Sieben Wochen haben Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales (CDU), und Manuela Schwesig, Landsministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern (SPD), über eine Einigung im Streit um die Hartz-IV-Reform gestritten – ohne einen gemeinsamen Weg zu finden. Nun haben sich die Ministerpräsidenten eingeschaltet und wollen selbst einen Kompromiss finden, um das Gesetz durch den Bundesrat zu bringen.
Politikberater Michael Spreng sieht sich beim Late-Night-Talk von Anne Will daher zwei Verliererinnen gegenübersitzen. Von der Leyen und Schwesig haben sich an ihren Standpunkten festgebissen und können trotz einiger Signale zur Kompromissbereitschaft der Länderchefs nicht davon lassen. Für Spreng ist das eine Ursache für die immer größer werdende Politik- und Parteienverdrossenheit.
„Das Hartz-IV-Theater – Was bekommt die Politik noch gebacken?“, fragte Anne Will in der aktuellen Ausgabe ihrer Sendung. Zündstoff für den Zoff zwischen den Politikerinnen gibt es von Anfang an reichlich. Doch die Redaktion gießt um einer spannenden Sendung willen weiter Öl ins Feuer.
Der Junge aus Berlin-Hellersdorf
Da wird der 13-jährige Maurice aus Berlin-Hellersdorf gezeigt. Sein Vater ist Leiharbeiter auf dem Bau. Um seine achtköpfige Familie durchzubringen, muss der Vater aufstocken – aus dem Hartz-IV-Topf. Während die CDU Hartz IV um fünf Euro erhöhen will, fordert die SPD elf Euro mehr. „Können Sie sich nicht einfach in der Mitte treffen, bei acht Euro“, fragt der Junge in die Kamera.
Schwesig reagiert sofort und reicht von der Leyen die Hand. Doch die Bundesministerin winkt ab. Schließlich gehe es nicht um ihr Geld, sagt sie. Jede Anhebung müsse begründet sein. Das habe auch das Bundesverfassungsgericht vorgegeben, als es im Februar vergangenen Jahres eine neue Regelung von Hartz IV forderte.
Journalist und Verleger Jakob Augstein nennt die Reaktion von der Leyens zynisch. Schwesig springt sofort mit ins Boot – stets bereit, der Kontrahentin eins auszuwischen. Doch viel schwerer wiegt der Vorwurf, den Augstein gegenüber dem Anne-Will-Team erhebt. Er sagt, es sei entwürdigend, einen 13-Jährigen vor die Kamera zu zerren, und um mehr Geld betteln zu lassen.
Es stelle sich vielmehr die Frage, ob eine Gesellschaft es zulassen kann, dass ein Familienvater nicht genug Geld verdienen kann, um seine achtköpfige Familie durchzubringen, sagt Augstein. Obwohl auch die gleiche Bezahlung für Leiharbeiter und fest Angestellte Thema der Hartz-Debatte ist, bleibt der Punkt an dieser Stelle offen.
Vielmehr geht es beim Schlagabtausch in die nächste Runde. Diesmal stachelt die Redaktion die Diskussion mit einem Einspieler an, in dem ein Vergleich von der Bankenrettung im September und Oktober 2008 mit dem Streit um die Hartz-IV-Reform gezogen wird.
2008 gab es innerhalb von 15 Tagen ein Rettungspaket in Höhe von 480 Milliarden Euro für die wankenden Banken. Heute ist für die Menschen, die Hartz IV beziehen, auch innerhalb von 369 Tagen noch keine Lösung auf dem Tisch.
Maurice fragt daher traurig in die Kamera, ob die Regierung nicht wenigstens die Anhebung von fünf Euro schon auszahlen kann. Wieder springt Schwesig sofort darauf an. Klar, das ginge. Doch von der Leyen winkt ab. „Ich will auch das Bildungspaket durchbringen“, sagt die Bundesministerin.
Damit sei es doch auch nicht weit her, wirft Michael Spreng ein und fragt, wie viel Geld pro Kind und Tag zur Verfügung stehe. Immerhin 1,2 Milliarden Euro für 2,5 Millionen Kinder seien es, antwortet die CDU-Politikerin. Das konkrete Tagesgeld für die Kinder nennt sie allerdings nicht. Es sind etwa 1,31 Euro. Dafür sagt von der Leyen, wofür das Geld verwendet werden soll: Für warme Mahlzeiten, Nachhilfe und Vereinsmitgliedschaften.
Beim Thema Bankenrettung muss noch einmal der Vater von Maurice herhalten: Der hätte heute gar keine Arbeit, wenn die große Koalition 2008 nicht gehandelt hätte, sagt von der Leyen, und der 13-Jährige aus Berlin gewinnt an diesem Abend tatsächlich eine fragwürdige Berühmtheit.
Ein ehemaliger Banker als Würstchenverkäufer
Ein Opfer der Krise ist Thomas Brauße. Der Banker verlor seinerzeit seine gutbezahlte Stelle und hat sich in der Folge als Würstchenverkäufer selbstständig gemacht. Heute bewirtet er ehemalige Kollegen im Frankfurter Bankenviertel in seiner „Worschtbude“. Brauße hatte bei den Verhandlungen um Hartz IV nicht den Eindruck, dass es um die Sache ging.
Vielmehr vermutet er wie seine Mitdiskutanten Spreng und Augstein parteipolitisches Kalkül im Superwahljahr. Die beiden Frauen weisen jede Kritik von sich. Von der Leyen sagt sogar, dass eine Einigung bereits weitgehend erzielt sei. Und sofort bricht der Zickenkrieg wieder aus. „Das stimmt nicht“, sagt Schwesig.
Von der Leyen bleibt ruhig: „Warum rücken Sie nun vom Verhandlungsergebnis wieder ab“, fragt sie, und Schwesig kontert: „Es ist gut, dass jetzt die Ministerpräsidenten verhandeln.“ In einem sind sich die Kontrahentinnen am Ende der Sendung aber plötzlich einig: Noch in dieser Woche soll der Kompromiss bei den Hartz-IV-Verhandlungen stehen. Sie sagen: „Da machen wir den Sack zu.“