht über das Wetter, sondern eine Vielzahl von Themen. Darunter auch das Buch von Heribert Schwan. "Ziemlich erregt" soll sich Helmut Kohl darüber haben, sagte sein Sohn.

Offensichtlich war das Buch auch der Auslöser der Presseerklärung, die der Altkanzler am Dienstag über sein Büro veröffentlichen ließ. "Die öffentliche Zurschaustellung und Vermarktung meines Privatlebens durch Dritte empfinde ich als unangemessen", hieß es in der schriftlichen Stellungnahme.

Doch diese war so geschrieben, dass sie auch wie gegen Walter Kohl und dessen Buch gerichtet wirkte. Nach den Worten des Kohl-Sohns gab es zwei Varianten der Presseerklärung. Eine erste, die eindeutig auf Schwan gemünzt gewesen sei.

Und dann eine zweite, die wenige Stunden später versandt wurde und auch sein Buch mit einbezog. "Da wird jemand anderes die Pressemitteilung überarbeitet haben", glaubt Walter Kohl. Und wer? "Das ist die Maike." Die Liste derjenigen, die an der Mitteilung Hand angelegt haben könnten, sei sehr kurz.

Maike Richter ist im Jahr nach Walter Kohl zur Welt gekommen und ist seit 2008 dessen Stiefmutter. Ob der einst so machtbewusste Altkanzler denn inzwischen etwa fremdbestimmt sei, fragte Lanz nach. Walter Kohl windete sich. Er erinnerte an die schwere Erkrankung des Vaters, durch die er sich nicht mehr so wie früher äußern könne. An sein Alter und sein Tribut forderndes "energieintensives Leben".

Ob sich der langjährige CDU-Vorsitzende dieses Gespräch mit seinem Ältesten wohl angesehen hat? Oder ansehen durfte? Im Sinne des Familienfriedens wäre es ihm zu wünschen. Denn jenseits des Angriffs auf die zweite Frau steckte das Gespräch voll Zuneigung zum Vater.

Nachdem sein Buch im Februar zunächst von vielen als Abrechnung angesehen wurde und erst später ein runderes Bild in der Öffentlichkeit entstand, verschonte Walter Helmut Kohl nun vollends von jeder Kritik. "Mein Vater ist so überzeichnet worden in den letzten Jahren" - in die eine Richtung als historischer Politiker, in der anderen Richtung die Spendenaffäre und das Negativimage. "Ich sehe ihn einfach in der Mitte. Ein Mensch mit vielen Stärken und Schwächen." Deshalb habe er nur einen Wunsch: "Dass man einfach meinen Vater Mensch sein lässt, das wäre ganz wichtig."

Doch im öffentlichen Bewusstsein ist diese reduzierte Sichtweise des Helmut Kohl noch nicht angekommen. Dort ist er noch immer eine dominante Figur. Das zeigte sich nicht nur darin, dass in der Sendung zum Todestag seiner Frau viel mehr über den Altkanzler gesprochen wurde als über Hannelore Kohl. Sondern auch darin, dass sein politisches Werk bis heute polarisiert.

Kabarettist Werner Schneyder sagte zum biederen Image von Kohl: "Er ist nicht unterschätzt worden. Er ist von denen, die ihn gewählt haben, überschätzt worden." Der noch als ARD-Reporter in den 90er-Jahren betont Kohl-kritische Kuntze kommt dagegen zu einer viel milderen Bewertung. "Er hatte zwei große Themen. Das eine war Europa, das andere war die Wiedervereinigung. Das hat er nach Maßgabe der Möglichkeiten prima gemacht."

Kaum hatte Kuntze das ausgesprochen, fuhr er allerdings zusammen. "Jetzt sitz' ich hier und werde zu einem Kohl-Verteidiger" - falls Helmut Kohl Lanz eingeschaltet hat, war es zumindest für ihn ein versöhnlicher Abend.