Flapsige Formulierungen, Groß- und Kleinschreibung ungenügend: Immer weniger junge Akademiker sind in der Lage, fehlerfreies Deutsch zu Papier zu bringen oder in die Tastatur ihres Computers zu hacken. Deutlich wird der Verlust der Muttersprache an delikater Stelle: bei Bewerbungen.

Die Aufgabe war durchaus anspruchsvoll: Mit einer Anzeige in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ (NJW) suchte eine norddeutsche Großstadt im Dezember 2009 Nachwuchsjuristen.

Die jungen Akademiker sollten die Stadt in allen rechtlichen Angelegenheiten vertreten. Die Anzeige richtete sich deshalb ausschließlich an solche Kandidaten, die das zweite Staatsexamen bestanden und damit auch die „Befähigung zum Richteramt“ erworben hatten. Doch mehrere, mit Fehlern gespickte Bewerbungsschreiben offenbarten, dass diese Befähigung offenbar nicht zwingend mit einem Talent für deutsche Rechtschreibung und Grammatik einhergehen muss.

Ein Kandidat aus Nordrhein-Westfalen schrieb zum Beispiel: „Mein Interesse galt schon immer dem Öffentlichen Recht, so dass ich eine Bewerbung für sämtliche drei ausgeschrieben Stellen einreiche.“

Und weiter: „Dabei interessiert mich besonders das Bilanzrecht mit seinen gesellschaftsrechtlichen Bezüge. Diese Materie konnte ich während meiner Tätigkeit in der studentischen Selbstverwaltung praktisch vertiefen, da ich schon während meines Studiums konnte in den verschiedensten Gremien in die Verwaltung gewinnen.“

Am Ende des nur eine Seite langen Schreibens hatten sich nicht weniger als zehn Fehler summiert.

Ein Einzelfall? Kaum. Zwar gibt es noch keine empirischen Studien über das Phänomen fehlerhafter Bewerbungsschreiben von Hochschulabsolventen. Aber seit Jahren häufen sich die Klagen von Personalchefs – und Professoren. Die Hochschulen monieren immer häufiger Defizite, die Studienanfänger aus der Schule mitbringen und die während des Studiums nicht mehr aufgefangen werden könnten.

Schon 2005 kam ein Erfahrungsbericht der Universität Konstanz zur Situation bei den Geschichtsstudenten zu dem ernüchternden Resultat: „Die Defizite in der Vorbildung der Studierenden wurden in den vergangenen Jahren spürbar stärker.

Sie beziehen sich auf grundlegende Kompetenzen: In der Regel wird die alte Rechtschreibung nicht mehr, die neue noch nicht beherrscht. Das sprachliche Niveau der mündlichen Präsentationen und der schriftlichen Arbeiten fällt seit einigen Jahren stark ab; es ist erkennbar, dass der sprachliche Ausdruck in immer geringerem Ausmaß vom intensiven Kontakt mit Büchern geprägt wird.“

In Konstanz zog man daraus – wie andernorts auch – die Lehre, den Studenten „Formalia“ für das Verfassen schriftlicher Arbeiten an die Hand zu geben.

In den Anleitungen für das Fach Rechtswissenschaften heißt es zum Beispiel: „Rechtschreibung, Trennung und Zeichensetzung (!) dürfen nicht vernachlässigt werden (Duden!).“

Und: „Die fertig geschriebene Arbeit muss unbedingt mit großer Ruhe und Sorgfalt insbesondere daraufhin noch einmal durchgelesen werden, ob sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler enthält. Das geht wohl mit Hilfe eines Ausdrucks besser als am Bildschirm.“

Binsenweisheiten – die offenbar immer seltener beachtet werden. In ein Schreiben, mit dem man sich um eine Stelle bewirbt, sollte man ganz gewiss etwas mehr Mühe und Sorgfalt investieren.

Mit einer Auflage von rund 400.000 Exemplaren zählt die Zeitschrift „Unicum“ zu den größten Publikationen, die sich hauptsächlich an eine studentische Leserschaft richtet. In seinem Onlineauftritt präsentiert „Unicum“ ( ) die Geschichte „Die 10 peinlichsten Rechtschreibfehler im Bewerbungsschreiben“. Das legt nahe, dass nicht wenige Studenten Probleme mit der deutschen Rechtschreibung haben.

„Die Rechtschreibung ist wie ein Fingerabdruck: Sie sagt viel über den Schreiber aus. Fehler können tödlich (nicht „tötlich“!) sein – in wichtigen Mails wie im Bewerbungsschreiben“, warnt der Wirtschaftsberater und Buchautor Martin Wehrle, der die Fehlerliste erstellt hat, die „Unicum“-Leser.

Wehrle, der sowohl Dax-notierte Unternehmen als auch Privatpersonen berät, wird seit Jahren mit immer wiederkehrenden Fehlern konfrontiert. Dazu zähle inzwischen regelmäßig der falsch gesetzte Oberstrich, der sogenannte Idioten-Apostroph, der in Formulierungen wie „Dank Frau Müller's Förderung gelang es mir...“ auftauche.

Viele Bewerber verwechselten auch die Bedeutungen der Wörter „anscheinend“ und „scheinbar“, sagt Wehrle.

Der Satz „Scheinbar passe ich perfekt zu der Stelle.“ solle zwar aus Sicht des Bewerbers dessen Eignung bekräftigen, bedeute aber das genaue Gegenteil.

Weil Anreden in einem Brief großgeschrieben werden, würden manche Jungakademiker über das Ziel hinausschießen und mit Sätzen wie „Diese Tätigkeiten haben mich erfüllt, ich liebe Sie geradezu“ unfreiwillig komische Liebeserklärungen an ihnen unbekannte Personalchefs abgeben.

Und auch Sätze wie „Die schweizer Mutterfirma hat mich zur Zentrale geschickt“ oder „Aus meiner hamburger Zeit weiß ich...“ tauchten häufiger in Bewerbungsschreiben auf, weil viele Absender die Regel nicht kennen, wonach Wörter, die sich aus geografischen Namen ableiten und auf „er“ enden, großgeschrieben werden.

Fehlerhafte Bewerbungsschreiben haben laut Wehrle mehrere unterschiedliche Ursachen, die sich gegenseitig verstärken. „Viele aus der heutigen Studentengeneration haben die Affinität zum geschriebenen Wort verloren, sie lesen kaum noch Bücher und Zeitungen, sondern lassen sich lieber von elektronischen Medien informieren und unterhalten.“

Hinzu kämen die im Vergleich zu früher deutlich größeren Wahlmöglichkeiten für Schulfächer.

Noch in den 70er-Jahren fiel man mit einer Fünf im deutschen Aufsatz selbst dann durch das Abitur, wenn man in allen anderen Fächern Einsen hatte. Heute könnten die Schüler leichter einen Bogen um ungeliebte Wissensgebiete machen. Wehrle: „Die Schreiben von Geisteswissenschaftlern enthalten zumeist deutlich weniger Rechtschreibfehler als die von Naturwissenschaftlern.“ Vor allem in den Schreiben von Betriebswirten und Ingenieuren würde es vor Fehlern nur so wimmeln.

Noch gravierender würde sich jedoch die neue E-Mail-Kultur auswirken. Die zunehmende Flapsigkeit im schriftlichen Umgang führe dazu, dass viele Jungakademiker glauben, dass dieser Ton auch im Geschäftsleben ankommt. Wehrle: „Dieser Fehler wiegt schwerer als ein falsch gesetztes Komma.“