Einwurf Union

Darum sollte die Nationalelf bei der WM mehr Union wagen

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Union Berlin hat mit Leidensfähigkeit und Solidarität sein Erfolgsrezept gefunden.

Union Berlin hat mit Leidensfähigkeit und Solidarität sein Erfolgsrezept gefunden.

Foto: Juergen Engler / picture alliance / nordphoto GmbH / Engler

Warum der Fußball-Bundesligist aus Köpenick dem deutschen Team eine erfolgreiche WM bescheren könnte.

Ich glaub‘, es geht schon wieder los. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Keine Sorge, ich werde hier jetzt nicht den Roland Kaiser geben, dafür ist mein Schlager-Gen dann doch zu wenig ausgeprägt. Was nichts daran ändert, dass es tatsächlich schon wieder losgeht, auch wenn es so gar nicht zu meinem Sportreporter-Fußball-Gen passen will. Aber wenn Bundesliga-Klubs in diesen Tagen wieder in die Vorbereitung für den zweiten Saisonabschnitt einsteigen, dick eingepackt, während in Katar eine Fußball-Weltmeisterschaft in die K.o.-Runde strebt, dann darf man wohl immer noch ein wenig irritiert sein.

Auch der 1. FC Union legt am Montag nach drei Wochen Urlaub mitten in der Spielzeit wieder los. Es macht diese unsägliche Mischung aus völlig deplatziertem Stelldichein der Besten im Wüstenstaat und gefühltem Liga-Betrieb im Hintergrund nicht besser. Auch wenn sich ein gewisser Zusammenhang einfach nicht leugnen lässt.

Bei Union Berlin schmollt niemand auf der Bank

Zu tun hat dies mit einem nicht nur in der Hauptstadt bekannten Schweizer, elf – oder besser gesagt 26 – nicht weniger unbekannten Deutschen und Willy Brandt. Denn frei nach dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler sollte die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick mehr Union wagen. Was wiederum Urs Fischer, dem Eidgenossen auf der Trainerbank der Köpenicker, durchaus gefallen könnte.

Natürlich ist ein Blick in den Rückspiegel wenig förderlich, wenn man vorankommen möchte. Hier ist er jedoch die ultimative Voraussetzung. Denn es braucht diese aus Union-Sicht immer noch unglaublichen Herbst-Wochen, um das Erfolgsrezept des Fischer-Teams einmal mehr zu erklären.

Was andere zuweilen als wenig ansehnlichen Fußball beschreiben, ist nicht weniger als die Fähigkeit, auf dem Spielfeld leiden zu können. Wo (sicherlich auch zu Recht) mangelnde Effizienz moniert wird, muss auch die Solidarität gelobt werden, mit der Fehler der Mitspieler ausgebügelt werden. Und statt unzufrieden wegen zu wenig Einsatzzeit zu schmollen, wird sich dem Erfolg untergeordnet – zumindest öffentlich. Und darauf kommt es ja schließlich auch an, oder?

Es gilt das Wort von Per Mertesacker

Union lebt Union, auf und neben dem Platz. Eine Einstellung, die die deutsche Nationalmannschaft noch nicht wirklich zu vermitteln vermochte in Katar. Gegen die Spanier, einen der Favoriten auf den WM-Titel, blitzte jene Union auf, die es braucht, um in diesem Turnier überhaupt eine Rolle zu spielen. Jedenfalls eine andere als die des Punktelieferanten.

Nein, auch bei der Niederlage gegen Japan war nicht alles schlecht, was die deutsche Mannschaft gezeigt hat. Doch in den entscheidenden Momenten fehlten Leidensfähigkeit und Solidarität, was in öffentlicher Unzufriedenheit gipfelte. So ist erfolgreicher Fußball anno 2022 einfach nicht möglich.

Und gilt nicht immer noch das Wort von Per Mertesacker? Wer das berühmte Eistonnen-Interview nach dem äußerst knappen und erst in der Verlängerung erzielten Erfolg gegen Algerien im Achtelfinale der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien vergessen hat – kein Problem, die Erinnerung ist schnell aufgefrischt. „Wat woll’n Sie? Woll’n Sie ‘ne erfolgreiche WM oder sollen wir wieder ausscheiden und haben schön gespielt?“, raunzte der Innenverteidiger nach dem Kraftakt ins TV-Mikrofon. Am Ende stand der vierte WM-Titel für die deutsche Mannschaft.

Der WM-Titel ist so fern wie die Meisterschale für die Köpenicker

Um gleich jeder Romantisierung vorzubeugen: Der DFB-Jahrgang 2022 ist weit entfernt von der Qualität, die seinerzeit die späteren Weltmeister ausstrahlten, in jeder Hinsicht. Flicks Team ist ebenso weit vom Pokal entfernt wie Fischers Team von der Meisterschale.

Doch mit der Einstellung aus dem Spanien-Spiel, die dem Credo des Schweizer Fußballlehrers folgte, ist zumindest die Grundvoraussetzung für ein Weiterkommen erfüllbar: ein Sieg gegen Costa Rica. Alles andere liegt nicht in der Hand der Nationalmannschaft. Den unwahrscheinlichen Sieg mit acht Toren Unterschied, der den Sprung ins Achtelfinale in jedem Fall ermöglichen würde, verorten wir mal ins virtuelle Reich von Playstation und Co.

Geschlossenheit, Kompaktheit, Intensität – Tugenden, die Thomas Müller auch gegen Costa Rica wieder einforderte. Einfach mehr Union wagen. Scheint so, als habe Müller es verstanden.

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