Meteorologe Jörg Kachelmann glaubt, die Mehrheit der Deutschen sei “komplett entspannt, ob ein Sommer da ist“. “Sonnen-Neurotikern“ macht er trotzdem Hoffnung.
Morgenpost Online: Herr Kachelmann, der Juli war kalt und nass, der August fängt ebenso bescheiden an. Ist der Sommer in Deutschland gelaufen oder gibt es noch Hoffnung?
Jörg Kachelmann: Ich möchte immer wieder alle Medienschaffenden beruhigen. Im Gegensatz zur journalistischen Eigenwahrnehmung der größten Probleme der Welt ("Kann ich morgen offen fahren? Ist das Green am siebten Loch am Wochenende glitschig?") ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland komplett entspannt, ob ein Sommer da ist.
Und den Menschen auf dem Land, die auch mal Regen brauchen, und Leuten wie mir mit Migrationshintergrund aus dem Süden ist das Wetter sogar ganz egal. Was sagen Freunde im Mittleren Westen der USA, wenn man sich Sorgen macht um Dinge, die keine echten Probleme sind: Get a real life, dude. Und für die Sonnen-Neurotiker: Ab Mitte August geht vielleicht noch was.
Morgenpost Online: Für wie viele Tage im Voraus kann man eigentlich eine seriöse Prognose aufstellen?
Kachelmann: Sie sind ja leider von Springer und müssen jetzt ganz tapfer sein. Alle die Veröffentlichungen aus Ihrem Verlag, die im März das Wetter für den Sommer und jetzt gerade eben das für Herbst und Winter vorhersagen, sind hanebüchener Schwachsinn. Oder waren in der zweiten Julihälfte 40 Grad? Der 15-Tage-Trend, den Sie in meinen Videos immer wieder sehen, ist schon am oberen Ende der Möglichkeiten.
Morgenpost Online: Ist der Dauerregen im Moment eigentlich wirklich so ungewöhnlich oder täuscht uns das Gedächtnis? Welche meteorologischen Faktoren müssen zusammenkommen, um uns die Ferien zu vermiesen?
Kachelmann: Ferien sind dazu vorgesehen, auszuschlafen, sich zu erholen und zu regenerieren. Wenn Sie Ihre Leser fragen würden (abseits Ihrer cabriofahrenden und golfspielenden Freunde) bin ich sicher, dass sie sich auch bei Regen gut erholt haben. Und es gab zwar sehr nasse Gebiete in Deutschland, aber immer auch noch ein paar zu trockene. Und ja, weniger oft 30-Grad-und-mehr-Tage als üblich. Aber sollten wir deshalb sterben wollen müssen?
Morgenpost Online: Auf Ihrer Homepage sagen Sie wieder Niederschläge, Temperaturen und Hochs und Tiefs vorher – per Video, ganz ohne digitalen Schnickschnack, mit DIN-A4-Bögen und Edding-Filzschreibern. Fehlt Ihnen das Profi-Fernsehstudio oder reicht dieser Minimalismus im Grunde für eine Vorhersage völlig aus?
Kachelmann: Mir ging es schon immer ein bisschen mehr um den Inhalt als die Verpackung, und unsere Firma hat immer noch ein tierisches turnhallengroßes HD-Fernsehstudio, in das ich bei Phantomschmerz rein dürfte. Aber da kann ich eben eh nicht jeden Tag sein, und Internet ist immer und ich damit auch. In der Kombination ergibt das den Wetterkachelmann-Kanal auf YouTube.
Morgenpost Online: Wie sind denn die Reaktionen der Nutzer auf Ihren Wetterkanal, den man ja auch bei YouTube anklicken kann?
Kachelmann: Rund 400.000 Aufrufe bisher, nicht schlecht. 98 Prozent der Reaktionen positiv, nur die antiamerikanisch-antisemitisch und teilweise neonazistisch bewegten Gläubigen an die frei erfundene "Chemtrail"-Verschwörungstheorie, dass Kondensstreifen aus Flugzeugen dazu da seien, uns zu vergiften und irgendwie auch noch absichtlich das Wetter zu beeinflussen, sind in ihrem wütenden Fundamentalismus angestrengt lächerlich.
Es ist zu wünschen, dass an Leute, die solche Kommentare (in denen Ungläubigen bzw. de facto Wissenden wie mir öfter mit Tod, Folter und Nürnberger Prozessen gedroht wird) zu meinen kleinen unschuldigen Erklärvideos bei Wetterkachelmann.wordpress.com schreiben, nie Kunstdünger verkauft wird.
Das Interview mit Jörg Kachelmann wurde von Henryk M. Broder und C.C. Malzahn per E-Mail geführt.