Berlin. „Besonderes erreicht man nur, wenn man Besonderes leistet.“ Ein Satz, mit dem Dirk Zingler den Profis des 1. FC Union ins Gewissen redete. Und der Klubchef fügte noch auffordernd hinzu: „Fragt euch jeden Tag, ob ihr bereit seid, alles zu geben.“ Gefallen sind diese Worte vor knapp viereinhalb Jahren, auf der Mitgliederversammlung des damaligen Zweitligisten. Mit Blick auf die kommenden Wochen sind sie für den Berliner Fußball-Bundesligisten aktueller denn je.
Mit dem Anpfiff des Derbys bei Hertha BSC am Sonnabend (18.30 Uhr, Sky) treten die Köpenicker in eine Phase, die sich Zingler und Co. seinerzeit sicher nicht mal im Traum vorstellen konnten. Union spielt im dritten Jahr hintereinander in der Bundesliga – und klopft mit Macht an die Tür nach Europa. War der Sprung in die Europa Conference League in der vergangenen Saison eher noch der Kategorie Betriebsunfall zuzuordnen, so ist Europa jetzt das erklärte Ziel.
Union Berlin verspürt positiven Druck
Hier kommt das Derby ins Spiel. „Derbys“, sagt Unions Trainer Urs Fischer, „sind eigene Spiele mit sehr vielen Emotionen gerade für die Fans.“ Mehr als 15.000 Anhänger unter den 74.667 Zuschauern dürften Union Berlin unterstützen. Und wie gut solche Rückendeckung von den Rängen tut, hat Union gerade erst wieder gegen den 1. FC Köln (1:0) zu spüren bekommen.
Christopher Trimmel, Unions Kapitän, sieht mit Blick auf die Ausgangslage für den Saisonendspurt einen „positiven Druck“ für seine Mannschaft in einem Spiel, „das die Stadt will“. Für Linksverteidiger Niko Gießelmann ist es „logisch“, dass man das Derby-Triple nach den Siegen im Hinspiel (2:0) und im DFB-Pokal-Achtelfinale (3:2) holen will: „Unsere Fans sehen sich als Stadtmeister, von der Tabelle her sind wir es auch.“
Trainer Fischer ist da – wie immer – zurückhaltender. „Ich schaue das ein wenig nüchtern an, denn am Schluss geht es um die Endabrechnung“, weiß der Schweizer, dass es auch in einem Derby nicht mehr als drei Punkte gibt. Doch dass ein Derby-Sieg die Initialzündung für die nun anvisierte Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb sein kann, steht außer Frage. Weil er nur mit einer besonderen Leistung zustande kommt.
Union Berlin kennt den Schwung nach einem Derby-Sieg
Wer wüsste das besser als Union selbst. Februar 2011, das erste Derby zwischen Union und Hertha überhaupt im Olympiastadion, Torsten Mattuschkas Freistoß, der erste Sieg im Hauptstadt-Duell und ein prägender Satz des damaligen Union-Kapitäns: „Damit haben wir die Stadtmeisterschaft für uns entschieden.“ Und Monate später auch den Klassenerhalt in der Zweiten Liga.
„Wenn jeder an sich glaubt, dann kann man auch bei Hertha BSC gewinnen“. Was für Mattuschka seinerzeit der Schlüssel für die Sensation gegen den haushohen Favoriten gewesen ist, ist elf Jahre später die Voraussetzung für Union Berlin, etwas Besonderes wie die Europacup-Qualifikation zu erreichen. Und was möglich ist, hat Union gegen Köln erfahren in einem Spiel mit höchster Intensität.
„Das muss sich wiederholen“, sagt Fischer, spricht von „Basics“ und davon, „unser Gesicht zu zeigen. Das haben wir auch noch mal angesprochen, alles reinzuhauen, alles aufzuwenden, was möglich ist in den letzten sechs Spielen“, inklusive des DFB-Pokal-Halbfinales bei RB Leipzig am 20. April. Gegen Köln hatte Union über 260 intensive Läufe, „Werte, die wir so noch nie erreicht haben“, freut sich Fischer, „da gilt es, dran zu bleiben.“
Union Berlin kennt inzwischen das Olympiastadion
Was helfen kann, ist der Umstand, dass Union mit dem Olympiastadion als Spielstätte umzugehen weiß. Die Erfahrung aus den insgesamt vier Conference-League-Spielen im Herbst 2021 „in unserem Europacup-Stadion“ (Unions Kommunikationschef Christian Arbeit) kann sich nun gegen Hertha auszahlen. Auch wenn durch die Corona-Pandemie die Kulisse eine andere gewesen ist, als sie es nun im Derby sein wird.
Ein Hemmschuh? „Möglich, wenn die ersten zwei, drei Pässe nicht so ankommen, logisch“, erklärt Fischer, „es ist etwas anderes, vor 70.000 zu spielen als vor 3000 oder 5000 im Olympiastadion. Ich mache aber lieber einen Fehler vor 70.000 als vor 5000.“ Gegen die tief im Abstiegskampf steckenden und deshalb sicher bedingungslos kämpfenden Herthaner sind Fehler jedoch weitgehend zu vermeiden. Nur dann ist eine besondere Leistung möglich. Und wie Klubchef Zingler schon 2017 wusste, ist auch nur dann Besonderes zu erreichen.
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