Bad Reichenhall

Die Unzufriedenheit nach dem Eishallen-Prozess

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Katharina Wiechers und Till Erdtracht

Foto: AP

Knapp drei Jahre nach dem Eissporthalle-Einsturz von Bad Reichenhall hat das Landgericht Traunstein den Konstrukteur zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Architekt und ein Statiker wurden freigesprochen. Doch damit ist der Fall noch nicht vorbei, denn zufrieden ist mit dem Urteil keiner.

Es war eine berührende Geste im Gerichtssaal: Nach dem Urteil des Landgerichts Traunstein zum Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall stürmte ein Hinterbliebener auf den einzigen Verurteilten zu und reichte ihm die Hand. Der „kleine, bescheidene Mann“ sei ja nur ein „Bauernopfer“, sagte Robert Schromm, der vor fast drei Jahren seine Frau in den Trümmern verloren hatte. Die wahren Schuldigen säßen in der Bad Reichenhaller Stadtverwaltung, so Schromm. Zuvor hatte das Gericht den 68-jährigen Bauingenieur Walter G. wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

„Der Angeklagte hat den Einsturz der Halle entscheidend mitverursacht“, sagte der Vorsitzende Richter Karl Niedermeier zur Begründung. Die Mitangeklagten, der 55-jährige Statiker Rüdiger S. (55) und Architekt Rolf R. (64), wurden von den Vorwürfen freigesprochen. Der Anwalt des Verurteilten, Harald Baumgärtl, und Oberstaatsanwalt Günther Hammerdinger kündigten jeweils an, eine Revision des Urteils sorgfältig zu prüfen.

Beim Einsturz der Bad Reichenhaller Eissporthalle am 2. Januar 2006 waren zwölf Kinder und drei Frauen ums Leben gekommen. 34 Menschen wurden verletzt, sechs von ihnen schwer. Um 16.00 Uhr sollte damals der Publikumslauf beendet sein. Die Halle sollte geschlossen und das anschließende Eishockeytraining abgesagt werden – denn zu viel Schnee lag auf dem Dach. Doch sechs Minuten vor 16.00 Uhr krachte das Dach der Halle zusammen, Holzbalken begruben die Eisläufer.

Über die Ursachen der Katastrophe waren sich die Gutachter im Prozess einig: Nicht die Schneelast, sondern bauliche Mängel führten dazu, dass die Decke nicht mehr hielt. Dieser Einschätzung folgte auch das Gericht. Konkret habe Konstrukteur G., der als einziger im Prozess Fehler zugegeben hatte, die Statik des Daches falsch berechnet und die zulässige Höhe der Bauträger „erheblich überschritten“. Außerdem habe er die Subunternehmen nicht pflichtgemäß überwacht – sie hatten unbemerkt einen feuchtigkeitsempfindlichen Harnstoffleim bei der Dachkonstruktion verwendet.

Der Architekt R. hat sich nach Einschätzung des Gerichtes hingegen keines Vergehens schuldig gemacht. Auch das Verhalten des Statikers S. sei „nicht kausal“ für den Einsturz der Halle gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Dieser hatte 2003, also nur drei Jahre vor dem Unglück, ein Gutachten erstellt, in dem er unter anderem der Trägerkonstruktion des Bauwerks einen „guten“ Zustand bescheinigt hatte. Dass der Angeklagte dennoch freigesprochen wurde, begründete Richter Niedermeier damit, dass von der Stadt nicht zu erwarten gewesen wäre, dass sie auf einen Hinweis des Statikers überhaupt reagiert hätte.

Genau diese Begründung rief bei Teilen der Hinterbliebenen Unverständnis hervor. Dagmar Schmidbauer, die bei dem Einsturz selbst verschüttet war und ihre beiden Kinder verloren hat, sprach von einem „juristischen Trick“. Der Statiker hätte nach ihrer Ansicht verurteilt werden müssen. Für ihren Mann Robert gab es nicht nur einen Hauptverantwortlichen. Viele Leute hätten „gepfuscht“. Darin war er sich einig mit Schromm, für den ohnehin die Falschen auf der Anklagebank saßen. Der Verurteilte sei nur ein „Rädchen im Getriebe“ gewesen. Bürgermeister und Bauamt der Stadt hätten „jahrzehntelang geschlampt“, sage Schromm.

Aus Sicht von Oberstaatsanwalt Hammerdinger bestehen allerdings „keine Erfolgsaussichten“ für weitere Anklagen, etwa gegen Stadtbedienstete. Nach Meinung von Anwalt Baumgärtl müssten indes weitere Schuldige gesucht werden. Sein Mandant hätte jedenfalls nicht verurteilt werden dürfen. Denn 1977 seien Umbauten ohne statische Prüfung an der Halle vorgenommen worden.

Die Freigesprochenen nahmen das Urteil erleichtert auf. Der freigesprochene Rüdiger S. gab dennoch unter Tränen an, sich immer noch ständig zu fragen: „Was hätte ich machen können? Hätte ich härter gegenüber den Auftraggebern sein müssen?“ Der Architekt Rolf R. zeigte nach dem Urteil keine Gewissensbisse. Um die Toten tue es ihm zwar leid, aber der Vorwurf der Staatsanwalt gegen ihn sei „an den Haaren herbeigezogen“ gewesen. (dpa)