67 Jahre nach der Tat

Mord an Familie Albert Einsteins neu aufgerollt

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Sven Felix Kellerhoff

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Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg sucht Zeugen im Mordfall Einstein. 1944 waren bei Florenz Familienmitglieder des Physikers erschossen worden.

Mord verjährt nicht. Deshalb startet das Landeskriminalamt Baden-Württemberg am Mittwochabend eine in der deutschen Polizeigeschichte bisher wohl einzigartige Fahndungsaktion: Die Ermittler suchen mit einem Beitrag in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ (20.15 Uhr) nach Zeugen für einen Dreifachmord, der schon vor mehr als 66 Jahren in Italien begangen wurde. Dass gerade dieser Fall nach so langer Zeit wieder in die Öffentlichkeit kommt, hat vor allem mit dem Namen der Opfer zu tun.

Am 3. August 1944 wurden nahe der Kleinstadt Rignano sull'Arno bei Florenz die beiden jungen Frauen Luce und Cici sowie ihre Mutter Caesarina erschossen – die Töchter und die Frau von Robert Einstein, dem Cousin des Nobelpreisträgers Albert Einstein. Wahrscheinlich mussten alle drei sterben, weil sie den auch damals schon weltbekannten Namen trugen. In der sonst so idyllischen Toskana wurde viel gestorben im Hochsommer 1944.

Familie Einstein hoffte auf die Briten

Denn unaufhaltsam rückten aus dem Süden britische Soldaten der 15. Alliierten Heeresgruppe vor, um Italien von deutscher Besatzung zu befreien. Seit im Jahr zuvor Hitlers Verbündeter Mussolini gestürzt worden war, hatte die Wehrmacht ein brutales Regime errichtet, das die Truppen der Anti-Hitler-Koalition unter großen Verlusten nach Norden zurückdrängen mussten. Anfang August 1944 nun stand der Rückzug der deutschen Truppen aus dem Arnotal unmittelbar bevor. Alle Brücken über den Fluss waren bereits zur Sprengung vorbereitet, allein die Ponte Vecchio von Florenz sollte verschont bleiben – angeblich, weil Hitler von diesem Bauwerk bei seinem Besuch in Florenz 1938 begeistert war.

Knapp 20 Kilometer südöstlich von Florenz hoffte die Familie Einstein auf die Ankunft der Briten. Erst dann würden sie in Sicherheit sein. Robert Einstein, der seit Jahrzehnten in Italien lebte, wusste, wie gefährdet er war. Deutsche Soldaten, sowohl Einheiten der SS wie der Wehrmacht, hatten schon in den vorangegangenen Wochen Zivilisten getötet. Sein prominenter Name und die Tatsache, dass er aus einer jüdischen Familie stammte, machten ihn zum potenziellen Ziel.

Also verließ Robert Einstein das Landgut Tenuta dell'Focardo, wo er mit seiner Familie lebte. Er hatte gute Kontakte zu einigen italienischen Partisanen, die sich in der Nähe versteckt hielten. Hier wollte Robert Einstein abwarten, bis die alliierten Soldaten die deutschen Besatzer vertrieben hätten. Dass seiner Familie Gefahr drohen könnte, glaubte er nicht.

Doch es kam anders: Am 3. August 1944 erschienen auf einmal uniformierte Deutsche auf dem Landgut. Sie hielten ein kurzes Standgericht ab, dann wurden Caesarina Einstein und ihre beiden 18 und 27 Jahre alten Töchter im Garten erschossen. Einige weitere Bewohner des Hauses, darunter Lorenza Mazzetti, die Nichte der Einsteins, und ihre Schwester, mussten der Hinrichtung zusehen, dann wurden sie in einem Schuppen am Rande des Grundstücks eingesperrt. Schließlich steckten die Soldaten das Haus in Brand.

Robert Einstein sah die Flammen und machte sich sofort auf, nach seiner Familie zu sehen. Er fand sie tot vor. Verzweifelt versuchte er, sich das Leben zu nehmen – es gelang ihm nicht. Inzwischen waren auch die alliierten Truppen eingetroffen. Robert Einstein setzte nun seinen prominenten Namen ein, um schnellstmöglich Ermittlungen einzuleiten und die Mörder seiner Familie zu verfolgen. Einen Tag nach dem Mord war ein Papierfetzen aufgetaucht, auf dem stand, die drei Einsteins seien „wegen Spionage hingerichtet“ worden – und weil sie „Juden“ seien. In Wirklichkeit war Caesarina die Tochter eines protestantischen Pfarrers.

Viele NS-Täter haben ein hohes Alter erreicht

Die Augenzeugin Lorenza Mazzetti schilderte ihrem Onkel den Mord genau – und an ihre und einige weitere Aussagen knüpfte die LKA-Ermittlungsgruppe Nationalsozialistische Gewaltverbrechen an, als sie 2007 ein neues Verfahren eröffnete. Denn nach Zeugenaussagen sprach sich ein Angehöriger des deutschen Trupps entschieden gegen den Dreifachmord aus und hielt sich abseits, als die tödlichen Schüsse fielen.

Dieser Mann soll damals 18 bis 20 Jahre alt gewesen sein – er könnte also heute noch leben. Ausdrücklich bittet die Polizei aber auch andere Personen um Auskünfte, selbst wenn sie von den Vorgängen nur aus zweiter oder dritter Hand erfahren haben. Es ist möglich, dass einer der direkt Verantwortlichen noch lebt. Überraschend viele NS-Täter haben ein hohes Alter erreicht. So verbüßt der 98-jährige Erich Priebke der im März 1944 mitverantwortlich für ein Massaker an 335 Italienern in Rom war, noch immer seine lebenslange Haft. Er steht in Rom unter Hausarrest. Mindestens fünf wegen Kriegsverbrechen in Italien verurteilte frühere SS-Männer wohnen noch unbehelligt in der Bundesrepublik. Sie dürfen als Deutsche nicht an ein anderes Land ausgeliefert werden. Es ist aber unwahrscheinlich, dass einer von ihnen an dem Dreifachmord beteiligt war.

Robert Einstein überlebte seine Familie nicht lange. Zwar setzte er sich noch mit aller Kraft für die Strafverfolgung der Täter ein und bat auch seinen Cousin Albert um Hilfe. Doch am 13. Juli 1945, seinem 32. Hochzeitstag, nahm sich Robert Einstein das Leben. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern ist er auf dem Friedhof von Badiuzza beerdigt.